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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca voll Rinüni.

Der Morgen war hermigcbrvchen, aber Oslvald fühlte keine Müdigkeit,
sondern zeichnete und zeichnete, bis um die Mittagszeit das ganze Bild in Kohle
vollendet war. Eben hatte er sich vor demselben auf die Knie niedergelassen
und sich ganz in die Züge der edeln Fron vertieft, als Wineox und Margarete
zu ihm hereinstürzten, um die an ihnen begangenen Indiskretion als ein bequemes
Mittel zu einer Lösung des Bandes zu benutzen. Wie das Paar den Künstler
in dieser Stellung sah, lachten sie laut auf, und Wineox beglückwünschte Oswald,
daß er nunmehr, da er eine andre Heilige gefunden habe, die heilige Margarete
nicht weiter belästigen werde. Aber in Oswald flammte der Zorn auf; er wies
demi Paar die Thüre, da Margarete unwürdig sei, auch nur mit dem Bilde
Francesecis dieselbe Luft zu atmen.

Die nächste Stunde schon überbrachte ihm ein Forderung von Winevx.
Harold, der schnell herbeigerufen wurde, übernahm eS, dein Freunde als se¬
kundäre zu dienen. Im Hinblick auf die strengen französischen Duellgesetze
kam man überein, den Kampf ans belgischen Boden in der Nähe von Brüssel
anszufechtxn.

Diese letzte Katastrophe hatte wie eine Krisis ans Oswald gewirkt, Ruhe
war an Stelle der Aufregung getreten, und es hatte sich eine gewisse Freudig¬
keit seiner bemächtigt, wie sie zuweilen in den letzten Augenblicken des Sterbenden
eintritt, der seiner Erlösung von den Qualen des Erdenlebens entgegensieht. Es
war ihm eine Genugthuung, daß zuletzt es doch Francesca war, um die er sein
Leben auf das Spiel setzen konnte. Mit großer Pünktlichkeit brachte er seine
Angelegenheiten in Ordnung und schrieb endlich auch einen Brief an die Gattin.
"Wenn ich von dir, du Edle, nicht nur Verzeihung erbitte, sondern auch er¬
hoffe, so spricht für mich nichts als die Größe meiner Schuld und die Größe
deiner Liebe. Aber wie groß auch mein Verschulden ist, ich scheide von dir in
dem Bewußtsein der Erkenntnis desselben, und der Edelsinn, wie er mir aus
deinen heute gelesenen Briefen und Blättern entgegentritt, hat mir Entführung
gebracht. Wenn tiefes Bereuen den Weg zur Seligkeit öffnet, fo kann ich be¬
ruhigt mein Erdenwallen schließen. Meine ungestüme Natur hat mir Titanen¬
haftes als das Ziel meiner Kunstbestrcbungen vorgegaukelt, und ich habe mit
Schmerz erkannt, daß meine Phantasie an der Kleinheit meiner Kräfte scheiterte.
In deiner selbstlosen Liebe hätte ich Beruhigung und das Gleichgewicht der
Seele erlangen können, aber ich habe diese Liebe nicht nur verkannt, sondern
habe in wilder Erregung Pflicht und Treue verletzt, Wohlthaten mit Undank
gelohnt, um einem Dämon zu folgen, dessen Verlockungen auch meinen zügel¬
losen Künstlerehrgeiz angestachelt haben. In der hinter mir liegenden Zeit, seit
ich dich verlassen, habe ich das Leben eines geistig Blinden gelebt und doch nur
zu sehr erkannt, daß ich das gesuchte Glück nicht gefunden habe. Es war eine
gerechte Strafe des Himmels, daß, als ich wieder die moralische Kraft hatte,
mich den Schlingen des Verführers zu entziehen, der Himmel es nicht mehr


Francesca voll Rinüni.

Der Morgen war hermigcbrvchen, aber Oslvald fühlte keine Müdigkeit,
sondern zeichnete und zeichnete, bis um die Mittagszeit das ganze Bild in Kohle
vollendet war. Eben hatte er sich vor demselben auf die Knie niedergelassen
und sich ganz in die Züge der edeln Fron vertieft, als Wineox und Margarete
zu ihm hereinstürzten, um die an ihnen begangenen Indiskretion als ein bequemes
Mittel zu einer Lösung des Bandes zu benutzen. Wie das Paar den Künstler
in dieser Stellung sah, lachten sie laut auf, und Wineox beglückwünschte Oswald,
daß er nunmehr, da er eine andre Heilige gefunden habe, die heilige Margarete
nicht weiter belästigen werde. Aber in Oswald flammte der Zorn auf; er wies
demi Paar die Thüre, da Margarete unwürdig sei, auch nur mit dem Bilde
Francesecis dieselbe Luft zu atmen.

Die nächste Stunde schon überbrachte ihm ein Forderung von Winevx.
Harold, der schnell herbeigerufen wurde, übernahm eS, dein Freunde als se¬
kundäre zu dienen. Im Hinblick auf die strengen französischen Duellgesetze
kam man überein, den Kampf ans belgischen Boden in der Nähe von Brüssel
anszufechtxn.

Diese letzte Katastrophe hatte wie eine Krisis ans Oswald gewirkt, Ruhe
war an Stelle der Aufregung getreten, und es hatte sich eine gewisse Freudig¬
keit seiner bemächtigt, wie sie zuweilen in den letzten Augenblicken des Sterbenden
eintritt, der seiner Erlösung von den Qualen des Erdenlebens entgegensieht. Es
war ihm eine Genugthuung, daß zuletzt es doch Francesca war, um die er sein
Leben auf das Spiel setzen konnte. Mit großer Pünktlichkeit brachte er seine
Angelegenheiten in Ordnung und schrieb endlich auch einen Brief an die Gattin.
„Wenn ich von dir, du Edle, nicht nur Verzeihung erbitte, sondern auch er¬
hoffe, so spricht für mich nichts als die Größe meiner Schuld und die Größe
deiner Liebe. Aber wie groß auch mein Verschulden ist, ich scheide von dir in
dem Bewußtsein der Erkenntnis desselben, und der Edelsinn, wie er mir aus
deinen heute gelesenen Briefen und Blättern entgegentritt, hat mir Entführung
gebracht. Wenn tiefes Bereuen den Weg zur Seligkeit öffnet, fo kann ich be¬
ruhigt mein Erdenwallen schließen. Meine ungestüme Natur hat mir Titanen¬
haftes als das Ziel meiner Kunstbestrcbungen vorgegaukelt, und ich habe mit
Schmerz erkannt, daß meine Phantasie an der Kleinheit meiner Kräfte scheiterte.
In deiner selbstlosen Liebe hätte ich Beruhigung und das Gleichgewicht der
Seele erlangen können, aber ich habe diese Liebe nicht nur verkannt, sondern
habe in wilder Erregung Pflicht und Treue verletzt, Wohlthaten mit Undank
gelohnt, um einem Dämon zu folgen, dessen Verlockungen auch meinen zügel¬
losen Künstlerehrgeiz angestachelt haben. In der hinter mir liegenden Zeit, seit
ich dich verlassen, habe ich das Leben eines geistig Blinden gelebt und doch nur
zu sehr erkannt, daß ich das gesuchte Glück nicht gefunden habe. Es war eine
gerechte Strafe des Himmels, daß, als ich wieder die moralische Kraft hatte,
mich den Schlingen des Verführers zu entziehen, der Himmel es nicht mehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/535>, abgerufen am 28.07.2024.