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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesco, von Rimini.

ebenfalls Kunde von dem für sie so erschütternden Ereignis erhalten hatte, gab
nicht so leicht ihr Spiel verloren, Sie hatte Tage lang vergebens versucht,
mit Markus zusammenzutreffen; endlich war es ihr gelungen, ihn des Abends,
als er vor die Stadt ging, zu erreichen und anzureden. Es war eine stürmische
Unterhaltung, deren Kosten zunächst nur von Bertha getragen wurden, welche,
als ihre Beredsamkeit auf ihren in verstockten Schweigen verharrenden Geliebten
ohne Eindruck blieb, zu dem wirksameren Mittel der Thränen griff. Erschüttert
sank sie nieder, und ihr Jammer rührte endlich auch ihren Begleiter; er ver¬
suchte ihre Thränen zu trocknen, streichelte ihre Wangen und ließ ihr schluch¬
zend bewegtes Haupt an seiner Brust ruhen. Es war ein milder Maienabend,
ringsum herrschte Stille und Dunkel, nur die Sterne leuchteten und in leisen
Lüften rauschten die Zweige. Diese Begegnung sollte über das Schicksal des
Paares entscheiden, wie so oft der Liebesgott auch die schlauesten Pläne zu¬
nichte macht.

Mehrere Wochen vergingen, oben daß eine Veränderung in der Situation
eingetreten war. Markus blieb eifrig bei seinem Handel und wich, soweit es
ging, jeder Zusammenkunft mit Bertha aus. Plötzlich aber gab es Szenen
ganz eigner Art in dem armseligen Kantvrhäuschen, und da in der kleinen Stadt
die Mauern der Häuser nicht allzudicht waren, so ging bald ein Gerücht, dos
immer lauter und lauter wurde, "es habe sich die schöne Loeserbertha mit dem
Geneffmarkus verfehlt." Es würde zuweit führen, die Wirkungen dieser nur
allzuwahren Thatsache bis ins Einzelne auf die Beteiligten zu verfolgen. Der
alte Geneff blieb hartnäckig bei seiner Weigerung, in eine so erzwungene Ehe
einzuwilligen, auch Markus war nicht standhaft geblieben und hatte sich schon
den freundlichen und unfreundlichen Ermahnungen des Vaters seinen Forde¬
rungen und Bitten gegenüber zum Gehorsam bereit erklärt, wenn der Vater
Bertha durch eine Geldentschädignng abfinden und zum Verlassen des Städtchens
bestimmen würde. Als diese größte Schwierigkeit überwunden war, kam von
dem Vater Meyer ein Absagebrief, der wenig schmeichelhaftes für das Haus
Geneff und Sohn enthielt. Bertha selbst benutzte diesen Zeitpunkt, um ihren
schwankenden Liebhaber wieder an sich zu fesseln; die ganze Bevölkerung skandalisirte
sich über die Weigerung des alten Geneff, bis dieser endlich nachgab und Bertha
Löcher die Frau von Markus Geneff wurde, noch rechtzeitig genug, um dem von
ihr gebornen Sohn Martin in ihrem Gatten einen rechtmäßigen Vater zu geben.

Der alte Geneff konnte diesen seinem Ehrgeiz versetzten Schlag nicht lange
verwinden; er überlebte das Ereignis, welches seinem Namen die Fortpflanzung
sicherte, nur kurze Zeit. Aber auch Bertha erntete zunächst von ihrer Ehe keine
Freude. Obwohl sie es nunmehr an Pracht und Schmuck mit jeder ihrer
Glaubensgenossinnen aufnehmen konnte, so gab es doch unter diesen einige prüde
Naturen, welche den Fehltritt Berthas nicht verziehen und diese deshalb nicht
für voll ansahen. Und da auch in einer kleinen Stadt üble Nachrede fester"


Grnizbowi IV. IW3, ?
Francesco, von Rimini.

ebenfalls Kunde von dem für sie so erschütternden Ereignis erhalten hatte, gab
nicht so leicht ihr Spiel verloren, Sie hatte Tage lang vergebens versucht,
mit Markus zusammenzutreffen; endlich war es ihr gelungen, ihn des Abends,
als er vor die Stadt ging, zu erreichen und anzureden. Es war eine stürmische
Unterhaltung, deren Kosten zunächst nur von Bertha getragen wurden, welche,
als ihre Beredsamkeit auf ihren in verstockten Schweigen verharrenden Geliebten
ohne Eindruck blieb, zu dem wirksameren Mittel der Thränen griff. Erschüttert
sank sie nieder, und ihr Jammer rührte endlich auch ihren Begleiter; er ver¬
suchte ihre Thränen zu trocknen, streichelte ihre Wangen und ließ ihr schluch¬
zend bewegtes Haupt an seiner Brust ruhen. Es war ein milder Maienabend,
ringsum herrschte Stille und Dunkel, nur die Sterne leuchteten und in leisen
Lüften rauschten die Zweige. Diese Begegnung sollte über das Schicksal des
Paares entscheiden, wie so oft der Liebesgott auch die schlauesten Pläne zu¬
nichte macht.

Mehrere Wochen vergingen, oben daß eine Veränderung in der Situation
eingetreten war. Markus blieb eifrig bei seinem Handel und wich, soweit es
ging, jeder Zusammenkunft mit Bertha aus. Plötzlich aber gab es Szenen
ganz eigner Art in dem armseligen Kantvrhäuschen, und da in der kleinen Stadt
die Mauern der Häuser nicht allzudicht waren, so ging bald ein Gerücht, dos
immer lauter und lauter wurde, „es habe sich die schöne Loeserbertha mit dem
Geneffmarkus verfehlt." Es würde zuweit führen, die Wirkungen dieser nur
allzuwahren Thatsache bis ins Einzelne auf die Beteiligten zu verfolgen. Der
alte Geneff blieb hartnäckig bei seiner Weigerung, in eine so erzwungene Ehe
einzuwilligen, auch Markus war nicht standhaft geblieben und hatte sich schon
den freundlichen und unfreundlichen Ermahnungen des Vaters seinen Forde¬
rungen und Bitten gegenüber zum Gehorsam bereit erklärt, wenn der Vater
Bertha durch eine Geldentschädignng abfinden und zum Verlassen des Städtchens
bestimmen würde. Als diese größte Schwierigkeit überwunden war, kam von
dem Vater Meyer ein Absagebrief, der wenig schmeichelhaftes für das Haus
Geneff und Sohn enthielt. Bertha selbst benutzte diesen Zeitpunkt, um ihren
schwankenden Liebhaber wieder an sich zu fesseln; die ganze Bevölkerung skandalisirte
sich über die Weigerung des alten Geneff, bis dieser endlich nachgab und Bertha
Löcher die Frau von Markus Geneff wurde, noch rechtzeitig genug, um dem von
ihr gebornen Sohn Martin in ihrem Gatten einen rechtmäßigen Vater zu geben.

Der alte Geneff konnte diesen seinem Ehrgeiz versetzten Schlag nicht lange
verwinden; er überlebte das Ereignis, welches seinem Namen die Fortpflanzung
sicherte, nur kurze Zeit. Aber auch Bertha erntete zunächst von ihrer Ehe keine
Freude. Obwohl sie es nunmehr an Pracht und Schmuck mit jeder ihrer
Glaubensgenossinnen aufnehmen konnte, so gab es doch unter diesen einige prüde
Naturen, welche den Fehltritt Berthas nicht verziehen und diese deshalb nicht
für voll ansahen. Und da auch in einer kleinen Stadt üble Nachrede fester»


Grnizbowi IV. IW3, ?
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/59>, abgerufen am 27.07.2024.