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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Fraucescci von Rimini.

langten mit dem Berliner Fiasko Oswalds anch die sonstigen Nachrichten über
ihn an. So sehr auch der Maler mit diesen traurigen Erfolgen Francesca
verschonen wollte, so galt es doch, ihr die für neue Pläne nötigen Grundlagen
mitzuteilen. Mehr noch als der Verlust der Liebe betrübte sie der Niedergang
der Kunst in Oswald. "Was ich an ihm verloren habe, so äußerte sie sich zu
Stolberg, betrifft mich allein und ist mein eigner Schmerz, aber daß Oswald
auch seiner Kunst zu Grunde gegangen ist, das hat die Menschheit zu be¬
klagen; wenn mir anch Gott die Kraft giebt, Margareten zu verzeihe", die
Vernichtung des Talentes in dein Verführten wird ihr nie vergeben werden
können,"

Stolberg reiste gleich nach dein Empfang der Nachrichten an den Thuner
See, fand aber hier die Villa schon leer und ihre Bewohner nach Paris ab¬
gereist. Nur hiervon konnte er Francesca in Kenntnis setzen, er selbst durfte
die Spuren Oswalds im Augenblick nicht weiter verfolgen, denn ein Telegramm
rief ihn nach Hause an das Sterbebett seiner Mutter. Erst nach Neujahr 1880
ging Stolberg nach Paris. Es gelang ihm auch, gleich nach seiner Ankunft
den Freund aufzusuchen, den er gebrochen an Geist und Körper vorfand. Ha-
rold bemühte sich, wieder die alten Saiten anzuschlagen, indem er hoffte, ihn
allmählich einer vernünftigen Sprache zugänglich zu machen, allein seine Be¬
mühungen waren fruchtlos. Zwar freute es Oswald wieder, deu treuen Freund
um sich zu haben, aber er sprach von nichts, als von der Furcht, Margarete
zu verlieren, und er war von der Leidenschaft zu ihr wie von einer wahn¬
sinnigen Idee ergriffen. Stolberg konnte, wenn er es nicht zum Bruche bringen
wollte, nicht mehr wagen, gegen diese Manie anzukämpfen, er mußte vielmehr,
um seinen Einfluß bei dem Freunde nicht zu verlieren, auf seine Delirien ein¬
gehen. Daß ein solches Leben zu einer Katastrophe führen würde, war voraus¬
zusehen; das Gewitter stand am Himmel und es war nur eine Frage weniger
Zeit, wann es losbrechen würde.

Unterdeß hatte Harold an Francesca geschrieben und von ihr ans sein Er¬
suchen ihre Briefe, die sie, um den Marchese zu täuschen, an sich geschrieben
hatte, sowie ihr Tagebuch zugesandt erhalten. Obwohl er noch einen bestimmten
Entschluß nicht gesaßt hatte, so glaubte er doch von diesen Dokumenten bei passender
Gelegenheit Gebrauch machen zu können, und er zweifelte nicht, daß sie auf Oswald
dann ihre Wirkung nicht verlieren würden, wenn er nur einen Augenblick wieder
zu sich selbst käme. Von einer Thätigkeit war bei dem Künstler nicht mehr M
Rede; die Leinewand war auf der Staffelei seit Monaten gespannt, aber anch
nicht ein Strich war gethan. Harold steckte daher unbemerkt das Packet mit
den Schriften Francescas in den Kasten, wo der Freund seine Utensilien auf¬
bewahrt hatte. Würde er wieder die Ruhe des Gemüts finden, um an die
Arbeit zu gehen, dann schien Harold der Augenblick gekommen zu sein, in welchem
Oswald die Bekenntnisse Francescas entdecken und lesen sollte.


Fraucescci von Rimini.

langten mit dem Berliner Fiasko Oswalds anch die sonstigen Nachrichten über
ihn an. So sehr auch der Maler mit diesen traurigen Erfolgen Francesca
verschonen wollte, so galt es doch, ihr die für neue Pläne nötigen Grundlagen
mitzuteilen. Mehr noch als der Verlust der Liebe betrübte sie der Niedergang
der Kunst in Oswald. „Was ich an ihm verloren habe, so äußerte sie sich zu
Stolberg, betrifft mich allein und ist mein eigner Schmerz, aber daß Oswald
auch seiner Kunst zu Grunde gegangen ist, das hat die Menschheit zu be¬
klagen; wenn mir anch Gott die Kraft giebt, Margareten zu verzeihe», die
Vernichtung des Talentes in dein Verführten wird ihr nie vergeben werden
können,"

Stolberg reiste gleich nach dein Empfang der Nachrichten an den Thuner
See, fand aber hier die Villa schon leer und ihre Bewohner nach Paris ab¬
gereist. Nur hiervon konnte er Francesca in Kenntnis setzen, er selbst durfte
die Spuren Oswalds im Augenblick nicht weiter verfolgen, denn ein Telegramm
rief ihn nach Hause an das Sterbebett seiner Mutter. Erst nach Neujahr 1880
ging Stolberg nach Paris. Es gelang ihm auch, gleich nach seiner Ankunft
den Freund aufzusuchen, den er gebrochen an Geist und Körper vorfand. Ha-
rold bemühte sich, wieder die alten Saiten anzuschlagen, indem er hoffte, ihn
allmählich einer vernünftigen Sprache zugänglich zu machen, allein seine Be¬
mühungen waren fruchtlos. Zwar freute es Oswald wieder, deu treuen Freund
um sich zu haben, aber er sprach von nichts, als von der Furcht, Margarete
zu verlieren, und er war von der Leidenschaft zu ihr wie von einer wahn¬
sinnigen Idee ergriffen. Stolberg konnte, wenn er es nicht zum Bruche bringen
wollte, nicht mehr wagen, gegen diese Manie anzukämpfen, er mußte vielmehr,
um seinen Einfluß bei dem Freunde nicht zu verlieren, auf seine Delirien ein¬
gehen. Daß ein solches Leben zu einer Katastrophe führen würde, war voraus¬
zusehen; das Gewitter stand am Himmel und es war nur eine Frage weniger
Zeit, wann es losbrechen würde.

Unterdeß hatte Harold an Francesca geschrieben und von ihr ans sein Er¬
suchen ihre Briefe, die sie, um den Marchese zu täuschen, an sich geschrieben
hatte, sowie ihr Tagebuch zugesandt erhalten. Obwohl er noch einen bestimmten
Entschluß nicht gesaßt hatte, so glaubte er doch von diesen Dokumenten bei passender
Gelegenheit Gebrauch machen zu können, und er zweifelte nicht, daß sie auf Oswald
dann ihre Wirkung nicht verlieren würden, wenn er nur einen Augenblick wieder
zu sich selbst käme. Von einer Thätigkeit war bei dem Künstler nicht mehr M
Rede; die Leinewand war auf der Staffelei seit Monaten gespannt, aber anch
nicht ein Strich war gethan. Harold steckte daher unbemerkt das Packet mit
den Schriften Francescas in den Kasten, wo der Freund seine Utensilien auf¬
bewahrt hatte. Würde er wieder die Ruhe des Gemüts finden, um an die
Arbeit zu gehen, dann schien Harold der Augenblick gekommen zu sein, in welchem
Oswald die Bekenntnisse Francescas entdecken und lesen sollte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/533>, abgerufen am 27.07.2024.