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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Sieg des Mahdi im Sudan.

ihm angeregte und geleitete Bewegung hatten, und deshalb das Gladstoncschc
K-mÄs on'! auch hier angewendet wissen wollten. Man betrachtete ihn wie eine
arabische Ausgabe Bolivars oder Garibaldis, etwas barbarisch, etwas tollkühn,
aber in der Hauptsache auf richtigem Wege, als das Mundstück des neuen
Gefühls und Feldgeschreis: "Ägypten für die Ägypter!" Warum sollte er sein
Land nicht von der Ausbeutung durch die Fremden, durch die türkischen und
tscherkessischen Blutsauger und durch die fränkischen, jüdischen und griechischen
Wucherer befreien? Warum sollte die edle Pflanze der Vaterlandsliebe nicht
auch an den Ufern des Nil wachsen und gedeihen dürfen? Diese Idealisten
stimmten aber sehr bald ein ganz andres Lied an, als sie die Entdeckung machten,
daß der Anhang Arabis, was er selbst auch von seinen: Unternehmen denken
und träumen mochte, in der Bewegung nur eine gute Gelegenheit erblickte, dem
Islam in Ägypten wieder Oberwasser zu verschaffen. Der muhamedanische
Fanatismus lieferte nicht bloß den Sturm, sondern erfaßte auch das Steuer¬
ruder, und ehe viele Monate ins Land gingen, floh jeder Europäer im Innern
vor dem losbrechenden Gewitter des muslimischen Hasses gegen die Giaurs.

Was aber von Arabi galt, das gilt jetzt in weit höherem Grade vom
Propheten Muhamed Achmed. Jener war durch den Verkehr mit Leuten aus
Europa gemäßigt, und man konnte sich an seine Menschlichkeit und andrerseits
an seine Kenntnis der Macht der Franken wenden. Dieser weiß nichts von der
zivilisirteu Welt und ihrer Bedeutung in militärischen Dingen, nichts von Furcht
vor ihr, und vermutlich erreicht sein Ohr kein verständiger Rat, der ihn auf¬
klärte. Arabis Ansprüche auf die Führerschaft an der Spitze des Islam waren
weltlicher und indirekter Art. Der Mahdi des Sudan geberdet sich als Nach¬
folger Muhameds, als ein zweiter Messias. Seine Stärke liegt im Appell an
die religiöse Inbrunst und Begeisterung fanatischer Derwische und wilder Araber-
und Negerstämme, und mit noch ein paar Siegen könnte er den größten Teil
der Muslime zu einem großen heiligen Kriege gegen die Ungläubigen entzünden.
Nachrichten von seinem ersten bedeutenden Erfolge werden in Gestalt von Ge¬
rüchten mit reichlicher Übertreibung sich mit Windeseile verbreiten, über das
Rote Meer hinfliegen und wie Brandpfeile auf die Landschaften Asiens nieder¬
fallen, wo der Islam seine Wurzeln und noch heute seine heiligsten Stätten
hat. Muhamed Achmed wird unter den mehr politisch denkenden seiner Anhänger
als Rächer Arabis gelten, während das weniger gebildete und das ganz un¬
wissende Volk die Kunde von seinem Siege als Beweis ansehen wird, daß der
prophezeite Mahdi in seiner Person endlich in Wahrheit erschienen ist.

Eine solche Aufregung der Gefühle in der muslimischen Welt kann, wie
sich von selbst versteht, von dem Beherrscher Indiens, wo die Muhamedaner,
wenn nicht das an Zahl stärkste, doch das kräftigste und tapferste Element der
Bevölkerung bilden, nicht mit Gleichgiltigkeit betrachtet und behandelt werden.
Aber mit seiner gegenwärtigen Stellung in Ägypten hat England überdies eine


Der Sieg des Mahdi im Sudan.

ihm angeregte und geleitete Bewegung hatten, und deshalb das Gladstoncschc
K-mÄs on'! auch hier angewendet wissen wollten. Man betrachtete ihn wie eine
arabische Ausgabe Bolivars oder Garibaldis, etwas barbarisch, etwas tollkühn,
aber in der Hauptsache auf richtigem Wege, als das Mundstück des neuen
Gefühls und Feldgeschreis: „Ägypten für die Ägypter!" Warum sollte er sein
Land nicht von der Ausbeutung durch die Fremden, durch die türkischen und
tscherkessischen Blutsauger und durch die fränkischen, jüdischen und griechischen
Wucherer befreien? Warum sollte die edle Pflanze der Vaterlandsliebe nicht
auch an den Ufern des Nil wachsen und gedeihen dürfen? Diese Idealisten
stimmten aber sehr bald ein ganz andres Lied an, als sie die Entdeckung machten,
daß der Anhang Arabis, was er selbst auch von seinen: Unternehmen denken
und träumen mochte, in der Bewegung nur eine gute Gelegenheit erblickte, dem
Islam in Ägypten wieder Oberwasser zu verschaffen. Der muhamedanische
Fanatismus lieferte nicht bloß den Sturm, sondern erfaßte auch das Steuer¬
ruder, und ehe viele Monate ins Land gingen, floh jeder Europäer im Innern
vor dem losbrechenden Gewitter des muslimischen Hasses gegen die Giaurs.

Was aber von Arabi galt, das gilt jetzt in weit höherem Grade vom
Propheten Muhamed Achmed. Jener war durch den Verkehr mit Leuten aus
Europa gemäßigt, und man konnte sich an seine Menschlichkeit und andrerseits
an seine Kenntnis der Macht der Franken wenden. Dieser weiß nichts von der
zivilisirteu Welt und ihrer Bedeutung in militärischen Dingen, nichts von Furcht
vor ihr, und vermutlich erreicht sein Ohr kein verständiger Rat, der ihn auf¬
klärte. Arabis Ansprüche auf die Führerschaft an der Spitze des Islam waren
weltlicher und indirekter Art. Der Mahdi des Sudan geberdet sich als Nach¬
folger Muhameds, als ein zweiter Messias. Seine Stärke liegt im Appell an
die religiöse Inbrunst und Begeisterung fanatischer Derwische und wilder Araber-
und Negerstämme, und mit noch ein paar Siegen könnte er den größten Teil
der Muslime zu einem großen heiligen Kriege gegen die Ungläubigen entzünden.
Nachrichten von seinem ersten bedeutenden Erfolge werden in Gestalt von Ge¬
rüchten mit reichlicher Übertreibung sich mit Windeseile verbreiten, über das
Rote Meer hinfliegen und wie Brandpfeile auf die Landschaften Asiens nieder¬
fallen, wo der Islam seine Wurzeln und noch heute seine heiligsten Stätten
hat. Muhamed Achmed wird unter den mehr politisch denkenden seiner Anhänger
als Rächer Arabis gelten, während das weniger gebildete und das ganz un¬
wissende Volk die Kunde von seinem Siege als Beweis ansehen wird, daß der
prophezeite Mahdi in seiner Person endlich in Wahrheit erschienen ist.

Eine solche Aufregung der Gefühle in der muslimischen Welt kann, wie
sich von selbst versteht, von dem Beherrscher Indiens, wo die Muhamedaner,
wenn nicht das an Zahl stärkste, doch das kräftigste und tapferste Element der
Bevölkerung bilden, nicht mit Gleichgiltigkeit betrachtet und behandelt werden.
Aber mit seiner gegenwärtigen Stellung in Ägypten hat England überdies eine


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[0543] Der Sieg des Mahdi im Sudan. ihm angeregte und geleitete Bewegung hatten, und deshalb das Gladstoncschc K-mÄs on'! auch hier angewendet wissen wollten. Man betrachtete ihn wie eine arabische Ausgabe Bolivars oder Garibaldis, etwas barbarisch, etwas tollkühn, aber in der Hauptsache auf richtigem Wege, als das Mundstück des neuen Gefühls und Feldgeschreis: „Ägypten für die Ägypter!" Warum sollte er sein Land nicht von der Ausbeutung durch die Fremden, durch die türkischen und tscherkessischen Blutsauger und durch die fränkischen, jüdischen und griechischen Wucherer befreien? Warum sollte die edle Pflanze der Vaterlandsliebe nicht auch an den Ufern des Nil wachsen und gedeihen dürfen? Diese Idealisten stimmten aber sehr bald ein ganz andres Lied an, als sie die Entdeckung machten, daß der Anhang Arabis, was er selbst auch von seinen: Unternehmen denken und träumen mochte, in der Bewegung nur eine gute Gelegenheit erblickte, dem Islam in Ägypten wieder Oberwasser zu verschaffen. Der muhamedanische Fanatismus lieferte nicht bloß den Sturm, sondern erfaßte auch das Steuer¬ ruder, und ehe viele Monate ins Land gingen, floh jeder Europäer im Innern vor dem losbrechenden Gewitter des muslimischen Hasses gegen die Giaurs. Was aber von Arabi galt, das gilt jetzt in weit höherem Grade vom Propheten Muhamed Achmed. Jener war durch den Verkehr mit Leuten aus Europa gemäßigt, und man konnte sich an seine Menschlichkeit und andrerseits an seine Kenntnis der Macht der Franken wenden. Dieser weiß nichts von der zivilisirteu Welt und ihrer Bedeutung in militärischen Dingen, nichts von Furcht vor ihr, und vermutlich erreicht sein Ohr kein verständiger Rat, der ihn auf¬ klärte. Arabis Ansprüche auf die Führerschaft an der Spitze des Islam waren weltlicher und indirekter Art. Der Mahdi des Sudan geberdet sich als Nach¬ folger Muhameds, als ein zweiter Messias. Seine Stärke liegt im Appell an die religiöse Inbrunst und Begeisterung fanatischer Derwische und wilder Araber- und Negerstämme, und mit noch ein paar Siegen könnte er den größten Teil der Muslime zu einem großen heiligen Kriege gegen die Ungläubigen entzünden. Nachrichten von seinem ersten bedeutenden Erfolge werden in Gestalt von Ge¬ rüchten mit reichlicher Übertreibung sich mit Windeseile verbreiten, über das Rote Meer hinfliegen und wie Brandpfeile auf die Landschaften Asiens nieder¬ fallen, wo der Islam seine Wurzeln und noch heute seine heiligsten Stätten hat. Muhamed Achmed wird unter den mehr politisch denkenden seiner Anhänger als Rächer Arabis gelten, während das weniger gebildete und das ganz un¬ wissende Volk die Kunde von seinem Siege als Beweis ansehen wird, daß der prophezeite Mahdi in seiner Person endlich in Wahrheit erschienen ist. Eine solche Aufregung der Gefühle in der muslimischen Welt kann, wie sich von selbst versteht, von dem Beherrscher Indiens, wo die Muhamedaner, wenn nicht das an Zahl stärkste, doch das kräftigste und tapferste Element der Bevölkerung bilden, nicht mit Gleichgiltigkeit betrachtet und behandelt werden. Aber mit seiner gegenwärtigen Stellung in Ägypten hat England überdies eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/543>, abgerufen am 28.07.2024.