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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

sie Von dem nie alternden Adjutanten ihrer Mutter, Dr. Spath, erfahren, daß
Oswald in Rimini lebe, und nach der Gewohnheit vieler Maler in die Netze
eines Modelles gefallen sei, das er zuletzt, um sich des ungestörten Besitzes zu
erfreuen, geheiratet habe. Diese Nachricht führte Margarethe aufs neue in den
Strudel ihres bisherigen Lebens zurück, aber die Betäubungen desselben hielten
nicht lange vor, und trotz der Verachtung und des Hasses, den sie dem Geliebten
wegen dieser Wahl nachtrug, blieb ihr alter Wunsch, ihn wiederzusehen, nicht
nur lebendig, sondern schlug immer stärkere Wurzeln in ihr.

Sie war wieder einmal aus Baden-Baden in der übelsten Laune nach
Berlin zurückgekehrt. Sie hatte einem französischen Abenteurer, der sie eine Zeit
lang gefesselt, den Laufpaß gegeben, nachdem sie zu der Erkenntnis gelangt war,
daß dieser sie hauptsächlich nur zur Bezahlung seiner Schulden verwenden wollte.
Damals hatte gerade Oswalds "Triumph der Kirche" die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich gezogen. Als sie in dem Dämon der Sinneslust ihr eignes zur Leidenschaft
idealisirtes Bildnis wiederfand, Durchrieselte sie ein frohes Gefühl. Sie erkannte
daraus mit stolzer Freude, daß Oswald trotz der Trennung und trotz seiner
Ehe ihrer nicht vergessen habe. Mit der Divination einer in den Verschlingungen
der Liebe erfahrenen Frau sah sie den Gegensatz, der sich in dem innern Leben
Oswalds vorfand, und sie hielt die Gelegenheit für günstig, sich seiner zu be¬
mächtigen und ihn ihre Übermacht fühlen zu lassen. Auf ihre Mutter, der sie
nicht ohne Grund den Bruch mit Oswald und ihr Ehejoch mit van Köller
zuschrieb, hatte sie ihren ganzen Haß entladen; sie benutzte ihr elterliches Haus
nur als Absteigequartier, und ihre Mutter durfte nicht wagen, ihr Vorstellungen
wegen ihres Lebens zu machen, ohne sich selbst die schwersten Vorwürfe zu¬
zuziehen. Als in den Zeitungen die Nachricht von Oswalds Ablehnung der
Professur bekannt geworden war, hielt es Margarete nicht länger in Berlin;
sie reiste ende September 1878 nach Italien und traf, da sie keinen langen
Aufenthalt auf ihrer Reise machte, anfangs Oktober in dem großen Badehotel
in Rimini ein, das jetzt schon, da die Saison für Italien vorüber war, fast
ganz von Fremden geleert war; sie machte daher umsomehr von sich reden.

Margarete hatte auf eine zufällige Begegnung mit Oswald gerechnet; da
dieser aber gerade in diesen Tagen verstimmt zu Hause saß, so war der Zu¬
fall ihrem Wunsche nicht entgegengekommen. Sie entschloß sich daher, als
ob nichts vorgefallen wäre, Oswald einen Besuch in seinem Atelier zu machen.
Das Zusammentreffen der beiden Frauen war ein eigentümliches; die kühle Höf¬
lichkeit Margaretens kontrastirte mit dem Erstaunen Francescas, die in ihrem Besuch
das Vorbild des Dämons in dem Triumph der Kirche erkannte. Mit einem
male sah sie die ganze Vergangenheit ihres Mannes, sie fühlte, daß diese Frau
dereinst ihre Nebenbuhlerin in der Liebe Oswalds gewesen und nicht gesonnen
sei, auf Oswald Verzicht zu leisten. Dieser bemerkte nicht minder, was
in dem Innern seiner Frau vorging, er selbst verlor bei dem Anblick des ver-


Francesca von Rimini.

sie Von dem nie alternden Adjutanten ihrer Mutter, Dr. Spath, erfahren, daß
Oswald in Rimini lebe, und nach der Gewohnheit vieler Maler in die Netze
eines Modelles gefallen sei, das er zuletzt, um sich des ungestörten Besitzes zu
erfreuen, geheiratet habe. Diese Nachricht führte Margarethe aufs neue in den
Strudel ihres bisherigen Lebens zurück, aber die Betäubungen desselben hielten
nicht lange vor, und trotz der Verachtung und des Hasses, den sie dem Geliebten
wegen dieser Wahl nachtrug, blieb ihr alter Wunsch, ihn wiederzusehen, nicht
nur lebendig, sondern schlug immer stärkere Wurzeln in ihr.

Sie war wieder einmal aus Baden-Baden in der übelsten Laune nach
Berlin zurückgekehrt. Sie hatte einem französischen Abenteurer, der sie eine Zeit
lang gefesselt, den Laufpaß gegeben, nachdem sie zu der Erkenntnis gelangt war,
daß dieser sie hauptsächlich nur zur Bezahlung seiner Schulden verwenden wollte.
Damals hatte gerade Oswalds „Triumph der Kirche" die allgemeine Aufmerksamkeit
auf sich gezogen. Als sie in dem Dämon der Sinneslust ihr eignes zur Leidenschaft
idealisirtes Bildnis wiederfand, Durchrieselte sie ein frohes Gefühl. Sie erkannte
daraus mit stolzer Freude, daß Oswald trotz der Trennung und trotz seiner
Ehe ihrer nicht vergessen habe. Mit der Divination einer in den Verschlingungen
der Liebe erfahrenen Frau sah sie den Gegensatz, der sich in dem innern Leben
Oswalds vorfand, und sie hielt die Gelegenheit für günstig, sich seiner zu be¬
mächtigen und ihn ihre Übermacht fühlen zu lassen. Auf ihre Mutter, der sie
nicht ohne Grund den Bruch mit Oswald und ihr Ehejoch mit van Köller
zuschrieb, hatte sie ihren ganzen Haß entladen; sie benutzte ihr elterliches Haus
nur als Absteigequartier, und ihre Mutter durfte nicht wagen, ihr Vorstellungen
wegen ihres Lebens zu machen, ohne sich selbst die schwersten Vorwürfe zu¬
zuziehen. Als in den Zeitungen die Nachricht von Oswalds Ablehnung der
Professur bekannt geworden war, hielt es Margarete nicht länger in Berlin;
sie reiste ende September 1878 nach Italien und traf, da sie keinen langen
Aufenthalt auf ihrer Reise machte, anfangs Oktober in dem großen Badehotel
in Rimini ein, das jetzt schon, da die Saison für Italien vorüber war, fast
ganz von Fremden geleert war; sie machte daher umsomehr von sich reden.

Margarete hatte auf eine zufällige Begegnung mit Oswald gerechnet; da
dieser aber gerade in diesen Tagen verstimmt zu Hause saß, so war der Zu¬
fall ihrem Wunsche nicht entgegengekommen. Sie entschloß sich daher, als
ob nichts vorgefallen wäre, Oswald einen Besuch in seinem Atelier zu machen.
Das Zusammentreffen der beiden Frauen war ein eigentümliches; die kühle Höf¬
lichkeit Margaretens kontrastirte mit dem Erstaunen Francescas, die in ihrem Besuch
das Vorbild des Dämons in dem Triumph der Kirche erkannte. Mit einem
male sah sie die ganze Vergangenheit ihres Mannes, sie fühlte, daß diese Frau
dereinst ihre Nebenbuhlerin in der Liebe Oswalds gewesen und nicht gesonnen
sei, auf Oswald Verzicht zu leisten. Dieser bemerkte nicht minder, was
in dem Innern seiner Frau vorging, er selbst verlor bei dem Anblick des ver-


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[0478] Francesca von Rimini. sie Von dem nie alternden Adjutanten ihrer Mutter, Dr. Spath, erfahren, daß Oswald in Rimini lebe, und nach der Gewohnheit vieler Maler in die Netze eines Modelles gefallen sei, das er zuletzt, um sich des ungestörten Besitzes zu erfreuen, geheiratet habe. Diese Nachricht führte Margarethe aufs neue in den Strudel ihres bisherigen Lebens zurück, aber die Betäubungen desselben hielten nicht lange vor, und trotz der Verachtung und des Hasses, den sie dem Geliebten wegen dieser Wahl nachtrug, blieb ihr alter Wunsch, ihn wiederzusehen, nicht nur lebendig, sondern schlug immer stärkere Wurzeln in ihr. Sie war wieder einmal aus Baden-Baden in der übelsten Laune nach Berlin zurückgekehrt. Sie hatte einem französischen Abenteurer, der sie eine Zeit lang gefesselt, den Laufpaß gegeben, nachdem sie zu der Erkenntnis gelangt war, daß dieser sie hauptsächlich nur zur Bezahlung seiner Schulden verwenden wollte. Damals hatte gerade Oswalds „Triumph der Kirche" die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Als sie in dem Dämon der Sinneslust ihr eignes zur Leidenschaft idealisirtes Bildnis wiederfand, Durchrieselte sie ein frohes Gefühl. Sie erkannte daraus mit stolzer Freude, daß Oswald trotz der Trennung und trotz seiner Ehe ihrer nicht vergessen habe. Mit der Divination einer in den Verschlingungen der Liebe erfahrenen Frau sah sie den Gegensatz, der sich in dem innern Leben Oswalds vorfand, und sie hielt die Gelegenheit für günstig, sich seiner zu be¬ mächtigen und ihn ihre Übermacht fühlen zu lassen. Auf ihre Mutter, der sie nicht ohne Grund den Bruch mit Oswald und ihr Ehejoch mit van Köller zuschrieb, hatte sie ihren ganzen Haß entladen; sie benutzte ihr elterliches Haus nur als Absteigequartier, und ihre Mutter durfte nicht wagen, ihr Vorstellungen wegen ihres Lebens zu machen, ohne sich selbst die schwersten Vorwürfe zu¬ zuziehen. Als in den Zeitungen die Nachricht von Oswalds Ablehnung der Professur bekannt geworden war, hielt es Margarete nicht länger in Berlin; sie reiste ende September 1878 nach Italien und traf, da sie keinen langen Aufenthalt auf ihrer Reise machte, anfangs Oktober in dem großen Badehotel in Rimini ein, das jetzt schon, da die Saison für Italien vorüber war, fast ganz von Fremden geleert war; sie machte daher umsomehr von sich reden. Margarete hatte auf eine zufällige Begegnung mit Oswald gerechnet; da dieser aber gerade in diesen Tagen verstimmt zu Hause saß, so war der Zu¬ fall ihrem Wunsche nicht entgegengekommen. Sie entschloß sich daher, als ob nichts vorgefallen wäre, Oswald einen Besuch in seinem Atelier zu machen. Das Zusammentreffen der beiden Frauen war ein eigentümliches; die kühle Höf¬ lichkeit Margaretens kontrastirte mit dem Erstaunen Francescas, die in ihrem Besuch das Vorbild des Dämons in dem Triumph der Kirche erkannte. Mit einem male sah sie die ganze Vergangenheit ihres Mannes, sie fühlte, daß diese Frau dereinst ihre Nebenbuhlerin in der Liebe Oswalds gewesen und nicht gesonnen sei, auf Oswald Verzicht zu leisten. Dieser bemerkte nicht minder, was in dem Innern seiner Frau vorging, er selbst verlor bei dem Anblick des ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/478>, abgerufen am 28.07.2024.