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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

führerischen stolzen Weibes seine Fassung, sodaß sich Margarete selbst bei
Francesca als Freundin Oswalds vorstellen mußte, der in dem Hause ihrer
Eltern viele Jahre lang verkehrt habe. Er gewann erst seine Ruhe wieder,
als er Margarete in ihr Hotel zurückbegleitete, wozu sich diese die Erlaubnis
Francescas, die ihren Oheim nicht verlassen wollte, ausdrücklich erbeten hatte.
Oswald war durch das Erscheinen Margaretens aus seiner Lethargie erwacht,
noch einmal loderte in ihm der Zorn auf; er überschüttete Frau van Köller
mit Vorwürfen, daß sie es gewagt habe, nach allem, was vorgefallen sei, in
sein Haus zu kommen und seiner edeln Frau vor das Gesicht zu treten. Seine
Entrüstung aber kannte keine Grenzen, als er erfuhr, daß Margarete nur um
ihn wiederzusehen die Reise unternommen habe.

Diese sah bald ein, daß sie Oswald von der sentimentalen Seite nehmen
müsse, um ihn zu rühren. Sie schilderte ihr ödes, freudloses Leben an der
Seite eines Gatten, der weder Geist noch Gemüt habe, um eine Frau zu
schätzen; sie fluchte ihrer Mutter, welche die kindliche Unerfahrenheit der Tochter
gemißbraucht habe, um sie von Oswald zu reißen und an einen ungeliebten und
gefühlsarmen Mann zu ketten, sie beschwor den frühern Geliebten, ihr wenig¬
stens zu gönnen, daß sie, auch ohne ihn wiederzusehen, ein paar Tage dieselbe
Luft mit ihm atmen dürfe.

Oswald war diesem Ausbruch der Leidenschaft gegenüber äußerlich fest ge¬
blieben, in seinem Innern aber fand der Gedanke Raum, wie auch er an der
Seite dieser Frau ganz anders seinem künstlerischen Berufe nachgelebt hätte.
Dann aber wieder nagte er sich der Treulosigkeit gegen Francesca an, die
durch ihre selbstlose und hingebende Liebe ihn vor dem Abgrunde der Ver¬
zweiflung gerettet und dem Leben wiedergegeben habe. Er fand bei seiner
Rückkehr Francesca ganz verstört; sie fühlte, daß ein Geheimnis zwischen ihr
und ihrem Gatten bestand und daß die Fremde den Schlüssel zu diesem Mysterium
besitze. Oswald ergriff ein tiefes Mitleiden bei dem Anblick seiner trauernden
Frau, und als nach dem Thee Don Baldassare sich zur Ruhe begeben hatte,
nahm er seine Frau in das Atelier und erzählte ihr von seinen Kämpfen um
Margarete, aber auch wie er für immer dieser Liebe entsagt und in seinem
treuen Weibe den schönsten Lohn für vergangene Unbill empfangen habe. Er
habe sie niemals durch eine solche Erzählung verwirren wollen, aber jetzt auch
eine volle Beichte abgelegt, da sie durch die unerwartete Erscheinung Margaretens
notwendig geworden sei. Francesca fühlte sich durch dieses freie Bekenntnis
wieder ganz beruhigt, sie glaubte ihren Gatten neu gewonnen zu haben, aber
wilde Träume beunruhigten ihren Schlaf, und als sie erschreckt erwachte, hörte
sie, wie ihr Mann im Schlafe den Namen der Rivalin mit einem Tone aus¬
sprach, der ihr bis in das Innerste des Herzens drang.

Es wurde der Fremden unter den Ehegatten nicht mehr Erwähnung ge¬
than; Oswald aber konnte sich nicht beherrschen, er ging hinaus an den Strand


Francesca von Rimini.

führerischen stolzen Weibes seine Fassung, sodaß sich Margarete selbst bei
Francesca als Freundin Oswalds vorstellen mußte, der in dem Hause ihrer
Eltern viele Jahre lang verkehrt habe. Er gewann erst seine Ruhe wieder,
als er Margarete in ihr Hotel zurückbegleitete, wozu sich diese die Erlaubnis
Francescas, die ihren Oheim nicht verlassen wollte, ausdrücklich erbeten hatte.
Oswald war durch das Erscheinen Margaretens aus seiner Lethargie erwacht,
noch einmal loderte in ihm der Zorn auf; er überschüttete Frau van Köller
mit Vorwürfen, daß sie es gewagt habe, nach allem, was vorgefallen sei, in
sein Haus zu kommen und seiner edeln Frau vor das Gesicht zu treten. Seine
Entrüstung aber kannte keine Grenzen, als er erfuhr, daß Margarete nur um
ihn wiederzusehen die Reise unternommen habe.

Diese sah bald ein, daß sie Oswald von der sentimentalen Seite nehmen
müsse, um ihn zu rühren. Sie schilderte ihr ödes, freudloses Leben an der
Seite eines Gatten, der weder Geist noch Gemüt habe, um eine Frau zu
schätzen; sie fluchte ihrer Mutter, welche die kindliche Unerfahrenheit der Tochter
gemißbraucht habe, um sie von Oswald zu reißen und an einen ungeliebten und
gefühlsarmen Mann zu ketten, sie beschwor den frühern Geliebten, ihr wenig¬
stens zu gönnen, daß sie, auch ohne ihn wiederzusehen, ein paar Tage dieselbe
Luft mit ihm atmen dürfe.

Oswald war diesem Ausbruch der Leidenschaft gegenüber äußerlich fest ge¬
blieben, in seinem Innern aber fand der Gedanke Raum, wie auch er an der
Seite dieser Frau ganz anders seinem künstlerischen Berufe nachgelebt hätte.
Dann aber wieder nagte er sich der Treulosigkeit gegen Francesca an, die
durch ihre selbstlose und hingebende Liebe ihn vor dem Abgrunde der Ver¬
zweiflung gerettet und dem Leben wiedergegeben habe. Er fand bei seiner
Rückkehr Francesca ganz verstört; sie fühlte, daß ein Geheimnis zwischen ihr
und ihrem Gatten bestand und daß die Fremde den Schlüssel zu diesem Mysterium
besitze. Oswald ergriff ein tiefes Mitleiden bei dem Anblick seiner trauernden
Frau, und als nach dem Thee Don Baldassare sich zur Ruhe begeben hatte,
nahm er seine Frau in das Atelier und erzählte ihr von seinen Kämpfen um
Margarete, aber auch wie er für immer dieser Liebe entsagt und in seinem
treuen Weibe den schönsten Lohn für vergangene Unbill empfangen habe. Er
habe sie niemals durch eine solche Erzählung verwirren wollen, aber jetzt auch
eine volle Beichte abgelegt, da sie durch die unerwartete Erscheinung Margaretens
notwendig geworden sei. Francesca fühlte sich durch dieses freie Bekenntnis
wieder ganz beruhigt, sie glaubte ihren Gatten neu gewonnen zu haben, aber
wilde Träume beunruhigten ihren Schlaf, und als sie erschreckt erwachte, hörte
sie, wie ihr Mann im Schlafe den Namen der Rivalin mit einem Tone aus¬
sprach, der ihr bis in das Innerste des Herzens drang.

Es wurde der Fremden unter den Ehegatten nicht mehr Erwähnung ge¬
than; Oswald aber konnte sich nicht beherrschen, er ging hinaus an den Strand


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[0479] Francesca von Rimini. führerischen stolzen Weibes seine Fassung, sodaß sich Margarete selbst bei Francesca als Freundin Oswalds vorstellen mußte, der in dem Hause ihrer Eltern viele Jahre lang verkehrt habe. Er gewann erst seine Ruhe wieder, als er Margarete in ihr Hotel zurückbegleitete, wozu sich diese die Erlaubnis Francescas, die ihren Oheim nicht verlassen wollte, ausdrücklich erbeten hatte. Oswald war durch das Erscheinen Margaretens aus seiner Lethargie erwacht, noch einmal loderte in ihm der Zorn auf; er überschüttete Frau van Köller mit Vorwürfen, daß sie es gewagt habe, nach allem, was vorgefallen sei, in sein Haus zu kommen und seiner edeln Frau vor das Gesicht zu treten. Seine Entrüstung aber kannte keine Grenzen, als er erfuhr, daß Margarete nur um ihn wiederzusehen die Reise unternommen habe. Diese sah bald ein, daß sie Oswald von der sentimentalen Seite nehmen müsse, um ihn zu rühren. Sie schilderte ihr ödes, freudloses Leben an der Seite eines Gatten, der weder Geist noch Gemüt habe, um eine Frau zu schätzen; sie fluchte ihrer Mutter, welche die kindliche Unerfahrenheit der Tochter gemißbraucht habe, um sie von Oswald zu reißen und an einen ungeliebten und gefühlsarmen Mann zu ketten, sie beschwor den frühern Geliebten, ihr wenig¬ stens zu gönnen, daß sie, auch ohne ihn wiederzusehen, ein paar Tage dieselbe Luft mit ihm atmen dürfe. Oswald war diesem Ausbruch der Leidenschaft gegenüber äußerlich fest ge¬ blieben, in seinem Innern aber fand der Gedanke Raum, wie auch er an der Seite dieser Frau ganz anders seinem künstlerischen Berufe nachgelebt hätte. Dann aber wieder nagte er sich der Treulosigkeit gegen Francesca an, die durch ihre selbstlose und hingebende Liebe ihn vor dem Abgrunde der Ver¬ zweiflung gerettet und dem Leben wiedergegeben habe. Er fand bei seiner Rückkehr Francesca ganz verstört; sie fühlte, daß ein Geheimnis zwischen ihr und ihrem Gatten bestand und daß die Fremde den Schlüssel zu diesem Mysterium besitze. Oswald ergriff ein tiefes Mitleiden bei dem Anblick seiner trauernden Frau, und als nach dem Thee Don Baldassare sich zur Ruhe begeben hatte, nahm er seine Frau in das Atelier und erzählte ihr von seinen Kämpfen um Margarete, aber auch wie er für immer dieser Liebe entsagt und in seinem treuen Weibe den schönsten Lohn für vergangene Unbill empfangen habe. Er habe sie niemals durch eine solche Erzählung verwirren wollen, aber jetzt auch eine volle Beichte abgelegt, da sie durch die unerwartete Erscheinung Margaretens notwendig geworden sei. Francesca fühlte sich durch dieses freie Bekenntnis wieder ganz beruhigt, sie glaubte ihren Gatten neu gewonnen zu haben, aber wilde Träume beunruhigten ihren Schlaf, und als sie erschreckt erwachte, hörte sie, wie ihr Mann im Schlafe den Namen der Rivalin mit einem Tone aus¬ sprach, der ihr bis in das Innerste des Herzens drang. Es wurde der Fremden unter den Ehegatten nicht mehr Erwähnung ge¬ than; Oswald aber konnte sich nicht beherrschen, er ging hinaus an den Strand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/479>, abgerufen am 27.07.2024.