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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

wenig daran gewöhnt sei, Fremde hier zu empfangen. Er sprach die Herren
deutsch an, widmete den Damen einige Aufmerksamkeiten und hatte mit Fein-
fühligkeit bald herausgefunden, daß sein junger Gastfreund dem schönen Mädchen
an seiner Seite inniger verbunden sei, als durch die Stimmung eines heiteren
Tages. Signor Felice wandte sich daher hauptsächlich zu Fräulein Gertrud,
und seine dunkeln Augen drückten dem Kunsthistoriker mit freundlichem Blick
volle Teilnahme und einen Glückwunsch aus. Fast eine Viertelstunde lang
währte die Unterhaltung. Mit einemmale aber ward der Hausherr an dem
Schweigen seiner andern Gäste inne, das; man derselben lausche. Eine leichte
Verlegenheit malte sich ans seinen Zügen, doch wandte er sich sogleich wieder
mit gewinnender Anmut zu dem ganzen Kreise, der ihn, seinen jungen Gast¬
freund und Fräulein Gertrud umstand, und sprach die Hoffnung aus, daß man
es sich solange als nur immer möglich in seinem Garten gefallen lassen werde. Er
selbst bat um die Erlaubnis, sich zurückziehen und an einem seitwärts und höher
gelegenen Platze seiner Lektüre obliegen zu dürfen. Meine Gesundheit, sagte er,
verbietet mir seit vielen Jahren am geselligen Leben teilzunehmen, ich bin nur
die Stille meines Gartens gewöhnt, werde es jedoch Ihnen allen als besondre
Liebenswürdigkeit anrechnen, wenn Sie mich durchaus als abwesend ansehen,
und Ihren Landsmann Doktor Carstens als Herrn dieses Gartens.

Er sagte dies mit der wohllautenden Stimme, die allen an ihm auffiel.
Indem er dann, noch einmal die Gesellschaft grüßend, über die Terrasse
zurückging und sich hinter der dichten Cyprcssengruppc dem Nachblick entzog,
gab er seine Gäste ihrer ersten Stimmung zurück. Sie wandten sich wieder
der Umschau zu, welche sie vorhin entzückt hatte. Die Sonne stand weiter im
Westen, und über die Bergzüge der Terraferma begannen sich mächtige violette
Wolken zu lagern, der Flußspiegel glänzte dunkler, die Schatten der Bäume
fielen länger über die Terrasse -- allen aber wars, als ob sie jetzt erst em¬
pfänden, in wie tiefer Einsamkeit die Insel und der versteckte Garten auf ihr
liege. Gertrud Heimburg, die neben dem jungen Gelehrten im Bogen der
Lvrbeerlaubc stand, sagte wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt: Was
würden Sie sagen, Friedrich, wenn sie hier bleiben, hier leben müßten? Glauben
Sie, daß Sie die Stille ertragen würden? Mich schmiert bei dem Gedanken --

Warum nicht, wenn Sie mich hierher bannten, schöne Dame? versetzte
Doktor Carstens scherzend. Der Fleck hier ist viel anmutiger und selbst ein wenig
größer als die Weißdornhecke, um welcher der große Merlin gefesselt lag. Wenn
Sie also treuer sein und mich ein wenig öfter besuchen wollten als Viviane,
so möchte es nicht zu schwer sein, in diesem stillen Winkel ein paar Jahre zu
verträumen!

Die Umstehenden mischten sich in das Gespräch der beiden, von denen man
längst wußte, daß ihre öffentliche Verlobung bei der Heimkehr nach Deutschland
bevorstand. Gertruds Oheim, der Gutsbesitzer Heimburg, in dessen Geleit das


Der neue Merlin.

wenig daran gewöhnt sei, Fremde hier zu empfangen. Er sprach die Herren
deutsch an, widmete den Damen einige Aufmerksamkeiten und hatte mit Fein-
fühligkeit bald herausgefunden, daß sein junger Gastfreund dem schönen Mädchen
an seiner Seite inniger verbunden sei, als durch die Stimmung eines heiteren
Tages. Signor Felice wandte sich daher hauptsächlich zu Fräulein Gertrud,
und seine dunkeln Augen drückten dem Kunsthistoriker mit freundlichem Blick
volle Teilnahme und einen Glückwunsch aus. Fast eine Viertelstunde lang
währte die Unterhaltung. Mit einemmale aber ward der Hausherr an dem
Schweigen seiner andern Gäste inne, das; man derselben lausche. Eine leichte
Verlegenheit malte sich ans seinen Zügen, doch wandte er sich sogleich wieder
mit gewinnender Anmut zu dem ganzen Kreise, der ihn, seinen jungen Gast¬
freund und Fräulein Gertrud umstand, und sprach die Hoffnung aus, daß man
es sich solange als nur immer möglich in seinem Garten gefallen lassen werde. Er
selbst bat um die Erlaubnis, sich zurückziehen und an einem seitwärts und höher
gelegenen Platze seiner Lektüre obliegen zu dürfen. Meine Gesundheit, sagte er,
verbietet mir seit vielen Jahren am geselligen Leben teilzunehmen, ich bin nur
die Stille meines Gartens gewöhnt, werde es jedoch Ihnen allen als besondre
Liebenswürdigkeit anrechnen, wenn Sie mich durchaus als abwesend ansehen,
und Ihren Landsmann Doktor Carstens als Herrn dieses Gartens.

Er sagte dies mit der wohllautenden Stimme, die allen an ihm auffiel.
Indem er dann, noch einmal die Gesellschaft grüßend, über die Terrasse
zurückging und sich hinter der dichten Cyprcssengruppc dem Nachblick entzog,
gab er seine Gäste ihrer ersten Stimmung zurück. Sie wandten sich wieder
der Umschau zu, welche sie vorhin entzückt hatte. Die Sonne stand weiter im
Westen, und über die Bergzüge der Terraferma begannen sich mächtige violette
Wolken zu lagern, der Flußspiegel glänzte dunkler, die Schatten der Bäume
fielen länger über die Terrasse — allen aber wars, als ob sie jetzt erst em¬
pfänden, in wie tiefer Einsamkeit die Insel und der versteckte Garten auf ihr
liege. Gertrud Heimburg, die neben dem jungen Gelehrten im Bogen der
Lvrbeerlaubc stand, sagte wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt: Was
würden Sie sagen, Friedrich, wenn sie hier bleiben, hier leben müßten? Glauben
Sie, daß Sie die Stille ertragen würden? Mich schmiert bei dem Gedanken —

Warum nicht, wenn Sie mich hierher bannten, schöne Dame? versetzte
Doktor Carstens scherzend. Der Fleck hier ist viel anmutiger und selbst ein wenig
größer als die Weißdornhecke, um welcher der große Merlin gefesselt lag. Wenn
Sie also treuer sein und mich ein wenig öfter besuchen wollten als Viviane,
so möchte es nicht zu schwer sein, in diesem stillen Winkel ein paar Jahre zu
verträumen!

Die Umstehenden mischten sich in das Gespräch der beiden, von denen man
längst wußte, daß ihre öffentliche Verlobung bei der Heimkehr nach Deutschland
bevorstand. Gertruds Oheim, der Gutsbesitzer Heimburg, in dessen Geleit das


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[0583] Der neue Merlin. wenig daran gewöhnt sei, Fremde hier zu empfangen. Er sprach die Herren deutsch an, widmete den Damen einige Aufmerksamkeiten und hatte mit Fein- fühligkeit bald herausgefunden, daß sein junger Gastfreund dem schönen Mädchen an seiner Seite inniger verbunden sei, als durch die Stimmung eines heiteren Tages. Signor Felice wandte sich daher hauptsächlich zu Fräulein Gertrud, und seine dunkeln Augen drückten dem Kunsthistoriker mit freundlichem Blick volle Teilnahme und einen Glückwunsch aus. Fast eine Viertelstunde lang währte die Unterhaltung. Mit einemmale aber ward der Hausherr an dem Schweigen seiner andern Gäste inne, das; man derselben lausche. Eine leichte Verlegenheit malte sich ans seinen Zügen, doch wandte er sich sogleich wieder mit gewinnender Anmut zu dem ganzen Kreise, der ihn, seinen jungen Gast¬ freund und Fräulein Gertrud umstand, und sprach die Hoffnung aus, daß man es sich solange als nur immer möglich in seinem Garten gefallen lassen werde. Er selbst bat um die Erlaubnis, sich zurückziehen und an einem seitwärts und höher gelegenen Platze seiner Lektüre obliegen zu dürfen. Meine Gesundheit, sagte er, verbietet mir seit vielen Jahren am geselligen Leben teilzunehmen, ich bin nur die Stille meines Gartens gewöhnt, werde es jedoch Ihnen allen als besondre Liebenswürdigkeit anrechnen, wenn Sie mich durchaus als abwesend ansehen, und Ihren Landsmann Doktor Carstens als Herrn dieses Gartens. Er sagte dies mit der wohllautenden Stimme, die allen an ihm auffiel. Indem er dann, noch einmal die Gesellschaft grüßend, über die Terrasse zurückging und sich hinter der dichten Cyprcssengruppc dem Nachblick entzog, gab er seine Gäste ihrer ersten Stimmung zurück. Sie wandten sich wieder der Umschau zu, welche sie vorhin entzückt hatte. Die Sonne stand weiter im Westen, und über die Bergzüge der Terraferma begannen sich mächtige violette Wolken zu lagern, der Flußspiegel glänzte dunkler, die Schatten der Bäume fielen länger über die Terrasse — allen aber wars, als ob sie jetzt erst em¬ pfänden, in wie tiefer Einsamkeit die Insel und der versteckte Garten auf ihr liege. Gertrud Heimburg, die neben dem jungen Gelehrten im Bogen der Lvrbeerlaubc stand, sagte wie von einem plötzlichen Gedanken erfaßt: Was würden Sie sagen, Friedrich, wenn sie hier bleiben, hier leben müßten? Glauben Sie, daß Sie die Stille ertragen würden? Mich schmiert bei dem Gedanken — Warum nicht, wenn Sie mich hierher bannten, schöne Dame? versetzte Doktor Carstens scherzend. Der Fleck hier ist viel anmutiger und selbst ein wenig größer als die Weißdornhecke, um welcher der große Merlin gefesselt lag. Wenn Sie also treuer sein und mich ein wenig öfter besuchen wollten als Viviane, so möchte es nicht zu schwer sein, in diesem stillen Winkel ein paar Jahre zu verträumen! Die Umstehenden mischten sich in das Gespräch der beiden, von denen man längst wußte, daß ihre öffentliche Verlobung bei der Heimkehr nach Deutschland bevorstand. Gertruds Oheim, der Gutsbesitzer Heimburg, in dessen Geleit das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/583>, abgerufen am 28.07.2024.