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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesco von Rimini.

nächsten Ehrgeizes war der junge Markus Geneff, und es währte auch nicht
lange, so war es stadtbekannt, daß "dieser mit der Loeserbertha ging/' Am
wenigsten war der alte Geneff über diese Thatsache erfreut; er ließ es an
spitzigen Redensarten und ernsteren Ermahnungen gegen seinen einzigen Sohn,
an herabwürdigenden und abschreckenden Äußerungen gegen die Kantorslente nicht
fehlen. Aber wenn er auch von beiden Seiten keine Widerrede fand, so erfuhr
er doch einen passiven Widerstand. Markus, der seinem Vater gegenüber in¬
dolent war und keinen Mut zeigte, für seine Neigung einzustehen, setzte ohne
Rücksicht den Verkehr mit Bertha fort. Vater Geneff verfiel endlich auf einen
Staatsstreich. Bei einer mit seinem Sohne gemeinschaftlich unternommenen
Geschäftsreise brachte er diesen in das Haus eines reichen Geschäftsfreundes,
dessen Unternehmungen schon lange den Neid des jungen Murkus erweckt hatte".
Prangte doch an dem Hause des alten Meyer ein großes Schild "Bank- und
Wechselgeschäft," und wenngleich der Hauptumsatz der Firma in dem "Diskou-
tiren" von Wechseln der benachbarten Gutsbesitzer bestand, so hatte er diese
doch so sehr in seiner Gewalt, daß sie bei ihm vorfuhren und in seinem Kondor
die Geschäfte abschlossen. Meyer hatte nicht mehr nötig, die Klienten aufzu¬
suchen und sich in ihren Behausungen, um sein Geschäft zu machen, allen den
Demütigungen auszusetzen, welche die beiden Geneff von dem rohen Übermut der
deutschen und polnischen Gutsbesitzer nur alltäglich zu erleiden hatten, die dnrch
gemeine Späße sich für die geschäftlichen Kniffe der andern zu entschädigen
suchten. Meyer hatte eine einzige Tochter, Esther, deren Wuchs nicht als untadel-
haft gelten konnte, aber es war in der ganzen Provinz bekannt, daß der Vater
Kassenscheine genug auf die eine niedrigere Schulter zu legen vermochte, um mit
der andern, über Gebühr in die Höhe gezogenen einen Ausgleich herbeizuführen.
Die beiden Väter waren übereingekommen, aus Esther und Markus ein Paar
zu machen, und bei der erwähnten Geschäftsreise wurde letzterer der erstere"
ohne weitere Zeremonie als ihr zukünftiger Bräutigam vorgestellt. Markus
war über diese plötzliche und unerwartete Verfügung ganz betroffen, doch hatte
er auch bei dieser Gelegenheit nicht den Mut, einen andern Willen zu zeigen;
er ließ sich diese Vorstellung ruhig gefallen, wenn er auch keine allzu große
Freude über sein Glück bezeugte. Da Meyers Frau erst vor wenigen Wochen
gestorben war, so sollte die offizielle Verlobung nach Ablauf des Trauerjahres
gefeiert und verkündet werden.

Markus war niedergeschlagen in die Heimat zurückgekehrt und hatte jede
Begegnung mit Bertha vermieden. Er saß über seineu Handelsbüchern, er war
eifrig beim Sortiren der Wolle und dem Verladen des Spiritus, ließ sich aber
sonst nicht auf der Straße blicken. Nur des Abends spät machte er einen
einsamen Spaziergang. Unterdeß verbreitete sich das Gerücht vou Markus' Ver¬
sprechen mit der reichen Esther Meyer auch in dem Städtchen; den" der alte
Geneff hatte keine"? Gr"ut, ein Hehl daraus zu mache". Berthn, welche


Francesco von Rimini.

nächsten Ehrgeizes war der junge Markus Geneff, und es währte auch nicht
lange, so war es stadtbekannt, daß „dieser mit der Loeserbertha ging/' Am
wenigsten war der alte Geneff über diese Thatsache erfreut; er ließ es an
spitzigen Redensarten und ernsteren Ermahnungen gegen seinen einzigen Sohn,
an herabwürdigenden und abschreckenden Äußerungen gegen die Kantorslente nicht
fehlen. Aber wenn er auch von beiden Seiten keine Widerrede fand, so erfuhr
er doch einen passiven Widerstand. Markus, der seinem Vater gegenüber in¬
dolent war und keinen Mut zeigte, für seine Neigung einzustehen, setzte ohne
Rücksicht den Verkehr mit Bertha fort. Vater Geneff verfiel endlich auf einen
Staatsstreich. Bei einer mit seinem Sohne gemeinschaftlich unternommenen
Geschäftsreise brachte er diesen in das Haus eines reichen Geschäftsfreundes,
dessen Unternehmungen schon lange den Neid des jungen Murkus erweckt hatte».
Prangte doch an dem Hause des alten Meyer ein großes Schild „Bank- und
Wechselgeschäft," und wenngleich der Hauptumsatz der Firma in dem „Diskou-
tiren" von Wechseln der benachbarten Gutsbesitzer bestand, so hatte er diese
doch so sehr in seiner Gewalt, daß sie bei ihm vorfuhren und in seinem Kondor
die Geschäfte abschlossen. Meyer hatte nicht mehr nötig, die Klienten aufzu¬
suchen und sich in ihren Behausungen, um sein Geschäft zu machen, allen den
Demütigungen auszusetzen, welche die beiden Geneff von dem rohen Übermut der
deutschen und polnischen Gutsbesitzer nur alltäglich zu erleiden hatten, die dnrch
gemeine Späße sich für die geschäftlichen Kniffe der andern zu entschädigen
suchten. Meyer hatte eine einzige Tochter, Esther, deren Wuchs nicht als untadel-
haft gelten konnte, aber es war in der ganzen Provinz bekannt, daß der Vater
Kassenscheine genug auf die eine niedrigere Schulter zu legen vermochte, um mit
der andern, über Gebühr in die Höhe gezogenen einen Ausgleich herbeizuführen.
Die beiden Väter waren übereingekommen, aus Esther und Markus ein Paar
zu machen, und bei der erwähnten Geschäftsreise wurde letzterer der erstere»
ohne weitere Zeremonie als ihr zukünftiger Bräutigam vorgestellt. Markus
war über diese plötzliche und unerwartete Verfügung ganz betroffen, doch hatte
er auch bei dieser Gelegenheit nicht den Mut, einen andern Willen zu zeigen;
er ließ sich diese Vorstellung ruhig gefallen, wenn er auch keine allzu große
Freude über sein Glück bezeugte. Da Meyers Frau erst vor wenigen Wochen
gestorben war, so sollte die offizielle Verlobung nach Ablauf des Trauerjahres
gefeiert und verkündet werden.

Markus war niedergeschlagen in die Heimat zurückgekehrt und hatte jede
Begegnung mit Bertha vermieden. Er saß über seineu Handelsbüchern, er war
eifrig beim Sortiren der Wolle und dem Verladen des Spiritus, ließ sich aber
sonst nicht auf der Straße blicken. Nur des Abends spät machte er einen
einsamen Spaziergang. Unterdeß verbreitete sich das Gerücht vou Markus' Ver¬
sprechen mit der reichen Esther Meyer auch in dem Städtchen; den» der alte
Geneff hatte keine«? Gr»ut, ein Hehl daraus zu mache». Berthn, welche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/58>, abgerufen am 27.07.2024.