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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

gehen. Größe Archivstudien wird der Leser nicht zu befürchten haben; wie Na¬
poleon I., konnte auch Max Genöve sich als seineu eignen Ahnherrn betrachten.

Denn es gab eine Zeit, da Herr Max Geneff -- so schrieb er sich da¬
mals -- in einem kleinen Landstädtchen des "Großherzvgtums," wie man noch
immer die Provinz Posen nennt, als ein junger Bursche in das Geschäft seines
Vaters eintrat, d. h. mit ihm auf die umliegenden Dörfer reiste, den Guts¬
besitzern und Bauern ihre Produkte abkaufte und diese auch inrmer zu zi¬
vilem Preisen erstand, weil er in der Regel durch Vorschüsse vor der Ernte
gesorgt hatte, den Verkäufer für seine Angebote willfährig zu machen. Der
junge Max -- oder wie er damals hieß -- Markus Geneff war zu jener Zeit
ein kräftiger Bursche, der, weil er das Geschüft verstand, auch bald ein Gegenstand
des Verlangens wurde, auf welchen seine unverheirateten Glaubensgenossinnen
ihre Blicke warfen. Wenn er auch noch für Roggen, Gerste und Spiritus mehr
Interesse zeigte als für die feurigen Augen und schwarzen Locken seiner Lands¬
männinnen, so war er doch auch gegen die Schönen nicht unempfindlich, und
um den Sonn- nud Feiertagen ging er mit ihnen spazieren und erzählte ihnen
lustige Geschichten, wie er einem Konkurrenten zuvorgekommen war, oder einen
Gutsbesitzer, der ihn wegen seiner niedrigen Angebote oftmals hinnnsgeworfen,
endlich mürbe gemacht hatte. Am meisten gab er der jungen Bertha Löcher
deu Vorzug. Freilich standesgemäß war diese Neigung nicht. Der alte Löcher
gehörte keineswegs zu den Häuptern der kleinen Gemeinde; im Gegenteil, er
war Kantor, Lehrer und Schuaster, der mit einer großen Familie und einem
kleinen Gehalte vielfach auf die Extragratifikationen angewiesen war, welche ihm
bei den verschiednen festlichen Anlässen und Gelegenheiten von seine" reichen
und wohlthätigen Glaubensgenossen nach alter Sitte zuflössen. Bertha war
das älteste seiner Kinder, ein Mädchen, das neben einer auffallenden Schönheit
mich einen bedeutenden Ehrgeiz besaß. Es war eigentümlich, wie sich aus dieser
kleinen verarmten Familie von unschön gebildeten Eltern in elender Umgebung
eine so herrliche Gestalt entwickeln konnte. Es war ein merkwürdiges Natur¬
spiel, daß in dem Mädchen, ganz abweichend von ihrer Rasse, ein herrliches
blondes Geschöpf erblüht war, wie sich die dichterische Phantasie etwa eine
urgermanische Thusuelda vorstellen mochte. Keines ihrer Geschwister war ihr
ähnlich. Physiologen mögen diese Sonderbarkeit erklären, Skeptiker aber, welche
sie etwa in naturgemäßer Weise deuten wollten, würden bald eingesehen
haben, daß die Häßlichkeit der Mutter nicht geeignet war, eine Anziehungskraft
auf andre Männer als den alten, schiefen Kantor auszuüben. Berthas Ehrgeiz
war freilich in ihrer Jugend in den Gesichtskreis der kleinen Verhältnisse ge¬
bannt; aber in diesen träumte sie sich als Gattin eines wohlhabenden Händlers
und schmückte sich in Gedanken mit den goldnen Spangen und deu diamantenem
Ohr- und Fingerringen, mit denen sie die Frauen der Häupter glänzen sah,
wenn sie sich an den Festtagen in das Gotteshaus begaben. Das Ziel ihres


Francesca von Rimini.

gehen. Größe Archivstudien wird der Leser nicht zu befürchten haben; wie Na¬
poleon I., konnte auch Max Genöve sich als seineu eignen Ahnherrn betrachten.

Denn es gab eine Zeit, da Herr Max Geneff — so schrieb er sich da¬
mals — in einem kleinen Landstädtchen des „Großherzvgtums," wie man noch
immer die Provinz Posen nennt, als ein junger Bursche in das Geschäft seines
Vaters eintrat, d. h. mit ihm auf die umliegenden Dörfer reiste, den Guts¬
besitzern und Bauern ihre Produkte abkaufte und diese auch inrmer zu zi¬
vilem Preisen erstand, weil er in der Regel durch Vorschüsse vor der Ernte
gesorgt hatte, den Verkäufer für seine Angebote willfährig zu machen. Der
junge Max — oder wie er damals hieß — Markus Geneff war zu jener Zeit
ein kräftiger Bursche, der, weil er das Geschüft verstand, auch bald ein Gegenstand
des Verlangens wurde, auf welchen seine unverheirateten Glaubensgenossinnen
ihre Blicke warfen. Wenn er auch noch für Roggen, Gerste und Spiritus mehr
Interesse zeigte als für die feurigen Augen und schwarzen Locken seiner Lands¬
männinnen, so war er doch auch gegen die Schönen nicht unempfindlich, und
um den Sonn- nud Feiertagen ging er mit ihnen spazieren und erzählte ihnen
lustige Geschichten, wie er einem Konkurrenten zuvorgekommen war, oder einen
Gutsbesitzer, der ihn wegen seiner niedrigen Angebote oftmals hinnnsgeworfen,
endlich mürbe gemacht hatte. Am meisten gab er der jungen Bertha Löcher
deu Vorzug. Freilich standesgemäß war diese Neigung nicht. Der alte Löcher
gehörte keineswegs zu den Häuptern der kleinen Gemeinde; im Gegenteil, er
war Kantor, Lehrer und Schuaster, der mit einer großen Familie und einem
kleinen Gehalte vielfach auf die Extragratifikationen angewiesen war, welche ihm
bei den verschiednen festlichen Anlässen und Gelegenheiten von seine» reichen
und wohlthätigen Glaubensgenossen nach alter Sitte zuflössen. Bertha war
das älteste seiner Kinder, ein Mädchen, das neben einer auffallenden Schönheit
mich einen bedeutenden Ehrgeiz besaß. Es war eigentümlich, wie sich aus dieser
kleinen verarmten Familie von unschön gebildeten Eltern in elender Umgebung
eine so herrliche Gestalt entwickeln konnte. Es war ein merkwürdiges Natur¬
spiel, daß in dem Mädchen, ganz abweichend von ihrer Rasse, ein herrliches
blondes Geschöpf erblüht war, wie sich die dichterische Phantasie etwa eine
urgermanische Thusuelda vorstellen mochte. Keines ihrer Geschwister war ihr
ähnlich. Physiologen mögen diese Sonderbarkeit erklären, Skeptiker aber, welche
sie etwa in naturgemäßer Weise deuten wollten, würden bald eingesehen
haben, daß die Häßlichkeit der Mutter nicht geeignet war, eine Anziehungskraft
auf andre Männer als den alten, schiefen Kantor auszuüben. Berthas Ehrgeiz
war freilich in ihrer Jugend in den Gesichtskreis der kleinen Verhältnisse ge¬
bannt; aber in diesen träumte sie sich als Gattin eines wohlhabenden Händlers
und schmückte sich in Gedanken mit den goldnen Spangen und deu diamantenem
Ohr- und Fingerringen, mit denen sie die Frauen der Häupter glänzen sah,
wenn sie sich an den Festtagen in das Gotteshaus begaben. Das Ziel ihres


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[0057] Francesca von Rimini. gehen. Größe Archivstudien wird der Leser nicht zu befürchten haben; wie Na¬ poleon I., konnte auch Max Genöve sich als seineu eignen Ahnherrn betrachten. Denn es gab eine Zeit, da Herr Max Geneff — so schrieb er sich da¬ mals — in einem kleinen Landstädtchen des „Großherzvgtums," wie man noch immer die Provinz Posen nennt, als ein junger Bursche in das Geschäft seines Vaters eintrat, d. h. mit ihm auf die umliegenden Dörfer reiste, den Guts¬ besitzern und Bauern ihre Produkte abkaufte und diese auch inrmer zu zi¬ vilem Preisen erstand, weil er in der Regel durch Vorschüsse vor der Ernte gesorgt hatte, den Verkäufer für seine Angebote willfährig zu machen. Der junge Max — oder wie er damals hieß — Markus Geneff war zu jener Zeit ein kräftiger Bursche, der, weil er das Geschüft verstand, auch bald ein Gegenstand des Verlangens wurde, auf welchen seine unverheirateten Glaubensgenossinnen ihre Blicke warfen. Wenn er auch noch für Roggen, Gerste und Spiritus mehr Interesse zeigte als für die feurigen Augen und schwarzen Locken seiner Lands¬ männinnen, so war er doch auch gegen die Schönen nicht unempfindlich, und um den Sonn- nud Feiertagen ging er mit ihnen spazieren und erzählte ihnen lustige Geschichten, wie er einem Konkurrenten zuvorgekommen war, oder einen Gutsbesitzer, der ihn wegen seiner niedrigen Angebote oftmals hinnnsgeworfen, endlich mürbe gemacht hatte. Am meisten gab er der jungen Bertha Löcher deu Vorzug. Freilich standesgemäß war diese Neigung nicht. Der alte Löcher gehörte keineswegs zu den Häuptern der kleinen Gemeinde; im Gegenteil, er war Kantor, Lehrer und Schuaster, der mit einer großen Familie und einem kleinen Gehalte vielfach auf die Extragratifikationen angewiesen war, welche ihm bei den verschiednen festlichen Anlässen und Gelegenheiten von seine» reichen und wohlthätigen Glaubensgenossen nach alter Sitte zuflössen. Bertha war das älteste seiner Kinder, ein Mädchen, das neben einer auffallenden Schönheit mich einen bedeutenden Ehrgeiz besaß. Es war eigentümlich, wie sich aus dieser kleinen verarmten Familie von unschön gebildeten Eltern in elender Umgebung eine so herrliche Gestalt entwickeln konnte. Es war ein merkwürdiges Natur¬ spiel, daß in dem Mädchen, ganz abweichend von ihrer Rasse, ein herrliches blondes Geschöpf erblüht war, wie sich die dichterische Phantasie etwa eine urgermanische Thusuelda vorstellen mochte. Keines ihrer Geschwister war ihr ähnlich. Physiologen mögen diese Sonderbarkeit erklären, Skeptiker aber, welche sie etwa in naturgemäßer Weise deuten wollten, würden bald eingesehen haben, daß die Häßlichkeit der Mutter nicht geeignet war, eine Anziehungskraft auf andre Männer als den alten, schiefen Kantor auszuüben. Berthas Ehrgeiz war freilich in ihrer Jugend in den Gesichtskreis der kleinen Verhältnisse ge¬ bannt; aber in diesen träumte sie sich als Gattin eines wohlhabenden Händlers und schmückte sich in Gedanken mit den goldnen Spangen und deu diamantenem Ohr- und Fingerringen, mit denen sie die Frauen der Häupter glänzen sah, wenn sie sich an den Festtagen in das Gotteshaus begaben. Das Ziel ihres

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/57>, abgerufen am 27.07.2024.