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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Sieg des Mahdi im Sudan.

vor ihr schließt. Diese Halbheit in allen Schritten und Maßregeln der neuesten
englischen Politik hat jetzt die Niederlage einer Regierung zvr Folge gehabt,
die mau nie ganz unterstützt und nie ganz freigestellt hatte. Eine radikale
Politik, die Ägypten als für England nicht vorhanden betrachtet hätte, wäre
wenigstens konsequent gewesen, wenn sie auch Frankreich die Herrschaft über
Kairo und den Kanal, die Straße nach Indien, überlassen hätte. Die entgegen¬
gesetzte Politik einer wirklichen Schntzherrschaft würde Englands Interessen sicher¬
gestellt und Ägyptens Gedeihen gefördert haben. Aber das halbschürigc Ver¬
fahren Gladstones schloß alle möglichen Gefahren und keinen einzigen Vorteil
ein. Man hat englischerseits reichlich dazu beigetragen, die Regierung des
Khedive moralisch und militärisch zu schwächen, und man hat ihn dann nicht
genügend durch Rat und Mitwirkung unterstützt, um die Schwächung wieder
auszugleichen. Die im Sudan geschlagene Armee war ans den Trümmern der
von England bei Tel El Kebir zerstreuten Bataillone zusammengesetzt, und der
Feldzug gegen den Propheten Muhamed Achmed wurde ohne die Billigung und
den Beistand der britischen Regierung unternommen und trug deshalb von
vornherein den Stempel der Unvorsichtigkeit und Überstürzung um sich, die
bei einer orientalischen Macht, welche in der Genesung begriffen, aber noch
schwach war, nur natürlich erscheinen müssen. Man hat einen Fürsten, dem"
man wieder auf seinen Thron verholfen hatte, und dessen ganze Stärke in der
Anwesenheit der englischen Truppen in seinem Lande bestand, gestattet, den Un¬
abhängigen zu spielen und schwere Thorheit zu begehen, und jetzt sieht man sich
gezwungen, die Pflicht, ihn zu leiten, wieder aufzunehmen und ihn wieder zu
kontroliren.

Diese Pflicht entspringt nicht allein aus der Verantwortlichkeit, die man
mit dem bisherigen Verhalten gegen Tewfik übernommen hat, sondern, wie schon
angedeutet, aus dem ganzen Kreise der englischen Interessen im Morgenlande.
England ist hier nicht bloß eine große muhamedanische Macht, sondern kommt
dnrch seinen ausgebreiteten Handel im Osten in weit nähere Berührung mit
dem Islam als irgend ein andrer europäischer Staat. Die Ruhe in Indien
und die Sicherheit von Leben und Eigentum in den Ländern des Orients, wo
britische Kaufleute reisen oder ansässig sind, hängen wesentlich von der Abnahme
des fanatischen Hasses ab, der früher den Verkehr zwischen Muslimen und
Christen beinahe zur Unmöglichkeit machte. Wenn sich eine neue Welle des
Neligionshasses in Afrika erhebt, nach Arabien hinüberwvgt und schließlich das
ganze Morgenland bis nach den Bergen und Ebnen Hindustans überflutet, so
würde das, wenn ihn: nicht ein Damm entgegengesetzt würde, eine außerordent¬
liche Gefahr für England sein und wahrscheinlich eine verhängnisvolle Schä¬
digung der materiellen Interessen desselben herbeiführen.

Als Arabi Pascha zuerst von sich reden machte, gab es in London nicht
wenige Stimmen, selbst in der höheren Beamtenwelt, die nichts gegen die von


Der Sieg des Mahdi im Sudan.

vor ihr schließt. Diese Halbheit in allen Schritten und Maßregeln der neuesten
englischen Politik hat jetzt die Niederlage einer Regierung zvr Folge gehabt,
die mau nie ganz unterstützt und nie ganz freigestellt hatte. Eine radikale
Politik, die Ägypten als für England nicht vorhanden betrachtet hätte, wäre
wenigstens konsequent gewesen, wenn sie auch Frankreich die Herrschaft über
Kairo und den Kanal, die Straße nach Indien, überlassen hätte. Die entgegen¬
gesetzte Politik einer wirklichen Schntzherrschaft würde Englands Interessen sicher¬
gestellt und Ägyptens Gedeihen gefördert haben. Aber das halbschürigc Ver¬
fahren Gladstones schloß alle möglichen Gefahren und keinen einzigen Vorteil
ein. Man hat englischerseits reichlich dazu beigetragen, die Regierung des
Khedive moralisch und militärisch zu schwächen, und man hat ihn dann nicht
genügend durch Rat und Mitwirkung unterstützt, um die Schwächung wieder
auszugleichen. Die im Sudan geschlagene Armee war ans den Trümmern der
von England bei Tel El Kebir zerstreuten Bataillone zusammengesetzt, und der
Feldzug gegen den Propheten Muhamed Achmed wurde ohne die Billigung und
den Beistand der britischen Regierung unternommen und trug deshalb von
vornherein den Stempel der Unvorsichtigkeit und Überstürzung um sich, die
bei einer orientalischen Macht, welche in der Genesung begriffen, aber noch
schwach war, nur natürlich erscheinen müssen. Man hat einen Fürsten, dem"
man wieder auf seinen Thron verholfen hatte, und dessen ganze Stärke in der
Anwesenheit der englischen Truppen in seinem Lande bestand, gestattet, den Un¬
abhängigen zu spielen und schwere Thorheit zu begehen, und jetzt sieht man sich
gezwungen, die Pflicht, ihn zu leiten, wieder aufzunehmen und ihn wieder zu
kontroliren.

Diese Pflicht entspringt nicht allein aus der Verantwortlichkeit, die man
mit dem bisherigen Verhalten gegen Tewfik übernommen hat, sondern, wie schon
angedeutet, aus dem ganzen Kreise der englischen Interessen im Morgenlande.
England ist hier nicht bloß eine große muhamedanische Macht, sondern kommt
dnrch seinen ausgebreiteten Handel im Osten in weit nähere Berührung mit
dem Islam als irgend ein andrer europäischer Staat. Die Ruhe in Indien
und die Sicherheit von Leben und Eigentum in den Ländern des Orients, wo
britische Kaufleute reisen oder ansässig sind, hängen wesentlich von der Abnahme
des fanatischen Hasses ab, der früher den Verkehr zwischen Muslimen und
Christen beinahe zur Unmöglichkeit machte. Wenn sich eine neue Welle des
Neligionshasses in Afrika erhebt, nach Arabien hinüberwvgt und schließlich das
ganze Morgenland bis nach den Bergen und Ebnen Hindustans überflutet, so
würde das, wenn ihn: nicht ein Damm entgegengesetzt würde, eine außerordent¬
liche Gefahr für England sein und wahrscheinlich eine verhängnisvolle Schä¬
digung der materiellen Interessen desselben herbeiführen.

Als Arabi Pascha zuerst von sich reden machte, gab es in London nicht
wenige Stimmen, selbst in der höheren Beamtenwelt, die nichts gegen die von


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[0542] Der Sieg des Mahdi im Sudan. vor ihr schließt. Diese Halbheit in allen Schritten und Maßregeln der neuesten englischen Politik hat jetzt die Niederlage einer Regierung zvr Folge gehabt, die mau nie ganz unterstützt und nie ganz freigestellt hatte. Eine radikale Politik, die Ägypten als für England nicht vorhanden betrachtet hätte, wäre wenigstens konsequent gewesen, wenn sie auch Frankreich die Herrschaft über Kairo und den Kanal, die Straße nach Indien, überlassen hätte. Die entgegen¬ gesetzte Politik einer wirklichen Schntzherrschaft würde Englands Interessen sicher¬ gestellt und Ägyptens Gedeihen gefördert haben. Aber das halbschürigc Ver¬ fahren Gladstones schloß alle möglichen Gefahren und keinen einzigen Vorteil ein. Man hat englischerseits reichlich dazu beigetragen, die Regierung des Khedive moralisch und militärisch zu schwächen, und man hat ihn dann nicht genügend durch Rat und Mitwirkung unterstützt, um die Schwächung wieder auszugleichen. Die im Sudan geschlagene Armee war ans den Trümmern der von England bei Tel El Kebir zerstreuten Bataillone zusammengesetzt, und der Feldzug gegen den Propheten Muhamed Achmed wurde ohne die Billigung und den Beistand der britischen Regierung unternommen und trug deshalb von vornherein den Stempel der Unvorsichtigkeit und Überstürzung um sich, die bei einer orientalischen Macht, welche in der Genesung begriffen, aber noch schwach war, nur natürlich erscheinen müssen. Man hat einen Fürsten, dem" man wieder auf seinen Thron verholfen hatte, und dessen ganze Stärke in der Anwesenheit der englischen Truppen in seinem Lande bestand, gestattet, den Un¬ abhängigen zu spielen und schwere Thorheit zu begehen, und jetzt sieht man sich gezwungen, die Pflicht, ihn zu leiten, wieder aufzunehmen und ihn wieder zu kontroliren. Diese Pflicht entspringt nicht allein aus der Verantwortlichkeit, die man mit dem bisherigen Verhalten gegen Tewfik übernommen hat, sondern, wie schon angedeutet, aus dem ganzen Kreise der englischen Interessen im Morgenlande. England ist hier nicht bloß eine große muhamedanische Macht, sondern kommt dnrch seinen ausgebreiteten Handel im Osten in weit nähere Berührung mit dem Islam als irgend ein andrer europäischer Staat. Die Ruhe in Indien und die Sicherheit von Leben und Eigentum in den Ländern des Orients, wo britische Kaufleute reisen oder ansässig sind, hängen wesentlich von der Abnahme des fanatischen Hasses ab, der früher den Verkehr zwischen Muslimen und Christen beinahe zur Unmöglichkeit machte. Wenn sich eine neue Welle des Neligionshasses in Afrika erhebt, nach Arabien hinüberwvgt und schließlich das ganze Morgenland bis nach den Bergen und Ebnen Hindustans überflutet, so würde das, wenn ihn: nicht ein Damm entgegengesetzt würde, eine außerordent¬ liche Gefahr für England sein und wahrscheinlich eine verhängnisvolle Schä¬ digung der materiellen Interessen desselben herbeiführen. Als Arabi Pascha zuerst von sich reden machte, gab es in London nicht wenige Stimmen, selbst in der höheren Beamtenwelt, die nichts gegen die von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/542>, abgerufen am 28.07.2024.