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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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andre Gestalt angenommen und konnten keine andre annehmen. Deshalb kann
uns keine Verantwortlichkeit treffen, wenn es zu einem Konflikte zwischen den
beiden Ländern kommen sollte. Wir hoffen, daß ein solcher nicht eintreten wird,
und daß die chinesischen Truppen, welche nicht genötigt waren, die Positionen,
die sie im August innehalten, zu verlassen, uns erlauben werden, das Werk
der Herstellung friedlicher Zustände auszuführen, welches wir im Interesse aller
zu betreiben entschlossen sind."

In diesem Briefe fordert also Ferrh die chinesische Regierung auf, ihre
Truppen aus der Stellung bei songeai, Honghoa und Baknin zurückzuziehen.
Die Antwort des Tsong Li Immer auf dieses Verlangen ist in Paris noch
nicht eingetroffen. Mittlerweile haben die Verhandlungen zwischen Frankreich
und China seit dem Beginn des Dezember ein etwas erfreulicheres Aussehen
angenommen, d. h. der Pekinger Hof scheint geneigt, dem französischen Kabinet,
soweit es irgend möglich ist, mit Zugeständnissen entgegenzukommen, und herrscht
am Quai d'Orsay gleiche Mäßigung und Nachgiebigkeit, so wird sich die vor
kurzem sehr nahcgerückte Kriegsgefahr abwenden lassen.

Der Umstand, daß Frankreich sich dem Übereinkommen angeschlossen hat,
welches zwischen Deutschland, England und andern beim Schutze europäischer
Interessen in den chinesischen Hafenstädten beteiligten Mächten zustande gekommen
ist, hat, wie zu erwarten war, einen günstigen Eindruck gemacht. Es würde
für die französische Regierung nicht gut möglich gewesen sein, sich an einer
solchen Konvention zu beteiligen, wenn sie ernstlich der Meinung wäre, sie
werde bald in die Lage versetzt sein, sich als kriegführende Macht im völker¬
rechtlichen Sinne des Wortes betrachten zu müssen. Denn wenn sie in diesem
Falle sich der gedachten Übereinkunft anschlösse, so würde sie sich von vornherein
des Gebrauches der mächtigsten, wo nicht der einzig wirksamen Waffe berauben,
zu dem sie die Stellung eines Kriegführenden China gegenüber berechtigen würde.
Auf die Waffen der Blockade, des Bombardements und der Flottcnoperationen
an den chinesischen Küsten überhaupt zu verzichten, wäre wohl der unwahr¬
scheinlichste Schritt, den eine Seemacht thu" würde, die erwartete, bald zu einer
großen Maßregel in einem Seekriege gezwungen zu sein. Der Beitritt Frankreichs
zu der betreffenden Konvention hieße bei solcher Erwartung ungefähr, sich die eine
Hand ans den Rücken binden, und es ist schwerlich vorschnell geurteilt, wenn
wir schließen, daß eine Macht, welche dies mit voller Überlegung thut, mit einer
gewissen Zuversichtlichkeit sich darauf verlassen muß, ihre Ziele zuletzt ohne
Kampf erreichen zu können. Jener Schritt ist infolge dessen als eine Art
völkerrechtlicher Bürgschaft betrachtet worden, daß der Krieg, wenn er dennoch
ausbrechen sollte, sich auf das Gebiet von Tonkin beschränken werde, und das
bedeutet ungefähr, daß wir sicher sind, es werde überhaupt zu keinem Kriege im
strengen Wortsinne zwischen China und Frankreich kommen. Den" "ein auf
Tonkin beschränkter Krieg" schließt nicht notwendig eine ernstere Störung der


andre Gestalt angenommen und konnten keine andre annehmen. Deshalb kann
uns keine Verantwortlichkeit treffen, wenn es zu einem Konflikte zwischen den
beiden Ländern kommen sollte. Wir hoffen, daß ein solcher nicht eintreten wird,
und daß die chinesischen Truppen, welche nicht genötigt waren, die Positionen,
die sie im August innehalten, zu verlassen, uns erlauben werden, das Werk
der Herstellung friedlicher Zustände auszuführen, welches wir im Interesse aller
zu betreiben entschlossen sind."

In diesem Briefe fordert also Ferrh die chinesische Regierung auf, ihre
Truppen aus der Stellung bei songeai, Honghoa und Baknin zurückzuziehen.
Die Antwort des Tsong Li Immer auf dieses Verlangen ist in Paris noch
nicht eingetroffen. Mittlerweile haben die Verhandlungen zwischen Frankreich
und China seit dem Beginn des Dezember ein etwas erfreulicheres Aussehen
angenommen, d. h. der Pekinger Hof scheint geneigt, dem französischen Kabinet,
soweit es irgend möglich ist, mit Zugeständnissen entgegenzukommen, und herrscht
am Quai d'Orsay gleiche Mäßigung und Nachgiebigkeit, so wird sich die vor
kurzem sehr nahcgerückte Kriegsgefahr abwenden lassen.

Der Umstand, daß Frankreich sich dem Übereinkommen angeschlossen hat,
welches zwischen Deutschland, England und andern beim Schutze europäischer
Interessen in den chinesischen Hafenstädten beteiligten Mächten zustande gekommen
ist, hat, wie zu erwarten war, einen günstigen Eindruck gemacht. Es würde
für die französische Regierung nicht gut möglich gewesen sein, sich an einer
solchen Konvention zu beteiligen, wenn sie ernstlich der Meinung wäre, sie
werde bald in die Lage versetzt sein, sich als kriegführende Macht im völker¬
rechtlichen Sinne des Wortes betrachten zu müssen. Denn wenn sie in diesem
Falle sich der gedachten Übereinkunft anschlösse, so würde sie sich von vornherein
des Gebrauches der mächtigsten, wo nicht der einzig wirksamen Waffe berauben,
zu dem sie die Stellung eines Kriegführenden China gegenüber berechtigen würde.
Auf die Waffen der Blockade, des Bombardements und der Flottcnoperationen
an den chinesischen Küsten überhaupt zu verzichten, wäre wohl der unwahr¬
scheinlichste Schritt, den eine Seemacht thu» würde, die erwartete, bald zu einer
großen Maßregel in einem Seekriege gezwungen zu sein. Der Beitritt Frankreichs
zu der betreffenden Konvention hieße bei solcher Erwartung ungefähr, sich die eine
Hand ans den Rücken binden, und es ist schwerlich vorschnell geurteilt, wenn
wir schließen, daß eine Macht, welche dies mit voller Überlegung thut, mit einer
gewissen Zuversichtlichkeit sich darauf verlassen muß, ihre Ziele zuletzt ohne
Kampf erreichen zu können. Jener Schritt ist infolge dessen als eine Art
völkerrechtlicher Bürgschaft betrachtet worden, daß der Krieg, wenn er dennoch
ausbrechen sollte, sich auf das Gebiet von Tonkin beschränken werde, und das
bedeutet ungefähr, daß wir sicher sind, es werde überhaupt zu keinem Kriege im
strengen Wortsinne zwischen China und Frankreich kommen. Den» „ein auf
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/599>, abgerufen am 28.07.2024.