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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Sieg dos Mahdi im Sudan.

Von einer Entfernung der letzten britischen Truppen, die noch in Ägypten
stehen, kann unter den obwaltenden Umständen schlechterdings nicht die Rede
sein und ist mich den neuesten Nachrichten in der That nicht mehr die Rede.
Es hieße das alle Interessen, die England und ganz Europa hier hat, mi߬
achten und aufgebe". Die Niederlage, welche die von Christen befehligten Ägypter
bei Obeid erlitten haben, kann nicht verfehlen, durch ganz Nordafrika bis nach
Tunis und Algier hin lind gleichermaßen durch ganz Asien, soweit der Halb¬
mond über ihm glänzt, Jubel und Frohlocken hervorzurufen. Zum erstenmale
atmet die Welt des Islam auf nach sovielen bitteren Demütigungen, welche
den Mnslimen während der letzten sechs Jahre mittelbar und unmittelbar von
den christlichen Mächten zugefügt worden sind, und niemand kann die Folgen
voraussehen, welche es haben würde, wenn der Khedive im Kampfe mit den
arabischen Empörern allein gelassen würde. Es ist nicht bloß ein ägyptisches
Heer, das vom Mahdi vernichtet worden ist, es sind in den Augen des muha-
medanischen Volkes die Franken, die Engländer, die Franzosen, die bei Obeid
vom erwachenden und sich rächenden Islam geschlagen und niedergeworfen
worden sind. Der Aufstand im Sudan ist nur eine zweite Episode des An-
griffs des Islam auf die überall im Orient einflußreich gewordenen und in
Ägypten zur Herrschaft gelangten Christen. Der Vertreter der ersten war Arabi
Pascha. Gelänge es dem Propheten, sich über Succkm mit Mekka in Verbin¬
dung zu setzen, so könnte es sich ereignen, daß die der arabischen Bevölkerung
Asiens und Afrikas aufgezwungene Türkcnhcrrschaft durch ein Reich ersetzt
würde, in welchem das arabische Element regierte.

Einen guten Teil der Schwächung Ägyptens und der Gefährdung des
europäischen Interesses in diesem Lande dürfen wir der ungeschickten, unent¬
schlossenen und halbschürigen Politik Gladstones, der immer erst durch schlimme
Erfahrungen klug wurde und dann erst das Rechte that, auf die Rechnung
schreiben. Ja schon vor ihm wurde von der englischen Regierung in dieser
Richtung gesündigt. Jahrelang versuchte man abwechselnd bald Ägypten sich
selbst zu überlassen, bald sich entweder allein oder gemeinschaftlich mit Frank¬
reich in seine Angelegenheiten zu mischen. Man gestattete, daß Ismail Pascha
sich tief in Schulden steckte, und man zwang ihn dann, unerschwingliche Zinsen
zu zahlen. Man ließ später Arabi ein ganzes Jahr gewähren und führte, als
er auf der Höhe seiner Macht war, Krieg mit ihm. Man setzte den Khedive
wieder ein und hinderte seine Gerichte, die Häupter der Empörung zum Tode
zu verurteilen. Man mißbilligte den Feldzug Hicks Paschas insofern, als man
den vollbcsoldcten englischen Offizieren die Teilnahme daran verbot und ihn so
seiner besten Aussichten ans Erfolg beraubte, und man unterließ, dem Khedive
die Sache zu untersagen, weil das Einmischung in die Regierung Ägyptens
geheißen und England verantwortlich für die Folgen gemacht hätte. Jetzt wird
man inne, daß man der Verantwortung nicht entgeht, wenn man die Augen


Der Sieg dos Mahdi im Sudan.

Von einer Entfernung der letzten britischen Truppen, die noch in Ägypten
stehen, kann unter den obwaltenden Umständen schlechterdings nicht die Rede
sein und ist mich den neuesten Nachrichten in der That nicht mehr die Rede.
Es hieße das alle Interessen, die England und ganz Europa hier hat, mi߬
achten und aufgebe». Die Niederlage, welche die von Christen befehligten Ägypter
bei Obeid erlitten haben, kann nicht verfehlen, durch ganz Nordafrika bis nach
Tunis und Algier hin lind gleichermaßen durch ganz Asien, soweit der Halb¬
mond über ihm glänzt, Jubel und Frohlocken hervorzurufen. Zum erstenmale
atmet die Welt des Islam auf nach sovielen bitteren Demütigungen, welche
den Mnslimen während der letzten sechs Jahre mittelbar und unmittelbar von
den christlichen Mächten zugefügt worden sind, und niemand kann die Folgen
voraussehen, welche es haben würde, wenn der Khedive im Kampfe mit den
arabischen Empörern allein gelassen würde. Es ist nicht bloß ein ägyptisches
Heer, das vom Mahdi vernichtet worden ist, es sind in den Augen des muha-
medanischen Volkes die Franken, die Engländer, die Franzosen, die bei Obeid
vom erwachenden und sich rächenden Islam geschlagen und niedergeworfen
worden sind. Der Aufstand im Sudan ist nur eine zweite Episode des An-
griffs des Islam auf die überall im Orient einflußreich gewordenen und in
Ägypten zur Herrschaft gelangten Christen. Der Vertreter der ersten war Arabi
Pascha. Gelänge es dem Propheten, sich über Succkm mit Mekka in Verbin¬
dung zu setzen, so könnte es sich ereignen, daß die der arabischen Bevölkerung
Asiens und Afrikas aufgezwungene Türkcnhcrrschaft durch ein Reich ersetzt
würde, in welchem das arabische Element regierte.

Einen guten Teil der Schwächung Ägyptens und der Gefährdung des
europäischen Interesses in diesem Lande dürfen wir der ungeschickten, unent¬
schlossenen und halbschürigen Politik Gladstones, der immer erst durch schlimme
Erfahrungen klug wurde und dann erst das Rechte that, auf die Rechnung
schreiben. Ja schon vor ihm wurde von der englischen Regierung in dieser
Richtung gesündigt. Jahrelang versuchte man abwechselnd bald Ägypten sich
selbst zu überlassen, bald sich entweder allein oder gemeinschaftlich mit Frank¬
reich in seine Angelegenheiten zu mischen. Man gestattete, daß Ismail Pascha
sich tief in Schulden steckte, und man zwang ihn dann, unerschwingliche Zinsen
zu zahlen. Man ließ später Arabi ein ganzes Jahr gewähren und führte, als
er auf der Höhe seiner Macht war, Krieg mit ihm. Man setzte den Khedive
wieder ein und hinderte seine Gerichte, die Häupter der Empörung zum Tode
zu verurteilen. Man mißbilligte den Feldzug Hicks Paschas insofern, als man
den vollbcsoldcten englischen Offizieren die Teilnahme daran verbot und ihn so
seiner besten Aussichten ans Erfolg beraubte, und man unterließ, dem Khedive
die Sache zu untersagen, weil das Einmischung in die Regierung Ägyptens
geheißen und England verantwortlich für die Folgen gemacht hätte. Jetzt wird
man inne, daß man der Verantwortung nicht entgeht, wenn man die Augen


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[0541] Der Sieg dos Mahdi im Sudan. Von einer Entfernung der letzten britischen Truppen, die noch in Ägypten stehen, kann unter den obwaltenden Umständen schlechterdings nicht die Rede sein und ist mich den neuesten Nachrichten in der That nicht mehr die Rede. Es hieße das alle Interessen, die England und ganz Europa hier hat, mi߬ achten und aufgebe». Die Niederlage, welche die von Christen befehligten Ägypter bei Obeid erlitten haben, kann nicht verfehlen, durch ganz Nordafrika bis nach Tunis und Algier hin lind gleichermaßen durch ganz Asien, soweit der Halb¬ mond über ihm glänzt, Jubel und Frohlocken hervorzurufen. Zum erstenmale atmet die Welt des Islam auf nach sovielen bitteren Demütigungen, welche den Mnslimen während der letzten sechs Jahre mittelbar und unmittelbar von den christlichen Mächten zugefügt worden sind, und niemand kann die Folgen voraussehen, welche es haben würde, wenn der Khedive im Kampfe mit den arabischen Empörern allein gelassen würde. Es ist nicht bloß ein ägyptisches Heer, das vom Mahdi vernichtet worden ist, es sind in den Augen des muha- medanischen Volkes die Franken, die Engländer, die Franzosen, die bei Obeid vom erwachenden und sich rächenden Islam geschlagen und niedergeworfen worden sind. Der Aufstand im Sudan ist nur eine zweite Episode des An- griffs des Islam auf die überall im Orient einflußreich gewordenen und in Ägypten zur Herrschaft gelangten Christen. Der Vertreter der ersten war Arabi Pascha. Gelänge es dem Propheten, sich über Succkm mit Mekka in Verbin¬ dung zu setzen, so könnte es sich ereignen, daß die der arabischen Bevölkerung Asiens und Afrikas aufgezwungene Türkcnhcrrschaft durch ein Reich ersetzt würde, in welchem das arabische Element regierte. Einen guten Teil der Schwächung Ägyptens und der Gefährdung des europäischen Interesses in diesem Lande dürfen wir der ungeschickten, unent¬ schlossenen und halbschürigen Politik Gladstones, der immer erst durch schlimme Erfahrungen klug wurde und dann erst das Rechte that, auf die Rechnung schreiben. Ja schon vor ihm wurde von der englischen Regierung in dieser Richtung gesündigt. Jahrelang versuchte man abwechselnd bald Ägypten sich selbst zu überlassen, bald sich entweder allein oder gemeinschaftlich mit Frank¬ reich in seine Angelegenheiten zu mischen. Man gestattete, daß Ismail Pascha sich tief in Schulden steckte, und man zwang ihn dann, unerschwingliche Zinsen zu zahlen. Man ließ später Arabi ein ganzes Jahr gewähren und führte, als er auf der Höhe seiner Macht war, Krieg mit ihm. Man setzte den Khedive wieder ein und hinderte seine Gerichte, die Häupter der Empörung zum Tode zu verurteilen. Man mißbilligte den Feldzug Hicks Paschas insofern, als man den vollbcsoldcten englischen Offizieren die Teilnahme daran verbot und ihn so seiner besten Aussichten ans Erfolg beraubte, und man unterließ, dem Khedive die Sache zu untersagen, weil das Einmischung in die Regierung Ägyptens geheißen und England verantwortlich für die Folgen gemacht hätte. Jetzt wird man inne, daß man der Verantwortung nicht entgeht, wenn man die Augen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/541>, abgerufen am 01.09.2024.