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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

auf entsprechende Gewohnheiten legten, destoweniger peinlich in Bezug auf den
innern Anstand und auf die Moral überhaupt waren. Es war dies ganz
natürlich; als junge schöne Frau, die sich nur mit Dienerschaft an Orten auf¬
hielt, welche der Sammelpunkt der internationalen fashionablen Welt mit all
den Fehlern und Lastern der kosmopolitischen Anschauungen waren, gab sie,
anfangs ohne es zu merken, Abenteurern allerlei Art Zutritt. Und als sie es
merkte, war sie schon zu tief in diesen Verkehr geraten und zu sehr in dessen
Gewohnheiten verstrickt, um noch vor dem letzten Schritt zurückzuschrecken, mit
dem sich die Frau über die der weiblichen Ehre gezogenen Grenzen hinwegsetzt.
So geriet sie bald in galante Abenteuer und erprobte an sich selbst, wie sich
in ihrem Leben dasjenige verwirklichte, was sie bisher nur in den Romanen
gelesen und in den Pariser Komödien auf der Bühne gesehen hatte. Aber in
diesem Leben des Genusses fehlten auch uicht die Augenblicke der Übersättigung
und des Ekels; dann merkte sie mit Bitterkeit und Schmerz, daß alle Surrogate
nicht ausreichten, um das zu ersetzen, was ihrem Herzen fehlte, und die Worte
Oswalds bei ihrer letzten Unterredung in Cortina tönten ihr unaufhörlich in
ihrem Gewissen nach. Dann gedachte sie in Reue der Vergangenheit und ihre
Phantasie malte sich als Gegenstück zu ihren Irrfahrten und zu den niemals
befriedigenden Vergnügungen das Leben aus, das sie an der Seite Oswalds
geführt haben würde, wenn sie seiner Werbung Gehör geschenkt hätte. Und je
mehr sie sich die Genüsse dieses Lebens an der Seite eines geschätzten Künstlers
auszuschmücken wußte,' je mehr sie sich vorstellte, welche" Salon sie in Berlin,
umgeben von den ersten Koryphäen der Kunst und Literatur, hätte besitzen
können, umso wechselnder wurde ihre Stimmung. Denn nicht in sich selbst
suchte und fand sie die Ursache ihres unerquicklichen Daseins, sondern nur außer¬
halb ihrer Persönlichkeit, bald in Oswald selbst, bald in ihren Eltern. Und
so wechselten in ihr die Gefühle von Haß und Liebe zu dem verschmähten Künstler.
Bald wollte sie sich an ihm, von dem sie sich verachtet glaubte, rächen; dann
sann sie auf Mittel, wie sie in ihm die alte Liebe entflammen und, wenn sie
ihn ganz zum Sklaven ihrer Launen gemacht, ihn wieder von sich und zurück
in das Elend stoßen könnte. Bald wieder erwachte ihre Liebe zu Oswald; sie
hoffte auf eine Vereinigung mit ihm, und es schien ihr dann nicht schwer, sich
von den Fesseln ihrer Ehe zu lösen und ihr neues Leben ganz und in voller
Hingebung dem Geliebten zu weihen. Aber welche Stimmung auch zu der einen
oder andern Zeit in ihr die Oberhand behielt, der Wunsch, ihn wiederzusehen
und für sich wiederzuerobern, blieb stets derselbe. Während der ersten Monate
ihrer Ehe hatte sie von der Existenz Oswalds nichts erfahren können, man
wußte nur von ihm, daß er in Italien von einem Orte zum andern wandere,
und daß er auch einmal von dort Bilder in die Berliner Ausstellung geschickt
habe. Ein Brief, in welchem sie bei ihrem Vetter Grvßheim sich nach dem
Aufenthalt des Künstlers erkundigt hatte, blieb unbeantwortet. Später hatte


Francesca von Rimini.

auf entsprechende Gewohnheiten legten, destoweniger peinlich in Bezug auf den
innern Anstand und auf die Moral überhaupt waren. Es war dies ganz
natürlich; als junge schöne Frau, die sich nur mit Dienerschaft an Orten auf¬
hielt, welche der Sammelpunkt der internationalen fashionablen Welt mit all
den Fehlern und Lastern der kosmopolitischen Anschauungen waren, gab sie,
anfangs ohne es zu merken, Abenteurern allerlei Art Zutritt. Und als sie es
merkte, war sie schon zu tief in diesen Verkehr geraten und zu sehr in dessen
Gewohnheiten verstrickt, um noch vor dem letzten Schritt zurückzuschrecken, mit
dem sich die Frau über die der weiblichen Ehre gezogenen Grenzen hinwegsetzt.
So geriet sie bald in galante Abenteuer und erprobte an sich selbst, wie sich
in ihrem Leben dasjenige verwirklichte, was sie bisher nur in den Romanen
gelesen und in den Pariser Komödien auf der Bühne gesehen hatte. Aber in
diesem Leben des Genusses fehlten auch uicht die Augenblicke der Übersättigung
und des Ekels; dann merkte sie mit Bitterkeit und Schmerz, daß alle Surrogate
nicht ausreichten, um das zu ersetzen, was ihrem Herzen fehlte, und die Worte
Oswalds bei ihrer letzten Unterredung in Cortina tönten ihr unaufhörlich in
ihrem Gewissen nach. Dann gedachte sie in Reue der Vergangenheit und ihre
Phantasie malte sich als Gegenstück zu ihren Irrfahrten und zu den niemals
befriedigenden Vergnügungen das Leben aus, das sie an der Seite Oswalds
geführt haben würde, wenn sie seiner Werbung Gehör geschenkt hätte. Und je
mehr sie sich die Genüsse dieses Lebens an der Seite eines geschätzten Künstlers
auszuschmücken wußte,' je mehr sie sich vorstellte, welche» Salon sie in Berlin,
umgeben von den ersten Koryphäen der Kunst und Literatur, hätte besitzen
können, umso wechselnder wurde ihre Stimmung. Denn nicht in sich selbst
suchte und fand sie die Ursache ihres unerquicklichen Daseins, sondern nur außer¬
halb ihrer Persönlichkeit, bald in Oswald selbst, bald in ihren Eltern. Und
so wechselten in ihr die Gefühle von Haß und Liebe zu dem verschmähten Künstler.
Bald wollte sie sich an ihm, von dem sie sich verachtet glaubte, rächen; dann
sann sie auf Mittel, wie sie in ihm die alte Liebe entflammen und, wenn sie
ihn ganz zum Sklaven ihrer Launen gemacht, ihn wieder von sich und zurück
in das Elend stoßen könnte. Bald wieder erwachte ihre Liebe zu Oswald; sie
hoffte auf eine Vereinigung mit ihm, und es schien ihr dann nicht schwer, sich
von den Fesseln ihrer Ehe zu lösen und ihr neues Leben ganz und in voller
Hingebung dem Geliebten zu weihen. Aber welche Stimmung auch zu der einen
oder andern Zeit in ihr die Oberhand behielt, der Wunsch, ihn wiederzusehen
und für sich wiederzuerobern, blieb stets derselbe. Während der ersten Monate
ihrer Ehe hatte sie von der Existenz Oswalds nichts erfahren können, man
wußte nur von ihm, daß er in Italien von einem Orte zum andern wandere,
und daß er auch einmal von dort Bilder in die Berliner Ausstellung geschickt
habe. Ein Brief, in welchem sie bei ihrem Vetter Grvßheim sich nach dem
Aufenthalt des Künstlers erkundigt hatte, blieb unbeantwortet. Später hatte


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[0477] Francesca von Rimini. auf entsprechende Gewohnheiten legten, destoweniger peinlich in Bezug auf den innern Anstand und auf die Moral überhaupt waren. Es war dies ganz natürlich; als junge schöne Frau, die sich nur mit Dienerschaft an Orten auf¬ hielt, welche der Sammelpunkt der internationalen fashionablen Welt mit all den Fehlern und Lastern der kosmopolitischen Anschauungen waren, gab sie, anfangs ohne es zu merken, Abenteurern allerlei Art Zutritt. Und als sie es merkte, war sie schon zu tief in diesen Verkehr geraten und zu sehr in dessen Gewohnheiten verstrickt, um noch vor dem letzten Schritt zurückzuschrecken, mit dem sich die Frau über die der weiblichen Ehre gezogenen Grenzen hinwegsetzt. So geriet sie bald in galante Abenteuer und erprobte an sich selbst, wie sich in ihrem Leben dasjenige verwirklichte, was sie bisher nur in den Romanen gelesen und in den Pariser Komödien auf der Bühne gesehen hatte. Aber in diesem Leben des Genusses fehlten auch uicht die Augenblicke der Übersättigung und des Ekels; dann merkte sie mit Bitterkeit und Schmerz, daß alle Surrogate nicht ausreichten, um das zu ersetzen, was ihrem Herzen fehlte, und die Worte Oswalds bei ihrer letzten Unterredung in Cortina tönten ihr unaufhörlich in ihrem Gewissen nach. Dann gedachte sie in Reue der Vergangenheit und ihre Phantasie malte sich als Gegenstück zu ihren Irrfahrten und zu den niemals befriedigenden Vergnügungen das Leben aus, das sie an der Seite Oswalds geführt haben würde, wenn sie seiner Werbung Gehör geschenkt hätte. Und je mehr sie sich die Genüsse dieses Lebens an der Seite eines geschätzten Künstlers auszuschmücken wußte,' je mehr sie sich vorstellte, welche» Salon sie in Berlin, umgeben von den ersten Koryphäen der Kunst und Literatur, hätte besitzen können, umso wechselnder wurde ihre Stimmung. Denn nicht in sich selbst suchte und fand sie die Ursache ihres unerquicklichen Daseins, sondern nur außer¬ halb ihrer Persönlichkeit, bald in Oswald selbst, bald in ihren Eltern. Und so wechselten in ihr die Gefühle von Haß und Liebe zu dem verschmähten Künstler. Bald wollte sie sich an ihm, von dem sie sich verachtet glaubte, rächen; dann sann sie auf Mittel, wie sie in ihm die alte Liebe entflammen und, wenn sie ihn ganz zum Sklaven ihrer Launen gemacht, ihn wieder von sich und zurück in das Elend stoßen könnte. Bald wieder erwachte ihre Liebe zu Oswald; sie hoffte auf eine Vereinigung mit ihm, und es schien ihr dann nicht schwer, sich von den Fesseln ihrer Ehe zu lösen und ihr neues Leben ganz und in voller Hingebung dem Geliebten zu weihen. Aber welche Stimmung auch zu der einen oder andern Zeit in ihr die Oberhand behielt, der Wunsch, ihn wiederzusehen und für sich wiederzuerobern, blieb stets derselbe. Während der ersten Monate ihrer Ehe hatte sie von der Existenz Oswalds nichts erfahren können, man wußte nur von ihm, daß er in Italien von einem Orte zum andern wandere, und daß er auch einmal von dort Bilder in die Berliner Ausstellung geschickt habe. Ein Brief, in welchem sie bei ihrem Vetter Grvßheim sich nach dem Aufenthalt des Künstlers erkundigt hatte, blieb unbeantwortet. Später hatte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/477>, abgerufen am 28.07.2024.