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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

Die Bekanntschaft habe ich wunderbarerweise einem Bilde zu verdanken,
mit welchem mich Signor Delfin, der Kunsthändler in der Calle San Moisv,
ein wenig betrogen hatte. Ich kaufte ein Frauenporträt in der venezianischen
Tracht des siebzehnten Jahrhunderts von ihm, das er für einen echten Padv-
vanino ausgab. Bei näherem Betrachten merkte ich bald, daß es eine ganz
moderne, aber vortreffliche Nachbildung eines alten Bildes war, und daß der
schöne junge Frauenkopf entschieden aus unserm Jahrhundert stamme, obschon
Signor Delfin hartnäckig aus ein paar verräucherten Papieren beweisen wollte,
daß es die Züge einer Schönen des Hauses Contarini wiedergebe. Ich habe
die verdrießliche Geschichte damals nicht erzählt, weil ich zum Schaden nicht
noch den Spott haben wollte. Während ich aber rin der Calle San Moisü
noch auf entschiedenem Kriegsfuße stand, erhielt ich plötzlich eine Zuschrift aus
Torcello, in welcher der mir bis dahin unbekannte Signor Felice Constantini
mitteilte, daß er in Erfahrung gebracht habe, Signor Delfin habe ein Bild, das
fälschlich als Padovanino bezeichnet sei und in Wahrheit ans dem vor dreißig
Jahren zerstreuten Nachlaß der Familie Pariui herrühre, an mich verkauft, und
am Schlüsse bat, ihm dies Bild, das er genau genug beschrieb, für jeden mir
konvenirenden Preis zu überlasse". Natürlich antwortete ich ihm -- hocherfreut,
mit einer verfehlten Erwerbung einem andern Menschen noch eine Freude machen
zu können --, daß ihm das Bild zu Diensten stehe und neunte ihm die Summe,
die ich bei Delfin bezahlt. Schon am nächsten Tage erschien der alte Diener,
den Sie eben gesehen haben, überbrachte das Geld mit der dringendsten Bitte
des Signor Felice, ihm das Bild sogleich zukommen zu lassen, und eine Ein¬
ladung voll vornehmer Höflichkeit, der ich umso weniger widerstand, als ich die
Bauten von Torcello längst einmal gründlicher zu studiren gewünscht hatte.
Ich kam in dies Haus mit der Absicht einen Tag und eine Nacht zu bleiben,
und Sie wissen selbst, wie lange ich nun hier verweile! Signor Felice bietet
alles auf, mir den Aufenthalt hier angenehm zu machen, und obschon ich über¬
zeugt bin, daß es die völlige Einsamkeit ist, welche ihn selbst an diesen Ort
fesselt, so hat er mich mit der größten Liebenswürdigkeit genötigt, meine Lands¬
leute hier einzuführen. Doch da kommt er selbst, um Sie zu begrüße"!

Die deutsche Gesellschaft erhob sich von den Sitzen und sah dem heran¬
schreitenden alten Herrn mit begreiflicher Neugier und Spannung entgegen.
Signor Felice war nur von mittlerer Größe, aber seine Haltung zeigte eine
ruhige, gleichsam bequeme Würde. Sein Gesicht legte in dem scharfen Schnitt der
Züge, in der prächtigen Wölbung der Stirn und in den großen dunkeln Augen
noch heute Zeugnis von jugendlicher Schönheit ab. Doch lag ans diesem Ge¬
sicht zugleich ein Schatten, ein starr gewordener Ausdruck wehmütiger Re¬
signation, langer Gewohnheit des Einsamlebens. Die Art, wie Signor
Constantini die deutschen Freunde seines Gastes willkommen hieß, hätte nicht
verbindlicher, nicht höflicher sein könne", und gleichwohl verriet sie, daß er


Der neue Merlin.

Die Bekanntschaft habe ich wunderbarerweise einem Bilde zu verdanken,
mit welchem mich Signor Delfin, der Kunsthändler in der Calle San Moisv,
ein wenig betrogen hatte. Ich kaufte ein Frauenporträt in der venezianischen
Tracht des siebzehnten Jahrhunderts von ihm, das er für einen echten Padv-
vanino ausgab. Bei näherem Betrachten merkte ich bald, daß es eine ganz
moderne, aber vortreffliche Nachbildung eines alten Bildes war, und daß der
schöne junge Frauenkopf entschieden aus unserm Jahrhundert stamme, obschon
Signor Delfin hartnäckig aus ein paar verräucherten Papieren beweisen wollte,
daß es die Züge einer Schönen des Hauses Contarini wiedergebe. Ich habe
die verdrießliche Geschichte damals nicht erzählt, weil ich zum Schaden nicht
noch den Spott haben wollte. Während ich aber rin der Calle San Moisü
noch auf entschiedenem Kriegsfuße stand, erhielt ich plötzlich eine Zuschrift aus
Torcello, in welcher der mir bis dahin unbekannte Signor Felice Constantini
mitteilte, daß er in Erfahrung gebracht habe, Signor Delfin habe ein Bild, das
fälschlich als Padovanino bezeichnet sei und in Wahrheit ans dem vor dreißig
Jahren zerstreuten Nachlaß der Familie Pariui herrühre, an mich verkauft, und
am Schlüsse bat, ihm dies Bild, das er genau genug beschrieb, für jeden mir
konvenirenden Preis zu überlasse». Natürlich antwortete ich ihm — hocherfreut,
mit einer verfehlten Erwerbung einem andern Menschen noch eine Freude machen
zu können —, daß ihm das Bild zu Diensten stehe und neunte ihm die Summe,
die ich bei Delfin bezahlt. Schon am nächsten Tage erschien der alte Diener,
den Sie eben gesehen haben, überbrachte das Geld mit der dringendsten Bitte
des Signor Felice, ihm das Bild sogleich zukommen zu lassen, und eine Ein¬
ladung voll vornehmer Höflichkeit, der ich umso weniger widerstand, als ich die
Bauten von Torcello längst einmal gründlicher zu studiren gewünscht hatte.
Ich kam in dies Haus mit der Absicht einen Tag und eine Nacht zu bleiben,
und Sie wissen selbst, wie lange ich nun hier verweile! Signor Felice bietet
alles auf, mir den Aufenthalt hier angenehm zu machen, und obschon ich über¬
zeugt bin, daß es die völlige Einsamkeit ist, welche ihn selbst an diesen Ort
fesselt, so hat er mich mit der größten Liebenswürdigkeit genötigt, meine Lands¬
leute hier einzuführen. Doch da kommt er selbst, um Sie zu begrüße»!

Die deutsche Gesellschaft erhob sich von den Sitzen und sah dem heran¬
schreitenden alten Herrn mit begreiflicher Neugier und Spannung entgegen.
Signor Felice war nur von mittlerer Größe, aber seine Haltung zeigte eine
ruhige, gleichsam bequeme Würde. Sein Gesicht legte in dem scharfen Schnitt der
Züge, in der prächtigen Wölbung der Stirn und in den großen dunkeln Augen
noch heute Zeugnis von jugendlicher Schönheit ab. Doch lag ans diesem Ge¬
sicht zugleich ein Schatten, ein starr gewordener Ausdruck wehmütiger Re¬
signation, langer Gewohnheit des Einsamlebens. Die Art, wie Signor
Constantini die deutschen Freunde seines Gastes willkommen hieß, hätte nicht
verbindlicher, nicht höflicher sein könne», und gleichwohl verriet sie, daß er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/582>, abgerufen am 01.09.2024.