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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Sieg des Mahdi im Sudan,

Verantwortlichkeit übernommen, die über sein eignes Interesse hinausreicht. Die
französische Regierung geht die Sache wegen ihrer Besitzungen in Tunis und
Algerien sehr nahe an: ihr muß jeder erfolgreiche Ausbruch muhamedanischer
Bigotterie in Nordafrika sehr unwillkommen und bedrohlich erscheinen. Mit
gutem Grunde können die Franzosen Herrn Gladstone zurufen: "Ihr dränget
mit Waffengewalt in Ägypten ein, ihr schlüget und zerstreutet seine Armee;
wäre das nicht geschehen, so würde der Aufstand im Sudan längst nieder¬
geworfen und erstickt sein. Wir machen euch Engländer vor der Christenheit ver¬
antwortlich, ihr müßt jetzt die Gefahr unterdrücken, welche eure Einmischung
heraufbeschwor und bis heute wachsen ließ. Wollt ihr das nicht, so tretet bei¬
seite und laßt uns die Angelegenheit besorgen." Was wollte man darauf ant¬
worten?

England hat ein Schiff zur Sicherung von Suakim abgehen lassen, und
dem Vernehmen nach sollen ihm noch einige folgen. Es wird aber auch zu
Laude etwas für den Khedive thun müssen. Vor allem muß Chartum mit bri¬
tischer Hilfe gesichert werden, damit der Ausbreitung des Aufstandes nach
Norden ein Ziel gesetzt werde. Dann wird man zu erwägen haben, ob man
Ägypten erlauben dürfe, den Versuch zur Wiedereroberung des Sudan zu machen,
und ob man es dabei unterstützen solle, oder ob es sachgemäßer sei, dein Khedive
zu raten, sich den Rock nur so lang zu schneiden, als sein Tuchvorrat reicht,
d. h. den Sudan südlich von Dongola, Berber und Chartum aufzugeben und
dem Mahdi zu überlassen.

Dabei würde die Unterdrückung des Sklavenhandels in Frage kommen, der
von hier aus bis vor kurzem schwunghaft betrieben wurde. Wir selbst unter¬
suchen diese Frage nicht, lassen aber ein konservatives englisches Blatt darüber
seine Meinung äußern. "Wir haben, sagt der vint/ lölcMaxK, mit beträcht¬
lichen Geld- und Menschenopfern und mehr als einmal auf die Gefahr eiues
Krieges hin den überseeischen Sklavenhandel unterdrückt ^natürlich keineswegs
aus purer Menschen- und Freiheitsliebe j, aber der Handel, welcher die Musel¬
männer Afrikas und Asiens mit Haussklaven versieht, hat seine Wurzel und
seinen Mittelpunkt im Sudan. Um diesem Handel Waare zu liefern, sind in
der gauzen, jetzt von den Anhängern des Mahdi besetzten Gegend Kriege her¬
vorgerufen und Grausamkeiten verübt worden. Die Ausrottung dieses Übels
würde England Zeit, Geld und Menschen kosten. Aber wenn es ein menschen¬
freundlicher Antrieb drängte, seine Pflicht zu thun, so würde die Erfüllung der¬
selbe,: sicherlich in seiner Gewalt sein. Wenn es indessen infolge kluger Über¬
legung davon absieht, so kann kein andrer Staat wagen, es zu übernehmen.
Was das reiche und mächtige England nicht thun könnte, das würde das mit
Schulden beladene und von den Folgen einer Empörung und eines Krieges
noch nicht wieder genehme Ägypten gewiß nicht einmal versuchen. Deshalb ist
es für uns eine moralische Unmöglichkeit, den Khedive zu nötigen, den Sudan


Der Sieg des Mahdi im Sudan,

Verantwortlichkeit übernommen, die über sein eignes Interesse hinausreicht. Die
französische Regierung geht die Sache wegen ihrer Besitzungen in Tunis und
Algerien sehr nahe an: ihr muß jeder erfolgreiche Ausbruch muhamedanischer
Bigotterie in Nordafrika sehr unwillkommen und bedrohlich erscheinen. Mit
gutem Grunde können die Franzosen Herrn Gladstone zurufen: „Ihr dränget
mit Waffengewalt in Ägypten ein, ihr schlüget und zerstreutet seine Armee;
wäre das nicht geschehen, so würde der Aufstand im Sudan längst nieder¬
geworfen und erstickt sein. Wir machen euch Engländer vor der Christenheit ver¬
antwortlich, ihr müßt jetzt die Gefahr unterdrücken, welche eure Einmischung
heraufbeschwor und bis heute wachsen ließ. Wollt ihr das nicht, so tretet bei¬
seite und laßt uns die Angelegenheit besorgen." Was wollte man darauf ant¬
worten?

England hat ein Schiff zur Sicherung von Suakim abgehen lassen, und
dem Vernehmen nach sollen ihm noch einige folgen. Es wird aber auch zu
Laude etwas für den Khedive thun müssen. Vor allem muß Chartum mit bri¬
tischer Hilfe gesichert werden, damit der Ausbreitung des Aufstandes nach
Norden ein Ziel gesetzt werde. Dann wird man zu erwägen haben, ob man
Ägypten erlauben dürfe, den Versuch zur Wiedereroberung des Sudan zu machen,
und ob man es dabei unterstützen solle, oder ob es sachgemäßer sei, dein Khedive
zu raten, sich den Rock nur so lang zu schneiden, als sein Tuchvorrat reicht,
d. h. den Sudan südlich von Dongola, Berber und Chartum aufzugeben und
dem Mahdi zu überlassen.

Dabei würde die Unterdrückung des Sklavenhandels in Frage kommen, der
von hier aus bis vor kurzem schwunghaft betrieben wurde. Wir selbst unter¬
suchen diese Frage nicht, lassen aber ein konservatives englisches Blatt darüber
seine Meinung äußern. „Wir haben, sagt der vint/ lölcMaxK, mit beträcht¬
lichen Geld- und Menschenopfern und mehr als einmal auf die Gefahr eiues
Krieges hin den überseeischen Sklavenhandel unterdrückt ^natürlich keineswegs
aus purer Menschen- und Freiheitsliebe j, aber der Handel, welcher die Musel¬
männer Afrikas und Asiens mit Haussklaven versieht, hat seine Wurzel und
seinen Mittelpunkt im Sudan. Um diesem Handel Waare zu liefern, sind in
der gauzen, jetzt von den Anhängern des Mahdi besetzten Gegend Kriege her¬
vorgerufen und Grausamkeiten verübt worden. Die Ausrottung dieses Übels
würde England Zeit, Geld und Menschen kosten. Aber wenn es ein menschen¬
freundlicher Antrieb drängte, seine Pflicht zu thun, so würde die Erfüllung der¬
selbe,: sicherlich in seiner Gewalt sein. Wenn es indessen infolge kluger Über¬
legung davon absieht, so kann kein andrer Staat wagen, es zu übernehmen.
Was das reiche und mächtige England nicht thun könnte, das würde das mit
Schulden beladene und von den Folgen einer Empörung und eines Krieges
noch nicht wieder genehme Ägypten gewiß nicht einmal versuchen. Deshalb ist
es für uns eine moralische Unmöglichkeit, den Khedive zu nötigen, den Sudan


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[0544] Der Sieg des Mahdi im Sudan, Verantwortlichkeit übernommen, die über sein eignes Interesse hinausreicht. Die französische Regierung geht die Sache wegen ihrer Besitzungen in Tunis und Algerien sehr nahe an: ihr muß jeder erfolgreiche Ausbruch muhamedanischer Bigotterie in Nordafrika sehr unwillkommen und bedrohlich erscheinen. Mit gutem Grunde können die Franzosen Herrn Gladstone zurufen: „Ihr dränget mit Waffengewalt in Ägypten ein, ihr schlüget und zerstreutet seine Armee; wäre das nicht geschehen, so würde der Aufstand im Sudan längst nieder¬ geworfen und erstickt sein. Wir machen euch Engländer vor der Christenheit ver¬ antwortlich, ihr müßt jetzt die Gefahr unterdrücken, welche eure Einmischung heraufbeschwor und bis heute wachsen ließ. Wollt ihr das nicht, so tretet bei¬ seite und laßt uns die Angelegenheit besorgen." Was wollte man darauf ant¬ worten? England hat ein Schiff zur Sicherung von Suakim abgehen lassen, und dem Vernehmen nach sollen ihm noch einige folgen. Es wird aber auch zu Laude etwas für den Khedive thun müssen. Vor allem muß Chartum mit bri¬ tischer Hilfe gesichert werden, damit der Ausbreitung des Aufstandes nach Norden ein Ziel gesetzt werde. Dann wird man zu erwägen haben, ob man Ägypten erlauben dürfe, den Versuch zur Wiedereroberung des Sudan zu machen, und ob man es dabei unterstützen solle, oder ob es sachgemäßer sei, dein Khedive zu raten, sich den Rock nur so lang zu schneiden, als sein Tuchvorrat reicht, d. h. den Sudan südlich von Dongola, Berber und Chartum aufzugeben und dem Mahdi zu überlassen. Dabei würde die Unterdrückung des Sklavenhandels in Frage kommen, der von hier aus bis vor kurzem schwunghaft betrieben wurde. Wir selbst unter¬ suchen diese Frage nicht, lassen aber ein konservatives englisches Blatt darüber seine Meinung äußern. „Wir haben, sagt der vint/ lölcMaxK, mit beträcht¬ lichen Geld- und Menschenopfern und mehr als einmal auf die Gefahr eiues Krieges hin den überseeischen Sklavenhandel unterdrückt ^natürlich keineswegs aus purer Menschen- und Freiheitsliebe j, aber der Handel, welcher die Musel¬ männer Afrikas und Asiens mit Haussklaven versieht, hat seine Wurzel und seinen Mittelpunkt im Sudan. Um diesem Handel Waare zu liefern, sind in der gauzen, jetzt von den Anhängern des Mahdi besetzten Gegend Kriege her¬ vorgerufen und Grausamkeiten verübt worden. Die Ausrottung dieses Übels würde England Zeit, Geld und Menschen kosten. Aber wenn es ein menschen¬ freundlicher Antrieb drängte, seine Pflicht zu thun, so würde die Erfüllung der¬ selbe,: sicherlich in seiner Gewalt sein. Wenn es indessen infolge kluger Über¬ legung davon absieht, so kann kein andrer Staat wagen, es zu übernehmen. Was das reiche und mächtige England nicht thun könnte, das würde das mit Schulden beladene und von den Folgen einer Empörung und eines Krieges noch nicht wieder genehme Ägypten gewiß nicht einmal versuchen. Deshalb ist es für uns eine moralische Unmöglichkeit, den Khedive zu nötigen, den Sudan

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/544>, abgerufen am 28.07.2024.