Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Francesca von Rimini.

Mehrere Tage schon -- es war im Februar 1880 -- hatte sich Margarete
allen Besuchen Oswalds zu entziehen und seinen Nachforschungen zu entgehen
gewußt. Es war die Zeit der Operubällc, und Margarete war auf einem derselben
mit dem Amerikaner, Oswald war spät am Abend in die Wohnung Marga¬
retens gegangen und harrte Stunde um Stunde auf ihre Ankunft, seine Un¬
geduld und sein Unmut wuchs, und unbewußt fing er an, in den Papieren der
Geliebten an ihrem Schreibtische zu wühlen. Er stieß bald auf ein Fach, in
welchem er eine ganze Korrespondenz von Wincox vorfand, er fing zu lesen an
und sah in kurzer Zeit den tiefen Abgrund der Seele dieses Weibes, um deren
Liebe er die treue Gattin und die eigne Kunst geopfert hatte. Nicht die Treu¬
losigkeit Margaretens, die ihm aus jeder Zeile entgcgenstarrte, schmerzte ihn
so sehr, als der Hohn, mit dem der neue Günstling offenbar unter Billigung
Margaretens über ihn selbst und seine Frau Herzog. Ju dem letzten Briefe ent¬
hüllte Wincox den Plan, wie sie sich am besten Oswalds entledigen solle; ent¬
weder würde er, Wincox, ihn zu einem Duell reizen oder Margarete solle an
Francesca schreiben, daß diese ihren Mann von Paris abhole. "Die thörichte
Schwärmerin, wie Sie, werte Freundin, mir dieselbe geschildert haben -- so
schloß der Brief --, ist gut genug, um ihren Mann von den Straßen in Paris
aufzulesen; das wird für die Samariterin nur ein gottgefälliges Werk sein."'

Oswald seinl gebrochen zusammen; zum erstenmale seit seiner Entfernung
aus Rimini wurde es ihm klar vor seinen Angen, und mit dieser Klarheit über¬
kam ihn das Gefühl des eignen Elends und der eignen Verworfenheit. Er
wankte in sein Atelier, und dort machte ein reicher Thränenstrom seinem ge¬
preßten Herzen Luft; er fühlte, daß für ihn kein Raum mehr sei zu leben;
er hatte alles verscherzt, was seinem Dasein Berechtigung gab. Bei dem
unruhigen Auf- und Niederschreiten öffnete er mechanisch den Zcichenkastcn
und fand hier das von Harold niedergelegte Packet. Wie er die Ausdrücke der
rührendsten Liebe, der treuesten Hingebung und des edelmütigsten Verzeihens
las, da schien es ihm, als ob sein Tod besiegelt sei. Er hatte sich für immer
unwert gemacht, an der Seite einer solchen Frau zu leben, und nicht noch
einmal wollte er sein beflecktes Leben an das reine Herz der edeln Gattin ketten.
Sein Entschluß zu sterben stand in ihm fest; aber er wollte nicht ohne Ver¬
mächtnis von Francesca scheiden. Sie sollte sehen, daß sie noch einmal den
reinen Genius in ihm wachgerufen habe, und daß durch ihre Liebe die erloschene
Kraft seines Talentes wieder zur Auferstehung gebracht sei. Unter dem Schein
der Lampe trat er an die Staffelei und entwarf den Riß zu einer Pick^, Der
schmerzensreichem Mutter, die gebeugt in göttlicher Trauer über der Leiche des
Sohnes saß, verlieh er die Züge Francescas; eine solche Madonna zu malen
schien er berufen zu sein. In dem Antlitz des toten Sohnes aber, dessen Leiche
auf dem Schoße der Mutter lag, gab er sein eignes Antlitz wieder; hatte man
doch so oft in den Künstlerkreisen seinen Kopf mit einem Chriftuskopfe verglichen.


Francesca von Rimini.

Mehrere Tage schon — es war im Februar 1880 — hatte sich Margarete
allen Besuchen Oswalds zu entziehen und seinen Nachforschungen zu entgehen
gewußt. Es war die Zeit der Operubällc, und Margarete war auf einem derselben
mit dem Amerikaner, Oswald war spät am Abend in die Wohnung Marga¬
retens gegangen und harrte Stunde um Stunde auf ihre Ankunft, seine Un¬
geduld und sein Unmut wuchs, und unbewußt fing er an, in den Papieren der
Geliebten an ihrem Schreibtische zu wühlen. Er stieß bald auf ein Fach, in
welchem er eine ganze Korrespondenz von Wincox vorfand, er fing zu lesen an
und sah in kurzer Zeit den tiefen Abgrund der Seele dieses Weibes, um deren
Liebe er die treue Gattin und die eigne Kunst geopfert hatte. Nicht die Treu¬
losigkeit Margaretens, die ihm aus jeder Zeile entgcgenstarrte, schmerzte ihn
so sehr, als der Hohn, mit dem der neue Günstling offenbar unter Billigung
Margaretens über ihn selbst und seine Frau Herzog. Ju dem letzten Briefe ent¬
hüllte Wincox den Plan, wie sie sich am besten Oswalds entledigen solle; ent¬
weder würde er, Wincox, ihn zu einem Duell reizen oder Margarete solle an
Francesca schreiben, daß diese ihren Mann von Paris abhole. „Die thörichte
Schwärmerin, wie Sie, werte Freundin, mir dieselbe geschildert haben — so
schloß der Brief —, ist gut genug, um ihren Mann von den Straßen in Paris
aufzulesen; das wird für die Samariterin nur ein gottgefälliges Werk sein."'

Oswald seinl gebrochen zusammen; zum erstenmale seit seiner Entfernung
aus Rimini wurde es ihm klar vor seinen Angen, und mit dieser Klarheit über¬
kam ihn das Gefühl des eignen Elends und der eignen Verworfenheit. Er
wankte in sein Atelier, und dort machte ein reicher Thränenstrom seinem ge¬
preßten Herzen Luft; er fühlte, daß für ihn kein Raum mehr sei zu leben;
er hatte alles verscherzt, was seinem Dasein Berechtigung gab. Bei dem
unruhigen Auf- und Niederschreiten öffnete er mechanisch den Zcichenkastcn
und fand hier das von Harold niedergelegte Packet. Wie er die Ausdrücke der
rührendsten Liebe, der treuesten Hingebung und des edelmütigsten Verzeihens
las, da schien es ihm, als ob sein Tod besiegelt sei. Er hatte sich für immer
unwert gemacht, an der Seite einer solchen Frau zu leben, und nicht noch
einmal wollte er sein beflecktes Leben an das reine Herz der edeln Gattin ketten.
Sein Entschluß zu sterben stand in ihm fest; aber er wollte nicht ohne Ver¬
mächtnis von Francesca scheiden. Sie sollte sehen, daß sie noch einmal den
reinen Genius in ihm wachgerufen habe, und daß durch ihre Liebe die erloschene
Kraft seines Talentes wieder zur Auferstehung gebracht sei. Unter dem Schein
der Lampe trat er an die Staffelei und entwarf den Riß zu einer Pick^, Der
schmerzensreichem Mutter, die gebeugt in göttlicher Trauer über der Leiche des
Sohnes saß, verlieh er die Züge Francescas; eine solche Madonna zu malen
schien er berufen zu sein. In dem Antlitz des toten Sohnes aber, dessen Leiche
auf dem Schoße der Mutter lag, gab er sein eignes Antlitz wieder; hatte man
doch so oft in den Künstlerkreisen seinen Kopf mit einem Chriftuskopfe verglichen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0534" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154699"/>
            <fw type="header" place="top"> Francesca von Rimini.</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1592"> Mehrere Tage schon &#x2014; es war im Februar 1880 &#x2014; hatte sich Margarete<lb/>
allen Besuchen Oswalds zu entziehen und seinen Nachforschungen zu entgehen<lb/>
gewußt. Es war die Zeit der Operubällc, und Margarete war auf einem derselben<lb/>
mit dem Amerikaner, Oswald war spät am Abend in die Wohnung Marga¬<lb/>
retens gegangen und harrte Stunde um Stunde auf ihre Ankunft, seine Un¬<lb/>
geduld und sein Unmut wuchs, und unbewußt fing er an, in den Papieren der<lb/>
Geliebten an ihrem Schreibtische zu wühlen. Er stieß bald auf ein Fach, in<lb/>
welchem er eine ganze Korrespondenz von Wincox vorfand, er fing zu lesen an<lb/>
und sah in kurzer Zeit den tiefen Abgrund der Seele dieses Weibes, um deren<lb/>
Liebe er die treue Gattin und die eigne Kunst geopfert hatte. Nicht die Treu¬<lb/>
losigkeit Margaretens, die ihm aus jeder Zeile entgcgenstarrte, schmerzte ihn<lb/>
so sehr, als der Hohn, mit dem der neue Günstling offenbar unter Billigung<lb/>
Margaretens über ihn selbst und seine Frau Herzog. Ju dem letzten Briefe ent¬<lb/>
hüllte Wincox den Plan, wie sie sich am besten Oswalds entledigen solle; ent¬<lb/>
weder würde er, Wincox, ihn zu einem Duell reizen oder Margarete solle an<lb/>
Francesca schreiben, daß diese ihren Mann von Paris abhole. &#x201E;Die thörichte<lb/>
Schwärmerin, wie Sie, werte Freundin, mir dieselbe geschildert haben &#x2014; so<lb/>
schloß der Brief &#x2014;, ist gut genug, um ihren Mann von den Straßen in Paris<lb/>
aufzulesen; das wird für die Samariterin nur ein gottgefälliges Werk sein."'</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1593"> Oswald seinl gebrochen zusammen; zum erstenmale seit seiner Entfernung<lb/>
aus Rimini wurde es ihm klar vor seinen Angen, und mit dieser Klarheit über¬<lb/>
kam ihn das Gefühl des eignen Elends und der eignen Verworfenheit. Er<lb/>
wankte in sein Atelier, und dort machte ein reicher Thränenstrom seinem ge¬<lb/>
preßten Herzen Luft; er fühlte, daß für ihn kein Raum mehr sei zu leben;<lb/>
er hatte alles verscherzt, was seinem Dasein Berechtigung gab. Bei dem<lb/>
unruhigen Auf- und Niederschreiten öffnete er mechanisch den Zcichenkastcn<lb/>
und fand hier das von Harold niedergelegte Packet. Wie er die Ausdrücke der<lb/>
rührendsten Liebe, der treuesten Hingebung und des edelmütigsten Verzeihens<lb/>
las, da schien es ihm, als ob sein Tod besiegelt sei. Er hatte sich für immer<lb/>
unwert gemacht, an der Seite einer solchen Frau zu leben, und nicht noch<lb/>
einmal wollte er sein beflecktes Leben an das reine Herz der edeln Gattin ketten.<lb/>
Sein Entschluß zu sterben stand in ihm fest; aber er wollte nicht ohne Ver¬<lb/>
mächtnis von Francesca scheiden. Sie sollte sehen, daß sie noch einmal den<lb/>
reinen Genius in ihm wachgerufen habe, und daß durch ihre Liebe die erloschene<lb/>
Kraft seines Talentes wieder zur Auferstehung gebracht sei. Unter dem Schein<lb/>
der Lampe trat er an die Staffelei und entwarf den Riß zu einer Pick^, Der<lb/>
schmerzensreichem Mutter, die gebeugt in göttlicher Trauer über der Leiche des<lb/>
Sohnes saß, verlieh er die Züge Francescas; eine solche Madonna zu malen<lb/>
schien er berufen zu sein. In dem Antlitz des toten Sohnes aber, dessen Leiche<lb/>
auf dem Schoße der Mutter lag, gab er sein eignes Antlitz wieder; hatte man<lb/>
doch so oft in den Künstlerkreisen seinen Kopf mit einem Chriftuskopfe verglichen.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0534] Francesca von Rimini. Mehrere Tage schon — es war im Februar 1880 — hatte sich Margarete allen Besuchen Oswalds zu entziehen und seinen Nachforschungen zu entgehen gewußt. Es war die Zeit der Operubällc, und Margarete war auf einem derselben mit dem Amerikaner, Oswald war spät am Abend in die Wohnung Marga¬ retens gegangen und harrte Stunde um Stunde auf ihre Ankunft, seine Un¬ geduld und sein Unmut wuchs, und unbewußt fing er an, in den Papieren der Geliebten an ihrem Schreibtische zu wühlen. Er stieß bald auf ein Fach, in welchem er eine ganze Korrespondenz von Wincox vorfand, er fing zu lesen an und sah in kurzer Zeit den tiefen Abgrund der Seele dieses Weibes, um deren Liebe er die treue Gattin und die eigne Kunst geopfert hatte. Nicht die Treu¬ losigkeit Margaretens, die ihm aus jeder Zeile entgcgenstarrte, schmerzte ihn so sehr, als der Hohn, mit dem der neue Günstling offenbar unter Billigung Margaretens über ihn selbst und seine Frau Herzog. Ju dem letzten Briefe ent¬ hüllte Wincox den Plan, wie sie sich am besten Oswalds entledigen solle; ent¬ weder würde er, Wincox, ihn zu einem Duell reizen oder Margarete solle an Francesca schreiben, daß diese ihren Mann von Paris abhole. „Die thörichte Schwärmerin, wie Sie, werte Freundin, mir dieselbe geschildert haben — so schloß der Brief —, ist gut genug, um ihren Mann von den Straßen in Paris aufzulesen; das wird für die Samariterin nur ein gottgefälliges Werk sein."' Oswald seinl gebrochen zusammen; zum erstenmale seit seiner Entfernung aus Rimini wurde es ihm klar vor seinen Angen, und mit dieser Klarheit über¬ kam ihn das Gefühl des eignen Elends und der eignen Verworfenheit. Er wankte in sein Atelier, und dort machte ein reicher Thränenstrom seinem ge¬ preßten Herzen Luft; er fühlte, daß für ihn kein Raum mehr sei zu leben; er hatte alles verscherzt, was seinem Dasein Berechtigung gab. Bei dem unruhigen Auf- und Niederschreiten öffnete er mechanisch den Zcichenkastcn und fand hier das von Harold niedergelegte Packet. Wie er die Ausdrücke der rührendsten Liebe, der treuesten Hingebung und des edelmütigsten Verzeihens las, da schien es ihm, als ob sein Tod besiegelt sei. Er hatte sich für immer unwert gemacht, an der Seite einer solchen Frau zu leben, und nicht noch einmal wollte er sein beflecktes Leben an das reine Herz der edeln Gattin ketten. Sein Entschluß zu sterben stand in ihm fest; aber er wollte nicht ohne Ver¬ mächtnis von Francesca scheiden. Sie sollte sehen, daß sie noch einmal den reinen Genius in ihm wachgerufen habe, und daß durch ihre Liebe die erloschene Kraft seines Talentes wieder zur Auferstehung gebracht sei. Unter dem Schein der Lampe trat er an die Staffelei und entwarf den Riß zu einer Pick^, Der schmerzensreichem Mutter, die gebeugt in göttlicher Trauer über der Leiche des Sohnes saß, verlieh er die Züge Francescas; eine solche Madonna zu malen schien er berufen zu sein. In dem Antlitz des toten Sohnes aber, dessen Leiche auf dem Schoße der Mutter lag, gab er sein eignes Antlitz wieder; hatte man doch so oft in den Künstlerkreisen seinen Kopf mit einem Chriftuskopfe verglichen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/534
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/534>, abgerufen am 01.09.2024.