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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Sie Entstehung des Faust.

Wir müssen zunächst feststellen, wie Mephistopheles in allen Stellen des
Gedichts, welche dem ersten Entwurf desselben angehören, selbst sich giebt und
bezeichnet. Er ist an allen diesen Stellen ein Teufel, aber nirgends der Teufel.
Wenn er zum Schüler sagt: "Muß wieder recht den Teufel spielen," so heißt
dies eben: Muß wieder recht der Gattung entsprechen. Wenn er in Auerbachs Keller
sagt: "Den Teufel spürt das Völkchen nie," und: "Merkt Euch, wie der Teufel
spähte," so ist dies in demselben Sinne gemeint. Allein Mephistopheles legt
anch ausdrücklich Zeugnis ab von seiner Stellung als eines unter den andern,
z. B. wenn er Faust zuruft: "Nichts Abgeschmackteres find' ich auf der Welt
als einen Teufel, der verzweifelt," am deutlichsten aber in der Szene "Trüber
Tag. Feld." Dort heißt es: "Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn
du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht
sicher? Drängen wir uns dir auf oder du dich uns?" Mephistopheles ist also
nach seiner eignen Aussage ein böser Geist, nicht der Böse.

Warum mußte nun der Erdgeist einen bösen Geist Faust zum Begleiter
geben? Denn ein böser Geist ist Mephistopheles allerdings, er bezeichnet sich
selbst immer als einen Teufel.

Anlage und Spuren der ersten Gestalt des Gedichts machen die Annahme
einer zweiten Unterredung Fausts mit dein Erdgeist zur Notwendigkeit, einer
Unterredung, welche unmittelbar nach der kurzen Unterbrechung durch das
Gespräch mit dem Famulus sich an die erste angeschlossen haben muß.
Faust verlangt die Erklärung der vernichtenden Worte: "Du gleichst dem Geist,
den du begreifst." Der Erdgeist -- so uur können wir uns den Inhalt dieser
zweiten Unterredung denken -- läßt sich dazu herbei. Er verkündet, daß, wer
"in Lebensflnten, im Thnteusturm mit ihm auf- und abwallen" will, nicht das
teilnehmende Gefühl des sterblichen Menschen haben darf, weder als Schmerz
und Mitleid, noch weniger aber als das Verlangen, den Reiz der Erscheinung
zu genießen und in das eigne Wesen zu ziehen als Quelle dauernden Glücks.
Am meisten warnt der Erdgeist Faust vor der Gefahr, in welche die sterbliche
Seele durch den Besitz magischer Kräfte verfallen muß, daß sie, über ihre na¬
türliche Kraft als endliche Erscheinung hinaus zu schrankenlosen Verlangen an¬
geregt, zum Verderber der Erscheinungen wird, die ihr sonst mit der natürlichen
Kraft eigener Selbstbehauptung gegenüberstehen würden. Die magischen Kräfte
sind für die sterbliche Seele unwiderstehliche Erreger der Selbstsucht. Der Erd¬
geist ruft also Faust zu: Du wirst, ausgestattet mit magischer Kraft, die Fülle
der Erscheinung zu schauen und dich ihrer zu bemeistern, um sie zu genießen,
dem Verlangen rücksichtslosen Genusses nicht widerstehen können und wirst dann
doch zu Grunde gehen an dem Mitleid, welches deine sterbliche Seele über die
Verheerungen empfindet, die dein maßlos gesteigertes Verlangen anrichtet.

Faust besteht diesen Warnungen des Erdgeistes gegenüber auf der Erfüllung
seiner glühenden Sehnsucht durch das einzige Mittel, welches er zur Befriedigung


Sie Entstehung des Faust.

Wir müssen zunächst feststellen, wie Mephistopheles in allen Stellen des
Gedichts, welche dem ersten Entwurf desselben angehören, selbst sich giebt und
bezeichnet. Er ist an allen diesen Stellen ein Teufel, aber nirgends der Teufel.
Wenn er zum Schüler sagt: „Muß wieder recht den Teufel spielen," so heißt
dies eben: Muß wieder recht der Gattung entsprechen. Wenn er in Auerbachs Keller
sagt: „Den Teufel spürt das Völkchen nie," und: „Merkt Euch, wie der Teufel
spähte," so ist dies in demselben Sinne gemeint. Allein Mephistopheles legt
anch ausdrücklich Zeugnis ab von seiner Stellung als eines unter den andern,
z. B. wenn er Faust zuruft: „Nichts Abgeschmackteres find' ich auf der Welt
als einen Teufel, der verzweifelt," am deutlichsten aber in der Szene „Trüber
Tag. Feld." Dort heißt es: „Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn
du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht
sicher? Drängen wir uns dir auf oder du dich uns?" Mephistopheles ist also
nach seiner eignen Aussage ein böser Geist, nicht der Böse.

Warum mußte nun der Erdgeist einen bösen Geist Faust zum Begleiter
geben? Denn ein böser Geist ist Mephistopheles allerdings, er bezeichnet sich
selbst immer als einen Teufel.

Anlage und Spuren der ersten Gestalt des Gedichts machen die Annahme
einer zweiten Unterredung Fausts mit dein Erdgeist zur Notwendigkeit, einer
Unterredung, welche unmittelbar nach der kurzen Unterbrechung durch das
Gespräch mit dem Famulus sich an die erste angeschlossen haben muß.
Faust verlangt die Erklärung der vernichtenden Worte: „Du gleichst dem Geist,
den du begreifst." Der Erdgeist — so uur können wir uns den Inhalt dieser
zweiten Unterredung denken — läßt sich dazu herbei. Er verkündet, daß, wer
„in Lebensflnten, im Thnteusturm mit ihm auf- und abwallen" will, nicht das
teilnehmende Gefühl des sterblichen Menschen haben darf, weder als Schmerz
und Mitleid, noch weniger aber als das Verlangen, den Reiz der Erscheinung
zu genießen und in das eigne Wesen zu ziehen als Quelle dauernden Glücks.
Am meisten warnt der Erdgeist Faust vor der Gefahr, in welche die sterbliche
Seele durch den Besitz magischer Kräfte verfallen muß, daß sie, über ihre na¬
türliche Kraft als endliche Erscheinung hinaus zu schrankenlosen Verlangen an¬
geregt, zum Verderber der Erscheinungen wird, die ihr sonst mit der natürlichen
Kraft eigener Selbstbehauptung gegenüberstehen würden. Die magischen Kräfte
sind für die sterbliche Seele unwiderstehliche Erreger der Selbstsucht. Der Erd¬
geist ruft also Faust zu: Du wirst, ausgestattet mit magischer Kraft, die Fülle
der Erscheinung zu schauen und dich ihrer zu bemeistern, um sie zu genießen,
dem Verlangen rücksichtslosen Genusses nicht widerstehen können und wirst dann
doch zu Grunde gehen an dem Mitleid, welches deine sterbliche Seele über die
Verheerungen empfindet, die dein maßlos gesteigertes Verlangen anrichtet.

Faust besteht diesen Warnungen des Erdgeistes gegenüber auf der Erfüllung
seiner glühenden Sehnsucht durch das einzige Mittel, welches er zur Befriedigung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/509>, abgerufen am 28.07.2024.