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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini,

unter den unaufhörlichen Qualen der Hölle in ihren Gefühlen für Paolo von
Malatesta unerschüttert geblieben ist. Aber je schwerer diese Aufgabe für den
Dichter wurde, umso zarter und empfindsamer wird sie von ihm gelöst. Keusch
und einfach ist die Erzählung, in wenigen Worten enthüllt sie das Martyrium
eines ganzen Lebens, schildert sie die Grausamkeit des gewaltsamen und plötz¬
lichen Todes. Eine edle Gestalt enthebt sich Fmncesea aus der Schaar der
Sünder, zu deren Gemeinschaft sie der Dichter nur deshalb verurteilt, weil
der Tod die Liebenden überraschte, ehe sie wegen ihrer Sünden Reue fühlten
und Buße thun konnten. Aber vielleicht wollte der Dichter auch als eigne
Überzeugung aussprechen, daß Leid die Frucht der Liebe sei. Und so bekennt
Francesca:


^wor, vllo " nullo "MÄto aus,r poräonÄ,
AI xroso not oostui Moor si torto
Loo oomo voeu üneor von im adbmrtton".
^wor oonäusso not s,ä un", mores.

Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du siehst, kein Leid ihn unterdrückte,
Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt.

Oswald fühlte alle Pulse schlagen, Herz und Hirn drohten ihm zu zer¬
springen, als das Mädchen in tiefer Ergriffenheit und steigender Rührung diese
Verse vortrug, während ihre Augen in Thränen erglänzten. Und wie sie ge¬
endet hatte:


Hnosti ölig ita wo von us, äiviso,
1^ ooeos, rin baeoiö tutto trorakuto,
KÄootw tu it libro o viri lo sorisso
Hnol Moruo vin rwir ol IgMswino Ävants.
Da naht er, der mich nimmer wird verlassen,
Da küßte zitternd meinen Mund auch er,
Verführer war das Buch und der's verfaßte --
An jenem Tage lasen wir nicht mehr --

da ließ sie das Buch fallen, sie konnte sich nicht länger beherrschen, und schluchzend
barg sie ihr Antlitz in die Hände. Oswald aber war vor ihr in die Knie ge¬
sunken und beteuerte ihr in glühenden Worten seine Liebe, wie er in dieser die
Errettung von schweren Wunden, die Erlösung von großem Übel, den Glauben
an sich selbst und das Heil für die Zukunft gefunden habe. Als er in sanftem
Druck die Hände von ihrem Antlitz freigemacht hatte, da leuchteten ihm unter
tiefem Erröten der Wangen zwei treue Augen glückverheißend entgegen:


Da küßte zitternd ihren Mund auch er,
Erretter war das Buch und der's verfaßte,
An diesem Tage lasen sie nicht mehr.

Francesca von Rimini,

unter den unaufhörlichen Qualen der Hölle in ihren Gefühlen für Paolo von
Malatesta unerschüttert geblieben ist. Aber je schwerer diese Aufgabe für den
Dichter wurde, umso zarter und empfindsamer wird sie von ihm gelöst. Keusch
und einfach ist die Erzählung, in wenigen Worten enthüllt sie das Martyrium
eines ganzen Lebens, schildert sie die Grausamkeit des gewaltsamen und plötz¬
lichen Todes. Eine edle Gestalt enthebt sich Fmncesea aus der Schaar der
Sünder, zu deren Gemeinschaft sie der Dichter nur deshalb verurteilt, weil
der Tod die Liebenden überraschte, ehe sie wegen ihrer Sünden Reue fühlten
und Buße thun konnten. Aber vielleicht wollte der Dichter auch als eigne
Überzeugung aussprechen, daß Leid die Frucht der Liebe sei. Und so bekennt
Francesca:


^wor, vllo » nullo »MÄto aus,r poräonÄ,
AI xroso not oostui Moor si torto
Loo oomo voeu üneor von im adbmrtton».
^wor oonäusso not s,ä un», mores.

Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du siehst, kein Leid ihn unterdrückte,
Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt.

Oswald fühlte alle Pulse schlagen, Herz und Hirn drohten ihm zu zer¬
springen, als das Mädchen in tiefer Ergriffenheit und steigender Rührung diese
Verse vortrug, während ihre Augen in Thränen erglänzten. Und wie sie ge¬
endet hatte:


Hnosti ölig ita wo von us, äiviso,
1^ ooeos, rin baeoiö tutto trorakuto,
KÄootw tu it libro o viri lo sorisso
Hnol Moruo vin rwir ol IgMswino Ävants.
Da naht er, der mich nimmer wird verlassen,
Da küßte zitternd meinen Mund auch er,
Verführer war das Buch und der's verfaßte —
An jenem Tage lasen wir nicht mehr —

da ließ sie das Buch fallen, sie konnte sich nicht länger beherrschen, und schluchzend
barg sie ihr Antlitz in die Hände. Oswald aber war vor ihr in die Knie ge¬
sunken und beteuerte ihr in glühenden Worten seine Liebe, wie er in dieser die
Errettung von schweren Wunden, die Erlösung von großem Übel, den Glauben
an sich selbst und das Heil für die Zukunft gefunden habe. Als er in sanftem
Druck die Hände von ihrem Antlitz freigemacht hatte, da leuchteten ihm unter
tiefem Erröten der Wangen zwei treue Augen glückverheißend entgegen:


Da küßte zitternd ihren Mund auch er,
Erretter war das Buch und der's verfaßte,
An diesem Tage lasen sie nicht mehr.

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[0418] Francesca von Rimini, unter den unaufhörlichen Qualen der Hölle in ihren Gefühlen für Paolo von Malatesta unerschüttert geblieben ist. Aber je schwerer diese Aufgabe für den Dichter wurde, umso zarter und empfindsamer wird sie von ihm gelöst. Keusch und einfach ist die Erzählung, in wenigen Worten enthüllt sie das Martyrium eines ganzen Lebens, schildert sie die Grausamkeit des gewaltsamen und plötz¬ lichen Todes. Eine edle Gestalt enthebt sich Fmncesea aus der Schaar der Sünder, zu deren Gemeinschaft sie der Dichter nur deshalb verurteilt, weil der Tod die Liebenden überraschte, ehe sie wegen ihrer Sünden Reue fühlten und Buße thun konnten. Aber vielleicht wollte der Dichter auch als eigne Überzeugung aussprechen, daß Leid die Frucht der Liebe sei. Und so bekennt Francesca: ^wor, vllo » nullo »MÄto aus,r poräonÄ, AI xroso not oostui Moor si torto Loo oomo voeu üneor von im adbmrtton». ^wor oonäusso not s,ä un», mores. Die Liebe, die Geliebte stets berückte, Ergriff für diesen mich mit solchem Brand, Daß, wie du siehst, kein Leid ihn unterdrückte, Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt. Oswald fühlte alle Pulse schlagen, Herz und Hirn drohten ihm zu zer¬ springen, als das Mädchen in tiefer Ergriffenheit und steigender Rührung diese Verse vortrug, während ihre Augen in Thränen erglänzten. Und wie sie ge¬ endet hatte: Hnosti ölig ita wo von us, äiviso, 1^ ooeos, rin baeoiö tutto trorakuto, KÄootw tu it libro o viri lo sorisso Hnol Moruo vin rwir ol IgMswino Ävants. Da naht er, der mich nimmer wird verlassen, Da küßte zitternd meinen Mund auch er, Verführer war das Buch und der's verfaßte — An jenem Tage lasen wir nicht mehr — da ließ sie das Buch fallen, sie konnte sich nicht länger beherrschen, und schluchzend barg sie ihr Antlitz in die Hände. Oswald aber war vor ihr in die Knie ge¬ sunken und beteuerte ihr in glühenden Worten seine Liebe, wie er in dieser die Errettung von schweren Wunden, die Erlösung von großem Übel, den Glauben an sich selbst und das Heil für die Zukunft gefunden habe. Als er in sanftem Druck die Hände von ihrem Antlitz freigemacht hatte, da leuchteten ihm unter tiefem Erröten der Wangen zwei treue Augen glückverheißend entgegen: Da küßte zitternd ihren Mund auch er, Erretter war das Buch und der's verfaßte, An diesem Tage lasen sie nicht mehr.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/418>, abgerufen am 28.07.2024.