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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

Heber der katholische Kongreß in Düsseldorf bestimmter als Richtschnur für
die katholische Thätigkeit zusammenfassen sollte. Kurz zusammengefaßt gestalten
nun die Thesen die sozialpolitischen Aufgaben etwa in folgender Weise. Indem die
Handwerkerfrage im Halber Programm vorangestellt ist, fordert dasselbe getrennte
Behandlung von Handwerk, Großindustrie und Hausindustrie. Der Handwerker¬
stand wird in Verbindung mit dem Staude der Landwirte als Hauptstütze des
soziale" Zusammenhanges bezeichnet, und seine Neubcfestiguug wird für eine so¬
ziale Notwendigkeit erklärt. Gegenwärtig jedoch befindet sich der Handwerker¬
stand in Desorganisation, welche dnrch obligatorische Innungen und durch Hand-
werkerkammern nach Analogie der Handelskammern überwunden werden soll.
Auch sollen, ebenso wie gegenwärtig Handelsgerichte für Handelsstrcitigkeiten be¬
stehen, Hnndwerkergerichte für die Klagen ans dem Arbeitsgebiete errichtet werden.
Sowohl Meister als Gesellen und Lehrlinge sollen innerhalb der Handwerker¬
zunft ihre begrenzten Rechte und Pflichten angewiesen erhalten. Dem Meister
ist ein Befähigungsnachweis aufzuerlegen, und ebenso soll der Lehrling, bevor
er zum Gesellen erklärt werden kann, durch eine Prüfung seine genügende Aus¬
bildung erweisen. Die Gesellen sollen vou den Zünften im handwerksmäßigen
Sinne geleitet und während der Wanderschaft sowohl moralisch als materiell
unterstützt werden; zur Kontrole sollen die Arbeitsbücher dienen. Desgleichen
sollen die Lehrlinge insbesondre moralisch sorgfältig geleitet werden; die kirch¬
lichen Pflichten derselben werden mehrfach betont und die Hinleitung dazu wird
der Zunft zur Pflicht gemacht. Umsvweniger läßt sich der Borwnrf der Zen-
trnmspresse begreifen, daß dnrch das Programm ans Kosten der Kirche die
staatliche Allmacht gefördert werde. Indem aber wohl das Programm hinsicht¬
lich der moralischen Angelegenheiten und hinsichtlich gewisser Äußerlichkeiten die
Beeinflussung durch die Zunft verlangt, fehlt hinsichtlich der sozialpolitisch am
schwersten wiegenden Frage, nämlich hinsichtlich der Ausbeutung der Lehrlinge,
die seinerzeit nicht wenig dazu beigetragen hat, das allerdings verzopfte Zunft¬
wesen um den letzten Kredit zu bringen, jede Andeutung. Hier aber hätte vor
allem augesetzt werden müssen, und hier vor allem sind stritte Grundsätze not¬
wendig. Auch die Grundzüge hinsichtlich des Meistcrvcrhältnisses, wie sie in
den Halber Thesen gegeben werden, zeichnen sich nicht durch Sicherheit aus und
scheinen uns nicht den Kern der Sache zu treffe". Allerdings sollen die Zünfte
möglichst selbständig die Verhältnisse der Zunftgenossen untereinander regeln, sie
sollen wirken für Hebung des Standesbewußtseius, sollen auch die Güte der
von den Meistern gelieferten Arbeitet! kontroliren. Sie sollen ferner gewerb¬
liche Fachschulen errichten und kontroliren: sodann sollen sie -- allerdings nö¬
tigenfalls unter Staatshilfe -- für Errichtung gemeinschaftlicher Betriebswerk¬
stätten und Magazine, sowie für Regelung des Kreditwesens wirksam sein.
Endlich soll durch die Innungen die gewerblich-soziale Vereinsthätigkeit, die
Gründung von LchrlingSanstalten, Gesellenhospizen und sonstigen charitativen


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

Heber der katholische Kongreß in Düsseldorf bestimmter als Richtschnur für
die katholische Thätigkeit zusammenfassen sollte. Kurz zusammengefaßt gestalten
nun die Thesen die sozialpolitischen Aufgaben etwa in folgender Weise. Indem die
Handwerkerfrage im Halber Programm vorangestellt ist, fordert dasselbe getrennte
Behandlung von Handwerk, Großindustrie und Hausindustrie. Der Handwerker¬
stand wird in Verbindung mit dem Staude der Landwirte als Hauptstütze des
soziale» Zusammenhanges bezeichnet, und seine Neubcfestiguug wird für eine so¬
ziale Notwendigkeit erklärt. Gegenwärtig jedoch befindet sich der Handwerker¬
stand in Desorganisation, welche dnrch obligatorische Innungen und durch Hand-
werkerkammern nach Analogie der Handelskammern überwunden werden soll.
Auch sollen, ebenso wie gegenwärtig Handelsgerichte für Handelsstrcitigkeiten be¬
stehen, Hnndwerkergerichte für die Klagen ans dem Arbeitsgebiete errichtet werden.
Sowohl Meister als Gesellen und Lehrlinge sollen innerhalb der Handwerker¬
zunft ihre begrenzten Rechte und Pflichten angewiesen erhalten. Dem Meister
ist ein Befähigungsnachweis aufzuerlegen, und ebenso soll der Lehrling, bevor
er zum Gesellen erklärt werden kann, durch eine Prüfung seine genügende Aus¬
bildung erweisen. Die Gesellen sollen vou den Zünften im handwerksmäßigen
Sinne geleitet und während der Wanderschaft sowohl moralisch als materiell
unterstützt werden; zur Kontrole sollen die Arbeitsbücher dienen. Desgleichen
sollen die Lehrlinge insbesondre moralisch sorgfältig geleitet werden; die kirch¬
lichen Pflichten derselben werden mehrfach betont und die Hinleitung dazu wird
der Zunft zur Pflicht gemacht. Umsvweniger läßt sich der Borwnrf der Zen-
trnmspresse begreifen, daß dnrch das Programm ans Kosten der Kirche die
staatliche Allmacht gefördert werde. Indem aber wohl das Programm hinsicht¬
lich der moralischen Angelegenheiten und hinsichtlich gewisser Äußerlichkeiten die
Beeinflussung durch die Zunft verlangt, fehlt hinsichtlich der sozialpolitisch am
schwersten wiegenden Frage, nämlich hinsichtlich der Ausbeutung der Lehrlinge,
die seinerzeit nicht wenig dazu beigetragen hat, das allerdings verzopfte Zunft¬
wesen um den letzten Kredit zu bringen, jede Andeutung. Hier aber hätte vor
allem augesetzt werden müssen, und hier vor allem sind stritte Grundsätze not¬
wendig. Auch die Grundzüge hinsichtlich des Meistcrvcrhältnisses, wie sie in
den Halber Thesen gegeben werden, zeichnen sich nicht durch Sicherheit aus und
scheinen uns nicht den Kern der Sache zu treffe». Allerdings sollen die Zünfte
möglichst selbständig die Verhältnisse der Zunftgenossen untereinander regeln, sie
sollen wirken für Hebung des Standesbewußtseius, sollen auch die Güte der
von den Meistern gelieferten Arbeitet! kontroliren. Sie sollen ferner gewerb¬
liche Fachschulen errichten und kontroliren: sodann sollen sie — allerdings nö¬
tigenfalls unter Staatshilfe — für Errichtung gemeinschaftlicher Betriebswerk¬
stätten und Magazine, sowie für Regelung des Kreditwesens wirksam sein.
Endlich soll durch die Innungen die gewerblich-soziale Vereinsthätigkeit, die
Gründung von LchrlingSanstalten, Gesellenhospizen und sonstigen charitativen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/601>, abgerufen am 28.07.2024.