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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die Entstehung des Forst.

Spott verdient hatten, der ihnen reichlich zuteil geworden ist. Die andern von
Weißes Entdeckung ausgehenden Erklärer sind künstlich genug, aber nicht geist¬
reich gewesen.

Wir setzen nun unsern eignen Weg fort, nachdem wir dem Verdienst Weißes
den gebührenden Dank erstattet. Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß
Weiße schon auf falschem Wege ist, wenn er in der Verbindung des Faust mit
Mephistopheles, welche der Dichter als ein ursprüngliches Datum in seinem Geist
gefunden, das Problem erblickt, welches der Dichter durch die Faustschöpfung
habe erklären und begründen wollen. Die Frage, welche der Dichter sich vorge¬
legt, soll nach Weiße gelautet haben: "Weshalb hat Faust durch den Erdgeist
den Mephistopheles zum Begleiter erhalten?" Der Dichter habe auf diese Frage
von seinem schöpferischen Genius keine Antwort erhalten, und deshalb habe der
Faust in seinem ersten Entwurf Bruchstück bleiben müssen.

Die Frage war nicht die Grundfrage des Gedichts, welche nach unsern
Ausführungen ungefähr zu formuliren wäre: Wie kann der endliche Geist zum
Unendlichen gelangen? Wenn aber zur Beantwortung dieser Frage nach dem
ersten Faustentwurf gehörte, daß der Erdgeist, um das Verlangen Fausts zu
erfüllen, letzterem einen mit der Kraft der höhern Geister bis zu einem gewissen
Grade ausgestatteten Begleiter gab, so entsteht allerdings die abgeleitete Frage:
Warum mußte dieser Begleiter ein böser Geist, ein Teufel sein? Der Goethische
Genius ist wahrlich nicht zu schwach gewesen, diese Frage zu beantworten.
Allerdings hat er sie nicht in dem satanbedürftigeu Sinne des liebenswürdigen
und feindcnkenden Philosophen beantworten wollen, der das Gedicht in dieser
Beziehung unvollkommen fand. Da jedoch der Dichter das Gedicht in der That
später dahin umbildete, daß das metaphysisch Böse, wenn auch noch nicht zur
Befriedigung Weißes, zum Grunde des Mephistopheles gemacht wurde, so hat
er uns in dem späteren Gedicht die Antwort nichl aufbewahrt, weshalb der
Erdgeist Faust zum Begleiter einen bösen Geist geben mußte. Wir sind auch
hier ans das Erraten angewiesen.

Weiße - so fassen wir seinen Gedanken nochmals zusammen -- stellt
zwei Fragen. Die erste: Wie kommt Mephistopheles in die Goethische Dich¬
tung? Er antwortet: Ganz allein aus dem Charakter des Dichters, weder aus
äußerer Erfahrung noch aus innerer Spekulation, Die zweite Frage: Wie
kommt Mephistopheles in den Charakter des Dichters? Die Beantwortung
dieser Frage erwartet Weiße von dem Dichter selbst und meint sogar, dieser
habe zu dieser Beantwortung den Faust gedichtet. Nun hat aber Weiße an der
Dichtung auszusetzen, daß Mephistopheles, der, wenn das satanische Element
noch so abgeschwächt in ihm sei, doch auf den Satan hätte zurückgeführt werde"
müssen, doch zuerst auf den Erdgeist zurückgeführt worden sei. Weiße hält dies
für einen Mangel an Tiefe bei dein Dichter, verschlimmert durch die Einflüsse
der Aufklärung, und meint, an diesem Mangel sei die Bollendung des ersten
Faustentwurfs gescheitert.


Die Entstehung des Forst.

Spott verdient hatten, der ihnen reichlich zuteil geworden ist. Die andern von
Weißes Entdeckung ausgehenden Erklärer sind künstlich genug, aber nicht geist¬
reich gewesen.

Wir setzen nun unsern eignen Weg fort, nachdem wir dem Verdienst Weißes
den gebührenden Dank erstattet. Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß
Weiße schon auf falschem Wege ist, wenn er in der Verbindung des Faust mit
Mephistopheles, welche der Dichter als ein ursprüngliches Datum in seinem Geist
gefunden, das Problem erblickt, welches der Dichter durch die Faustschöpfung
habe erklären und begründen wollen. Die Frage, welche der Dichter sich vorge¬
legt, soll nach Weiße gelautet haben: „Weshalb hat Faust durch den Erdgeist
den Mephistopheles zum Begleiter erhalten?" Der Dichter habe auf diese Frage
von seinem schöpferischen Genius keine Antwort erhalten, und deshalb habe der
Faust in seinem ersten Entwurf Bruchstück bleiben müssen.

Die Frage war nicht die Grundfrage des Gedichts, welche nach unsern
Ausführungen ungefähr zu formuliren wäre: Wie kann der endliche Geist zum
Unendlichen gelangen? Wenn aber zur Beantwortung dieser Frage nach dem
ersten Faustentwurf gehörte, daß der Erdgeist, um das Verlangen Fausts zu
erfüllen, letzterem einen mit der Kraft der höhern Geister bis zu einem gewissen
Grade ausgestatteten Begleiter gab, so entsteht allerdings die abgeleitete Frage:
Warum mußte dieser Begleiter ein böser Geist, ein Teufel sein? Der Goethische
Genius ist wahrlich nicht zu schwach gewesen, diese Frage zu beantworten.
Allerdings hat er sie nicht in dem satanbedürftigeu Sinne des liebenswürdigen
und feindcnkenden Philosophen beantworten wollen, der das Gedicht in dieser
Beziehung unvollkommen fand. Da jedoch der Dichter das Gedicht in der That
später dahin umbildete, daß das metaphysisch Böse, wenn auch noch nicht zur
Befriedigung Weißes, zum Grunde des Mephistopheles gemacht wurde, so hat
er uns in dem späteren Gedicht die Antwort nichl aufbewahrt, weshalb der
Erdgeist Faust zum Begleiter einen bösen Geist geben mußte. Wir sind auch
hier ans das Erraten angewiesen.

Weiße - so fassen wir seinen Gedanken nochmals zusammen — stellt
zwei Fragen. Die erste: Wie kommt Mephistopheles in die Goethische Dich¬
tung? Er antwortet: Ganz allein aus dem Charakter des Dichters, weder aus
äußerer Erfahrung noch aus innerer Spekulation, Die zweite Frage: Wie
kommt Mephistopheles in den Charakter des Dichters? Die Beantwortung
dieser Frage erwartet Weiße von dem Dichter selbst und meint sogar, dieser
habe zu dieser Beantwortung den Faust gedichtet. Nun hat aber Weiße an der
Dichtung auszusetzen, daß Mephistopheles, der, wenn das satanische Element
noch so abgeschwächt in ihm sei, doch auf den Satan hätte zurückgeführt werde«
müssen, doch zuerst auf den Erdgeist zurückgeführt worden sei. Weiße hält dies
für einen Mangel an Tiefe bei dein Dichter, verschlimmert durch die Einflüsse
der Aufklärung, und meint, an diesem Mangel sei die Bollendung des ersten
Faustentwurfs gescheitert.


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[0508] Die Entstehung des Forst. Spott verdient hatten, der ihnen reichlich zuteil geworden ist. Die andern von Weißes Entdeckung ausgehenden Erklärer sind künstlich genug, aber nicht geist¬ reich gewesen. Wir setzen nun unsern eignen Weg fort, nachdem wir dem Verdienst Weißes den gebührenden Dank erstattet. Es bedarf kaum noch der Bemerkung, daß Weiße schon auf falschem Wege ist, wenn er in der Verbindung des Faust mit Mephistopheles, welche der Dichter als ein ursprüngliches Datum in seinem Geist gefunden, das Problem erblickt, welches der Dichter durch die Faustschöpfung habe erklären und begründen wollen. Die Frage, welche der Dichter sich vorge¬ legt, soll nach Weiße gelautet haben: „Weshalb hat Faust durch den Erdgeist den Mephistopheles zum Begleiter erhalten?" Der Dichter habe auf diese Frage von seinem schöpferischen Genius keine Antwort erhalten, und deshalb habe der Faust in seinem ersten Entwurf Bruchstück bleiben müssen. Die Frage war nicht die Grundfrage des Gedichts, welche nach unsern Ausführungen ungefähr zu formuliren wäre: Wie kann der endliche Geist zum Unendlichen gelangen? Wenn aber zur Beantwortung dieser Frage nach dem ersten Faustentwurf gehörte, daß der Erdgeist, um das Verlangen Fausts zu erfüllen, letzterem einen mit der Kraft der höhern Geister bis zu einem gewissen Grade ausgestatteten Begleiter gab, so entsteht allerdings die abgeleitete Frage: Warum mußte dieser Begleiter ein böser Geist, ein Teufel sein? Der Goethische Genius ist wahrlich nicht zu schwach gewesen, diese Frage zu beantworten. Allerdings hat er sie nicht in dem satanbedürftigeu Sinne des liebenswürdigen und feindcnkenden Philosophen beantworten wollen, der das Gedicht in dieser Beziehung unvollkommen fand. Da jedoch der Dichter das Gedicht in der That später dahin umbildete, daß das metaphysisch Böse, wenn auch noch nicht zur Befriedigung Weißes, zum Grunde des Mephistopheles gemacht wurde, so hat er uns in dem späteren Gedicht die Antwort nichl aufbewahrt, weshalb der Erdgeist Faust zum Begleiter einen bösen Geist geben mußte. Wir sind auch hier ans das Erraten angewiesen. Weiße - so fassen wir seinen Gedanken nochmals zusammen — stellt zwei Fragen. Die erste: Wie kommt Mephistopheles in die Goethische Dich¬ tung? Er antwortet: Ganz allein aus dem Charakter des Dichters, weder aus äußerer Erfahrung noch aus innerer Spekulation, Die zweite Frage: Wie kommt Mephistopheles in den Charakter des Dichters? Die Beantwortung dieser Frage erwartet Weiße von dem Dichter selbst und meint sogar, dieser habe zu dieser Beantwortung den Faust gedichtet. Nun hat aber Weiße an der Dichtung auszusetzen, daß Mephistopheles, der, wenn das satanische Element noch so abgeschwächt in ihm sei, doch auf den Satan hätte zurückgeführt werde« müssen, doch zuerst auf den Erdgeist zurückgeführt worden sei. Weiße hält dies für einen Mangel an Tiefe bei dein Dichter, verschlimmert durch die Einflüsse der Aufklärung, und meint, an diesem Mangel sei die Bollendung des ersten Faustentwurfs gescheitert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/508>, abgerufen am 28.07.2024.