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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

junge Mädchen nach Venedig gekommen war, warf trocknen Tones ein, daß es sich
doch wohl empfehle, für das geplante Märchen einen stillen Platz in der Heimat
zu suchen. Die andern aber riefen mahnend dazwischen, nicht in Rätseln zu
sprechen und vor allen Dingen zu sagen, wer Merlin, wer Viviane sei. Friedrich
Carstens versetzte strafend: Wenn Ihr lieber Immermanns Dichtungen als
den neuesten Roman von Thackerciy gelesen hättet, so brauchte ich uicht Er¬
läuterungen zu meinen schönsten Einfällen zu geben! Allzuviel weiß ich von
der Sage auch uicht, aber da hier in der That ein passender Platz ist, De-
camerone zu spielen, will ich wenigstens erzählen, was ich weiß.

Erzählen Sie, Doktor, erzählen Sie! Sie sind hente einmal am Wort!
rief der dicke Gutsbesitzer. Ich glaube, Sie haben uns hier hereingelockt,
Friedrich, um Ihre Geschichte anbringen zu können; Sie sind in diesem poetischen
Garten zum Dichter geworden und suchen auf diesem Wege ein Publikum für
Ihre Erstlinge, setzte Herr vou Heyden, der Rechtsanwalt, hinzu. Ein paar
der jungen Damen pflichteten diesem Einfall lachend bei, inzwischen aber hatten
doch alle Platz genommen und ungeduldige Stimmen riefen: Also Merlin? --
Was ists mit Merlin und Viviane?

Der junge Gelehrte blickte eine Minnte still vor sich nieder, seine Er¬
innerungen zu sammeln, und dann hub er an: Meine jungen Damen, der
sagenberühmte Zauberer Merlinus, dem Gewalt über alle irdischen Dinge ver¬
liehen war, trug mit sich wie eine Art Warnung, eine beständige Mahnung an
die irdischen Schranken, die auch ihm gesetzt waren, ein schlimmes Wort herum,
eine Zauberformel, die, von einem andern ausgesprochen, ihn für ewig just an
die Stelle bannen mußte, an der sich Merlin eben zufällig befand. Ich glaube
wohl, daß dies unheimliche Wort keinen Augenblick aus seinem Bewußtsein
schwand und beständig auf seine Lippen zu springen drohte. Bei alledem aber
gedieh Merlin täglich zu größerer Macht und Herrlichkeit und wußte die
leuchtende Tafelrunde des Königs Artus nachhaltig zu bezaubern, sodaß er
endlich Herr und Meister derselben ward. Denn die Paladine des Königs
Artus waren nicht zufrieden mit dem Rufe ihres Mutes und ihrer ritterlichen
Sitte, sie wünschten auch heilig zu werden und beschlossen dem Grale, der
kurz zuvor seinen Zug von Salvaterre nach Indien vollbracht hatte, nachzu¬
ziehen. Die Sehnsucht nach nie erhörten ritterlichen Abenteuer" und nach der
Herrlichkeit der ferner Ostländer schwellte den Paladinen das Herz, die stolzen
Ritter vermaßen sich den Zug zu vollbringen, wenn nur Merlin der Wunder¬
mann mit ihnen sei und bleibe. Merlin war aber nicht umsonst der Genosse
der ritterlichen Herren geworden. So sehr er sich ihnen überlegen fühlte, so
hatte er doch ihre Sitten angenommen und sich ritterlicher Minne ergeben.
Seine Herrin war Viviane, eine flatternde, leichtherzige Schöne, deren Reize
ihn mehr und mehr umgarnt hatten. Merlins Wundergaben dienten ihr für jede
Laune ihres unsteten Sinnes und zu täglich wechselndem Spiel -- recht wie


Der neue Merlin.

junge Mädchen nach Venedig gekommen war, warf trocknen Tones ein, daß es sich
doch wohl empfehle, für das geplante Märchen einen stillen Platz in der Heimat
zu suchen. Die andern aber riefen mahnend dazwischen, nicht in Rätseln zu
sprechen und vor allen Dingen zu sagen, wer Merlin, wer Viviane sei. Friedrich
Carstens versetzte strafend: Wenn Ihr lieber Immermanns Dichtungen als
den neuesten Roman von Thackerciy gelesen hättet, so brauchte ich uicht Er¬
läuterungen zu meinen schönsten Einfällen zu geben! Allzuviel weiß ich von
der Sage auch uicht, aber da hier in der That ein passender Platz ist, De-
camerone zu spielen, will ich wenigstens erzählen, was ich weiß.

Erzählen Sie, Doktor, erzählen Sie! Sie sind hente einmal am Wort!
rief der dicke Gutsbesitzer. Ich glaube, Sie haben uns hier hereingelockt,
Friedrich, um Ihre Geschichte anbringen zu können; Sie sind in diesem poetischen
Garten zum Dichter geworden und suchen auf diesem Wege ein Publikum für
Ihre Erstlinge, setzte Herr vou Heyden, der Rechtsanwalt, hinzu. Ein paar
der jungen Damen pflichteten diesem Einfall lachend bei, inzwischen aber hatten
doch alle Platz genommen und ungeduldige Stimmen riefen: Also Merlin? —
Was ists mit Merlin und Viviane?

Der junge Gelehrte blickte eine Minnte still vor sich nieder, seine Er¬
innerungen zu sammeln, und dann hub er an: Meine jungen Damen, der
sagenberühmte Zauberer Merlinus, dem Gewalt über alle irdischen Dinge ver¬
liehen war, trug mit sich wie eine Art Warnung, eine beständige Mahnung an
die irdischen Schranken, die auch ihm gesetzt waren, ein schlimmes Wort herum,
eine Zauberformel, die, von einem andern ausgesprochen, ihn für ewig just an
die Stelle bannen mußte, an der sich Merlin eben zufällig befand. Ich glaube
wohl, daß dies unheimliche Wort keinen Augenblick aus seinem Bewußtsein
schwand und beständig auf seine Lippen zu springen drohte. Bei alledem aber
gedieh Merlin täglich zu größerer Macht und Herrlichkeit und wußte die
leuchtende Tafelrunde des Königs Artus nachhaltig zu bezaubern, sodaß er
endlich Herr und Meister derselben ward. Denn die Paladine des Königs
Artus waren nicht zufrieden mit dem Rufe ihres Mutes und ihrer ritterlichen
Sitte, sie wünschten auch heilig zu werden und beschlossen dem Grale, der
kurz zuvor seinen Zug von Salvaterre nach Indien vollbracht hatte, nachzu¬
ziehen. Die Sehnsucht nach nie erhörten ritterlichen Abenteuer» und nach der
Herrlichkeit der ferner Ostländer schwellte den Paladinen das Herz, die stolzen
Ritter vermaßen sich den Zug zu vollbringen, wenn nur Merlin der Wunder¬
mann mit ihnen sei und bleibe. Merlin war aber nicht umsonst der Genosse
der ritterlichen Herren geworden. So sehr er sich ihnen überlegen fühlte, so
hatte er doch ihre Sitten angenommen und sich ritterlicher Minne ergeben.
Seine Herrin war Viviane, eine flatternde, leichtherzige Schöne, deren Reize
ihn mehr und mehr umgarnt hatten. Merlins Wundergaben dienten ihr für jede
Laune ihres unsteten Sinnes und zu täglich wechselndem Spiel — recht wie


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[0584] Der neue Merlin. junge Mädchen nach Venedig gekommen war, warf trocknen Tones ein, daß es sich doch wohl empfehle, für das geplante Märchen einen stillen Platz in der Heimat zu suchen. Die andern aber riefen mahnend dazwischen, nicht in Rätseln zu sprechen und vor allen Dingen zu sagen, wer Merlin, wer Viviane sei. Friedrich Carstens versetzte strafend: Wenn Ihr lieber Immermanns Dichtungen als den neuesten Roman von Thackerciy gelesen hättet, so brauchte ich uicht Er¬ läuterungen zu meinen schönsten Einfällen zu geben! Allzuviel weiß ich von der Sage auch uicht, aber da hier in der That ein passender Platz ist, De- camerone zu spielen, will ich wenigstens erzählen, was ich weiß. Erzählen Sie, Doktor, erzählen Sie! Sie sind hente einmal am Wort! rief der dicke Gutsbesitzer. Ich glaube, Sie haben uns hier hereingelockt, Friedrich, um Ihre Geschichte anbringen zu können; Sie sind in diesem poetischen Garten zum Dichter geworden und suchen auf diesem Wege ein Publikum für Ihre Erstlinge, setzte Herr vou Heyden, der Rechtsanwalt, hinzu. Ein paar der jungen Damen pflichteten diesem Einfall lachend bei, inzwischen aber hatten doch alle Platz genommen und ungeduldige Stimmen riefen: Also Merlin? — Was ists mit Merlin und Viviane? Der junge Gelehrte blickte eine Minnte still vor sich nieder, seine Er¬ innerungen zu sammeln, und dann hub er an: Meine jungen Damen, der sagenberühmte Zauberer Merlinus, dem Gewalt über alle irdischen Dinge ver¬ liehen war, trug mit sich wie eine Art Warnung, eine beständige Mahnung an die irdischen Schranken, die auch ihm gesetzt waren, ein schlimmes Wort herum, eine Zauberformel, die, von einem andern ausgesprochen, ihn für ewig just an die Stelle bannen mußte, an der sich Merlin eben zufällig befand. Ich glaube wohl, daß dies unheimliche Wort keinen Augenblick aus seinem Bewußtsein schwand und beständig auf seine Lippen zu springen drohte. Bei alledem aber gedieh Merlin täglich zu größerer Macht und Herrlichkeit und wußte die leuchtende Tafelrunde des Königs Artus nachhaltig zu bezaubern, sodaß er endlich Herr und Meister derselben ward. Denn die Paladine des Königs Artus waren nicht zufrieden mit dem Rufe ihres Mutes und ihrer ritterlichen Sitte, sie wünschten auch heilig zu werden und beschlossen dem Grale, der kurz zuvor seinen Zug von Salvaterre nach Indien vollbracht hatte, nachzu¬ ziehen. Die Sehnsucht nach nie erhörten ritterlichen Abenteuer» und nach der Herrlichkeit der ferner Ostländer schwellte den Paladinen das Herz, die stolzen Ritter vermaßen sich den Zug zu vollbringen, wenn nur Merlin der Wunder¬ mann mit ihnen sei und bleibe. Merlin war aber nicht umsonst der Genosse der ritterlichen Herren geworden. So sehr er sich ihnen überlegen fühlte, so hatte er doch ihre Sitten angenommen und sich ritterlicher Minne ergeben. Seine Herrin war Viviane, eine flatternde, leichtherzige Schöne, deren Reize ihn mehr und mehr umgarnt hatten. Merlins Wundergaben dienten ihr für jede Laune ihres unsteten Sinnes und zu täglich wechselndem Spiel — recht wie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/584>, abgerufen am 28.07.2024.