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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

Anstalten zum Ersatz des Elternhauses und zur Förderung der sozialen und
technischen Entwicklung der Jnnungsangehörigen unterstützt und geleitet werden.

Das klingt alles sehr gut; aber man dürfte leicht erkennen, daß alle diese
Aufgaben in ihrer Darstellung doch nicht mehr sind als Verlcgenheitsgaben, zu
denen man auf dein Wege des Kompromisses kam, um nur nicht ergebnislos
auseiucmdcrzugehen. Es sind vielfache Ziele gestellt; aber über die Grundlage,
über die Organisation und über die Mittel, die doch ohne Zweifel notwendig
sind, um jene Ziele auch uur anzustreben, und die daher zunächst wichtiger
sind als die Ziele selbst, geht man still hinweg. Höchstens sind einige solche
Mittel aus der staatlichen Einwirkung gezogen. Es soll nämlich der Staat
die Innung unterstützen durch Förderung des gewerblichen Unterrichts, durch
Herstellung der allgemeinen Sonn- und Feiertagsruhe, Markenschutz und Ver¬
pflichtung zur Markenführung, Regelung des Submissionswesens lind der Ab¬
satzverhältnisse (!), des Hausirwesens, der Wanderbücher und der Gcfängnisarbeit.
Läßt sich hieraus die eigentlich klägliche Stellung, die man dem Staate dem
Handwerkerwesen gegenüber zuweisen will, erkennen -- womit der Lärm der
Zentrumspresse wegen der staatlichen Allmacht vollends als ein Schlag ins
Wasser erscheint --, so noch mehr die unbedingte Unsicherheit und Unklarheit,
i" der man sich wegen einer wirksamen Zunftorgauisation und wegen der Grund- <
lagen, auf welchen sie notwendig ruhen muß, wenn sie überhaupt lebensfähig
sein soll.

Wir wissen wohl, daß die katholischen Sozialpolitikcr, von deren Ideen
man allerdings bei Abfassung der Halber Thesen ausging -- freilich um
dann sehr abzuschweifen --, einen andern Begriff vom Zunftwesen in seiner
Blütezeit haben, als er sonst landläufig ist. Jenen Sozialpolitikern ist bekannt,
daß die alte, übrigens in jahrhundertelangem Kampf erwachsene mittelalterliche
Zunft (innerhalb welcher das Handwerk eine unvergleichliche Blüte erreichte),
bevor sie dazu kam, weite Ziele ins Ange zu fassen und mit Kraft und Ent¬
schlossenheit zu erstreben, erst nach festem Zusammenschluß suchte, indem sie die
gemeinsamen Interessen völlig verschmolz und die Einzelinteressen der einzelnen
Zunftgenossen, wenn nicht auflöste, doch den Gesamtinteresfen gänzlich unterord¬
nete. Die Erstarrung und endlich der Zusammenfall der alten Zunft war da¬
gegen die Folge des Abweichens von dieser Grundlage, indem man die Zunft-
Organisation der Ausbeutung durch das Einzelinteresse verfallen ließ. Die
Ausstellungen des Halber Programms bleiben weit entfernt von solchen Voraus¬
setzungen; sie bewegen sich noch völlig auf dem Boden des Individualismus,
und ihr Ziel geht offenbar nicht weiter als bis zu einer gewissen Milderung
des Kampfes aller gegen alle, keineswegs bis zur Beseitigung desselben. Und
doch müßten Bestrebungen, die von christlichen Grundsätzen ausgehen, nichts
weniger als die Beseitigung jenes Kampfes im Auge haben.


Fortschritte der sozialpolitischen Debatte.

Anstalten zum Ersatz des Elternhauses und zur Förderung der sozialen und
technischen Entwicklung der Jnnungsangehörigen unterstützt und geleitet werden.

Das klingt alles sehr gut; aber man dürfte leicht erkennen, daß alle diese
Aufgaben in ihrer Darstellung doch nicht mehr sind als Verlcgenheitsgaben, zu
denen man auf dein Wege des Kompromisses kam, um nur nicht ergebnislos
auseiucmdcrzugehen. Es sind vielfache Ziele gestellt; aber über die Grundlage,
über die Organisation und über die Mittel, die doch ohne Zweifel notwendig
sind, um jene Ziele auch uur anzustreben, und die daher zunächst wichtiger
sind als die Ziele selbst, geht man still hinweg. Höchstens sind einige solche
Mittel aus der staatlichen Einwirkung gezogen. Es soll nämlich der Staat
die Innung unterstützen durch Förderung des gewerblichen Unterrichts, durch
Herstellung der allgemeinen Sonn- und Feiertagsruhe, Markenschutz und Ver¬
pflichtung zur Markenführung, Regelung des Submissionswesens lind der Ab¬
satzverhältnisse (!), des Hausirwesens, der Wanderbücher und der Gcfängnisarbeit.
Läßt sich hieraus die eigentlich klägliche Stellung, die man dem Staate dem
Handwerkerwesen gegenüber zuweisen will, erkennen — womit der Lärm der
Zentrumspresse wegen der staatlichen Allmacht vollends als ein Schlag ins
Wasser erscheint —, so noch mehr die unbedingte Unsicherheit und Unklarheit,
i» der man sich wegen einer wirksamen Zunftorgauisation und wegen der Grund- <
lagen, auf welchen sie notwendig ruhen muß, wenn sie überhaupt lebensfähig
sein soll.

Wir wissen wohl, daß die katholischen Sozialpolitikcr, von deren Ideen
man allerdings bei Abfassung der Halber Thesen ausging — freilich um
dann sehr abzuschweifen —, einen andern Begriff vom Zunftwesen in seiner
Blütezeit haben, als er sonst landläufig ist. Jenen Sozialpolitikern ist bekannt,
daß die alte, übrigens in jahrhundertelangem Kampf erwachsene mittelalterliche
Zunft (innerhalb welcher das Handwerk eine unvergleichliche Blüte erreichte),
bevor sie dazu kam, weite Ziele ins Ange zu fassen und mit Kraft und Ent¬
schlossenheit zu erstreben, erst nach festem Zusammenschluß suchte, indem sie die
gemeinsamen Interessen völlig verschmolz und die Einzelinteressen der einzelnen
Zunftgenossen, wenn nicht auflöste, doch den Gesamtinteresfen gänzlich unterord¬
nete. Die Erstarrung und endlich der Zusammenfall der alten Zunft war da¬
gegen die Folge des Abweichens von dieser Grundlage, indem man die Zunft-
Organisation der Ausbeutung durch das Einzelinteresse verfallen ließ. Die
Ausstellungen des Halber Programms bleiben weit entfernt von solchen Voraus¬
setzungen; sie bewegen sich noch völlig auf dem Boden des Individualismus,
und ihr Ziel geht offenbar nicht weiter als bis zu einer gewissen Milderung
des Kampfes aller gegen alle, keineswegs bis zur Beseitigung desselben. Und
doch müßten Bestrebungen, die von christlichen Grundsätzen ausgehen, nichts
weniger als die Beseitigung jenes Kampfes im Auge haben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/602>, abgerufen am 28.07.2024.