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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

internationalen Beziehungen und eine größere Gefahr für die europäischen Inter¬
essen in Ostasien ein, als der "auf Arran beschränkte Krieg/' den Frankreich
bisher schon Monate lang geführt hat.




Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.
2,

in kurzer Blick auf die "Halber Thesen" genügt, um den ultra¬
montanen Vorwurf, daß in ihnen die Rechte der Kirche verleugnet
wurden, und zwar auf Kosten der staatlichen Allmacht, zu wider¬
legen. Merkwürdigerweise behandeln diese Thesen, wie schon be¬
merkt, eigentlich uur eine der vom Fürsten Löwenstein auf dem
katholischen Kongreß angeregten Fragen; sie beschränken sich ans die Arbeiter¬
frage (welche doch, im weiteren Sinne wenigstens, anch die Handwerker¬
frage umfaßt), und die Wnchcrfrage blieb ganz beiseite -- wir fürchten fast,
um ja nach keiner Seite hin Hörner oder Zähne zu zeigen. Ohne Zweifel hat
man erkannt, daß man mit Berührung dieser Frage sich alsbald im Fahrwasser
des Antisemitismus befunden haben würde; und gegen dergleichen ertönten ja
nicht bloß ans dem Frankfurter Kongresse aus dem ultramontanen Lager ernst¬
liche Verwahrungen. Wenn man übrigens weiß, daß der zweite Direktor einer
Hypothekenbank (der Dr. Seelilie ans Frankfurt, der sich gern "von" Seelilie
nennt) bei den Halber Beschlüssen mitgewirkt hat, nachdem er bereits vorher
mehrfach Verwahrung gegen die Annahme antisemitischer Tendenzen innerhalb
der ultramontanen Kreise eingelegt hatte, so kann man sich nicht mehr verwun¬
dern, daß die Wnchcrfrage anch von der Versammlung in Haid mit großer
Behutsamkeit unigangen wurde. Was dagegen die Gruudcutlastuugs- oder die
Agrarfrage anlangt, so ist sie auf einer spätern Versammlung in Salzburg er¬
örtert worden und hat ebenso zur Aufstellung von Thesen geführt. Lassen sich
aber in den Halber Thesen, wenn anch im dunkeln Hintergrunde und fast ganz
verwischt, die Anschauungen des Pater Weiß, des Verfassers der Apologie deö
Christentums, erkennen, so treten in den Salzburger Thesen schon klarer die
agrarischen Anschauungen des Redakteurs Jäger in Speyer zu Tage, wie er sie
in seiner "Agrarfrage der Gegenwart" zum Ausdruck brachte.

Diese beiden Thcscnreihen bilden also den Angelpunkt des sozialwirtschaft¬
lichen und sozialpolitischen Programms, das nun nach der Meinung ihrer Ur-


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

internationalen Beziehungen und eine größere Gefahr für die europäischen Inter¬
essen in Ostasien ein, als der „auf Arran beschränkte Krieg/' den Frankreich
bisher schon Monate lang geführt hat.




Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.
2,

in kurzer Blick auf die „Halber Thesen" genügt, um den ultra¬
montanen Vorwurf, daß in ihnen die Rechte der Kirche verleugnet
wurden, und zwar auf Kosten der staatlichen Allmacht, zu wider¬
legen. Merkwürdigerweise behandeln diese Thesen, wie schon be¬
merkt, eigentlich uur eine der vom Fürsten Löwenstein auf dem
katholischen Kongreß angeregten Fragen; sie beschränken sich ans die Arbeiter¬
frage (welche doch, im weiteren Sinne wenigstens, anch die Handwerker¬
frage umfaßt), und die Wnchcrfrage blieb ganz beiseite — wir fürchten fast,
um ja nach keiner Seite hin Hörner oder Zähne zu zeigen. Ohne Zweifel hat
man erkannt, daß man mit Berührung dieser Frage sich alsbald im Fahrwasser
des Antisemitismus befunden haben würde; und gegen dergleichen ertönten ja
nicht bloß ans dem Frankfurter Kongresse aus dem ultramontanen Lager ernst¬
liche Verwahrungen. Wenn man übrigens weiß, daß der zweite Direktor einer
Hypothekenbank (der Dr. Seelilie ans Frankfurt, der sich gern „von" Seelilie
nennt) bei den Halber Beschlüssen mitgewirkt hat, nachdem er bereits vorher
mehrfach Verwahrung gegen die Annahme antisemitischer Tendenzen innerhalb
der ultramontanen Kreise eingelegt hatte, so kann man sich nicht mehr verwun¬
dern, daß die Wnchcrfrage anch von der Versammlung in Haid mit großer
Behutsamkeit unigangen wurde. Was dagegen die Gruudcutlastuugs- oder die
Agrarfrage anlangt, so ist sie auf einer spätern Versammlung in Salzburg er¬
örtert worden und hat ebenso zur Aufstellung von Thesen geführt. Lassen sich
aber in den Halber Thesen, wenn anch im dunkeln Hintergrunde und fast ganz
verwischt, die Anschauungen des Pater Weiß, des Verfassers der Apologie deö
Christentums, erkennen, so treten in den Salzburger Thesen schon klarer die
agrarischen Anschauungen des Redakteurs Jäger in Speyer zu Tage, wie er sie
in seiner „Agrarfrage der Gegenwart" zum Ausdruck brachte.

Diese beiden Thcscnreihen bilden also den Angelpunkt des sozialwirtschaft¬
lichen und sozialpolitischen Programms, das nun nach der Meinung ihrer Ur-


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[0600] Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. internationalen Beziehungen und eine größere Gefahr für die europäischen Inter¬ essen in Ostasien ein, als der „auf Arran beschränkte Krieg/' den Frankreich bisher schon Monate lang geführt hat. Fortschritte der sozialpolitischen Debatte. 2, in kurzer Blick auf die „Halber Thesen" genügt, um den ultra¬ montanen Vorwurf, daß in ihnen die Rechte der Kirche verleugnet wurden, und zwar auf Kosten der staatlichen Allmacht, zu wider¬ legen. Merkwürdigerweise behandeln diese Thesen, wie schon be¬ merkt, eigentlich uur eine der vom Fürsten Löwenstein auf dem katholischen Kongreß angeregten Fragen; sie beschränken sich ans die Arbeiter¬ frage (welche doch, im weiteren Sinne wenigstens, anch die Handwerker¬ frage umfaßt), und die Wnchcrfrage blieb ganz beiseite — wir fürchten fast, um ja nach keiner Seite hin Hörner oder Zähne zu zeigen. Ohne Zweifel hat man erkannt, daß man mit Berührung dieser Frage sich alsbald im Fahrwasser des Antisemitismus befunden haben würde; und gegen dergleichen ertönten ja nicht bloß ans dem Frankfurter Kongresse aus dem ultramontanen Lager ernst¬ liche Verwahrungen. Wenn man übrigens weiß, daß der zweite Direktor einer Hypothekenbank (der Dr. Seelilie ans Frankfurt, der sich gern „von" Seelilie nennt) bei den Halber Beschlüssen mitgewirkt hat, nachdem er bereits vorher mehrfach Verwahrung gegen die Annahme antisemitischer Tendenzen innerhalb der ultramontanen Kreise eingelegt hatte, so kann man sich nicht mehr verwun¬ dern, daß die Wnchcrfrage anch von der Versammlung in Haid mit großer Behutsamkeit unigangen wurde. Was dagegen die Gruudcutlastuugs- oder die Agrarfrage anlangt, so ist sie auf einer spätern Versammlung in Salzburg er¬ örtert worden und hat ebenso zur Aufstellung von Thesen geführt. Lassen sich aber in den Halber Thesen, wenn anch im dunkeln Hintergrunde und fast ganz verwischt, die Anschauungen des Pater Weiß, des Verfassers der Apologie deö Christentums, erkennen, so treten in den Salzburger Thesen schon klarer die agrarischen Anschauungen des Redakteurs Jäger in Speyer zu Tage, wie er sie in seiner „Agrarfrage der Gegenwart" zum Ausdruck brachte. Diese beiden Thcscnreihen bilden also den Angelpunkt des sozialwirtschaft¬ lichen und sozialpolitischen Programms, das nun nach der Meinung ihrer Ur-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/600>, abgerufen am 28.07.2024.