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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Sie Entstehung des Faust.

Wir kommen nun zu den Mitteln der Katastrophe der Fausttragödie, wie
sie in der ersten Gestalt der Tragödie beschaffen waren. Warum heißt der Faust
überhaupt eine Tragödie, warum nennt der Dichter dieses Drama so? Wir
wollen den Streit nicht darüber eröffnen, ob nur diejenigen Dichtungen als
Tragödie" zu bezeichnen seien, deren Helden äußerlich der Zerstörung und
innerlich der Umnachtung anheimfallen. Die Bezeichnung Tragödie wird sich
sehr wohl auch für diejenigen Dichtungen rechtfertigen lassen, in die das
Dunkel der Tragik seine gewaltigen Schatten wirft, wenn es auch nicht das
Licht verschlingt. Ich glaube aber, daß der ursprüngliche Faust seiner ganzen
Anlage nach, deren Spuren uns in dem spätern Werke erhalten sind, eine
Tragödie im herbsten Sinne des Wortes war. Faust, vom Erdgeist mit dem
Verlangen zurückgewiesen, sich "uns, den Geistern gleich zu heben," wiederholt
nach einer kurzen Unterbrechung dieses Verlangen nur mit stürmischerem Flehen.
Der Erdgeist, der sich ihm noch einmal zeigt, warnt ihn jetzt vor dem gefähr¬
lichen Flug, dessen bloßes Wagnis er ihm vorher spöttisch abgesprochen, weil
er das Zagen Fausts vor seiner, des Erdgeists, Erscheinung bemerkte. Faust
aber besteht nunmehr immer fester auf seinem Verlangen, und der Erdgeist
verspricht ihm endlich Erfüllung desselben dadurch, daß er ihm einen seiner
dienenden Geister als Gehilfen, als Begleiter, als mit den Künsten der Magie
vertrautes Werkzeug zur Beseitigung der gewöhnlichen Schranken der sterblichen
Natur zu senden verheißt.

Dies alles steht nicht in dem jetzigen Faust, wohl aber zeigt derselbe die
deutlichen Spuren, daß der Verlauf der ursprünglichen Tragödie in der eben
gezeichneten Art gewesen sein muß. Diese Spuren finden sich einmal in dem
Monolog, welcher die Szene in "Wald und Höhle" eröffnet. Derselbe beginnt
mit den Worten:


Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat.

Später heißt es in demselben Monolog:


O, daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,
Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah und näher bringt,
Mir den Geführten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich kalt und frech
Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts
Mit einem Worthauch deine Gaben wandelt.

Eine weitere, ebenso unverkennbare Spur findet sich in der Szene "Trüber
Tag. Feld." Dort heißt es u. a. "Wandle ihn. du unendlicher Geist, wandle
den Wurm wieder in seine Hundsgestalt u. s. w." Später heißt es ebenda¬
selbst: "Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du


Sie Entstehung des Faust.

Wir kommen nun zu den Mitteln der Katastrophe der Fausttragödie, wie
sie in der ersten Gestalt der Tragödie beschaffen waren. Warum heißt der Faust
überhaupt eine Tragödie, warum nennt der Dichter dieses Drama so? Wir
wollen den Streit nicht darüber eröffnen, ob nur diejenigen Dichtungen als
Tragödie» zu bezeichnen seien, deren Helden äußerlich der Zerstörung und
innerlich der Umnachtung anheimfallen. Die Bezeichnung Tragödie wird sich
sehr wohl auch für diejenigen Dichtungen rechtfertigen lassen, in die das
Dunkel der Tragik seine gewaltigen Schatten wirft, wenn es auch nicht das
Licht verschlingt. Ich glaube aber, daß der ursprüngliche Faust seiner ganzen
Anlage nach, deren Spuren uns in dem spätern Werke erhalten sind, eine
Tragödie im herbsten Sinne des Wortes war. Faust, vom Erdgeist mit dem
Verlangen zurückgewiesen, sich „uns, den Geistern gleich zu heben," wiederholt
nach einer kurzen Unterbrechung dieses Verlangen nur mit stürmischerem Flehen.
Der Erdgeist, der sich ihm noch einmal zeigt, warnt ihn jetzt vor dem gefähr¬
lichen Flug, dessen bloßes Wagnis er ihm vorher spöttisch abgesprochen, weil
er das Zagen Fausts vor seiner, des Erdgeists, Erscheinung bemerkte. Faust
aber besteht nunmehr immer fester auf seinem Verlangen, und der Erdgeist
verspricht ihm endlich Erfüllung desselben dadurch, daß er ihm einen seiner
dienenden Geister als Gehilfen, als Begleiter, als mit den Künsten der Magie
vertrautes Werkzeug zur Beseitigung der gewöhnlichen Schranken der sterblichen
Natur zu senden verheißt.

Dies alles steht nicht in dem jetzigen Faust, wohl aber zeigt derselbe die
deutlichen Spuren, daß der Verlauf der ursprünglichen Tragödie in der eben
gezeichneten Art gewesen sein muß. Diese Spuren finden sich einmal in dem
Monolog, welcher die Szene in „Wald und Höhle" eröffnet. Derselbe beginnt
mit den Worten:


Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat.

Später heißt es in demselben Monolog:


O, daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird,
Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah und näher bringt,
Mir den Geführten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich kalt und frech
Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts
Mit einem Worthauch deine Gaben wandelt.

Eine weitere, ebenso unverkennbare Spur findet sich in der Szene „Trüber
Tag. Feld." Dort heißt es u. a. „Wandle ihn. du unendlicher Geist, wandle
den Wurm wieder in seine Hundsgestalt u. s. w." Später heißt es ebenda¬
selbst: „Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du


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[0505] Sie Entstehung des Faust. Wir kommen nun zu den Mitteln der Katastrophe der Fausttragödie, wie sie in der ersten Gestalt der Tragödie beschaffen waren. Warum heißt der Faust überhaupt eine Tragödie, warum nennt der Dichter dieses Drama so? Wir wollen den Streit nicht darüber eröffnen, ob nur diejenigen Dichtungen als Tragödie» zu bezeichnen seien, deren Helden äußerlich der Zerstörung und innerlich der Umnachtung anheimfallen. Die Bezeichnung Tragödie wird sich sehr wohl auch für diejenigen Dichtungen rechtfertigen lassen, in die das Dunkel der Tragik seine gewaltigen Schatten wirft, wenn es auch nicht das Licht verschlingt. Ich glaube aber, daß der ursprüngliche Faust seiner ganzen Anlage nach, deren Spuren uns in dem spätern Werke erhalten sind, eine Tragödie im herbsten Sinne des Wortes war. Faust, vom Erdgeist mit dem Verlangen zurückgewiesen, sich „uns, den Geistern gleich zu heben," wiederholt nach einer kurzen Unterbrechung dieses Verlangen nur mit stürmischerem Flehen. Der Erdgeist, der sich ihm noch einmal zeigt, warnt ihn jetzt vor dem gefähr¬ lichen Flug, dessen bloßes Wagnis er ihm vorher spöttisch abgesprochen, weil er das Zagen Fausts vor seiner, des Erdgeists, Erscheinung bemerkte. Faust aber besteht nunmehr immer fester auf seinem Verlangen, und der Erdgeist verspricht ihm endlich Erfüllung desselben dadurch, daß er ihm einen seiner dienenden Geister als Gehilfen, als Begleiter, als mit den Künsten der Magie vertrautes Werkzeug zur Beseitigung der gewöhnlichen Schranken der sterblichen Natur zu senden verheißt. Dies alles steht nicht in dem jetzigen Faust, wohl aber zeigt derselbe die deutlichen Spuren, daß der Verlauf der ursprünglichen Tragödie in der eben gezeichneten Art gewesen sein muß. Diese Spuren finden sich einmal in dem Monolog, welcher die Szene in „Wald und Höhle" eröffnet. Derselbe beginnt mit den Worten: Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles, Warum ich bat. Später heißt es in demselben Monolog: O, daß dem Menschen nichts Vollkommnes wird, Empfind' ich nun. Du gabst zu dieser Wonne, Die mich den Göttern nah und näher bringt, Mir den Geführten, den ich schon nicht mehr Entbehren kann, wenn er gleich kalt und frech Mich vor mir selbst erniedrigt und zu Nichts Mit einem Worthauch deine Gaben wandelt. Eine weitere, ebenso unverkennbare Spur findet sich in der Szene „Trüber Tag. Feld." Dort heißt es u. a. „Wandle ihn. du unendlicher Geist, wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt u. s. w." Später heißt es ebenda¬ selbst: „Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/505>, abgerufen am 27.07.2024.