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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

11.

Noch an demselben Tage wurde die Einwilligung von Don Baldassare er¬
beten und erlangt. Wie erstaunt der letztere auch über das Ereignis war, das
er so wenig vorausgesehen hatte, so freute er sich doch über das Glück des jungen
Paares und besonders der von Seligkeit strahlenden Francesca. Es wurde
beschlossen, um jeglichem Gerede aus dem Wege zu gehen, die Hochzeit zu be¬
schleunigen und erst mit dieser selbst der Welt von der Verbindung Kenntnis
zu geben. Die erforderlichen Urkunden wurden von Oswald aus der Heimat
beschafft, und am 20. Dezember 1877 erfolgte unmittelbar nach der bürgerlichen
Eheschließung die kirchliche Einsegnung der Marchesina Francesca ti Serradisetti
und des Malers Oswald Hertel in San Giuliano, der alten Familienkirche des
Geschlechts.

Das junge Ehepaar brachte die Weihnachtsfeiertage in Rom zu, dehnte
jedoch den Aufenthalt nicht über Neujahr aus, weil Francesca sich Gewissens¬
bisse machte, den inzwischen erkrankten Don Baldassare ganz allein und lediglich
unter der Obhut der alten Marietta zu wissen.

Das Leben, welches fortan in dem Palazzo der Via Sau Giuliano geführt
wurde, unterschied sich nur in wenigem von dem vor der Eheschließung. Os¬
wald arbeitete mit Eifer, und Francesca war so oft bei dieser Arbeit, als sie
es mit ihrer Pflege für den noch immer nicht genesenen Oheim vereinigen konnte.
In den ersten Monaten seiner Ehe fühlte Oswald täglich mehr das Glück
eines behaglichen Friedens "ut den Schatz eines zufriedenen und gottergebenen
Gemüts, wie er ihn in seiner Frau besaß. Wie es dem Reisenden ergeht, welcher
nach heftigen Stürmen im Weltmeere mit seinem kleinen Boot in den Fluß
einführt und sich des ruhigen und friedlichen Dahingleitens an den stillen, ein¬
fachen Ufern erfreut, so erquickte sich auch Oswald an seinem bescheidnen Heim.
Er setzte die Dantestndien mit Francesca fort und arbeitete, durch den Dichter
angeregt, an einem großen Bilde, welches den Triumph der Kirche darstellen
sollte, i" freier Bearbeitung nach dem bekannten Gesang des Purgatorio. Als
Beatrice war Francesca dargestellt, und er selbst malte sich als den Menschen,
welcher durch Beatrice der göttlichen Gnade teilhaftig wird. Don Baldassare
beschloß mit dem Apostel Paulus, dem der schneidige Signor Rebecchini zum
Modell diente, als heiliger Lukas deu Zug. Das Bild war Gegenstand der
Teilnahme des ganzen Hauses, und während Don Baldassare, wenn auch pedan¬
tische, so doch immer wertvolle Erläuterungen zu den Gestalten Dantes gab,
leitete Francesca den Geschmack ihres Mannes durch sinnige Bemerkungen auf
den richtigen Weg. Zum großen Schmerz des Oheims befolgte Oswald nicht
buchstäblich den Danteschen Vorwurf; er hielt es eines Künstlers für unwürdig,
der bloße Illustrator eines Dichters, und sei es auch des größten, zu werden,
ebensowenig wie ein Dichter das Gemälde eines Malers, und sei er auch noch


Grenzboten IV. >683. 52
Francesca von Rimini.

11.

Noch an demselben Tage wurde die Einwilligung von Don Baldassare er¬
beten und erlangt. Wie erstaunt der letztere auch über das Ereignis war, das
er so wenig vorausgesehen hatte, so freute er sich doch über das Glück des jungen
Paares und besonders der von Seligkeit strahlenden Francesca. Es wurde
beschlossen, um jeglichem Gerede aus dem Wege zu gehen, die Hochzeit zu be¬
schleunigen und erst mit dieser selbst der Welt von der Verbindung Kenntnis
zu geben. Die erforderlichen Urkunden wurden von Oswald aus der Heimat
beschafft, und am 20. Dezember 1877 erfolgte unmittelbar nach der bürgerlichen
Eheschließung die kirchliche Einsegnung der Marchesina Francesca ti Serradisetti
und des Malers Oswald Hertel in San Giuliano, der alten Familienkirche des
Geschlechts.

Das junge Ehepaar brachte die Weihnachtsfeiertage in Rom zu, dehnte
jedoch den Aufenthalt nicht über Neujahr aus, weil Francesca sich Gewissens¬
bisse machte, den inzwischen erkrankten Don Baldassare ganz allein und lediglich
unter der Obhut der alten Marietta zu wissen.

Das Leben, welches fortan in dem Palazzo der Via Sau Giuliano geführt
wurde, unterschied sich nur in wenigem von dem vor der Eheschließung. Os¬
wald arbeitete mit Eifer, und Francesca war so oft bei dieser Arbeit, als sie
es mit ihrer Pflege für den noch immer nicht genesenen Oheim vereinigen konnte.
In den ersten Monaten seiner Ehe fühlte Oswald täglich mehr das Glück
eines behaglichen Friedens »ut den Schatz eines zufriedenen und gottergebenen
Gemüts, wie er ihn in seiner Frau besaß. Wie es dem Reisenden ergeht, welcher
nach heftigen Stürmen im Weltmeere mit seinem kleinen Boot in den Fluß
einführt und sich des ruhigen und friedlichen Dahingleitens an den stillen, ein¬
fachen Ufern erfreut, so erquickte sich auch Oswald an seinem bescheidnen Heim.
Er setzte die Dantestndien mit Francesca fort und arbeitete, durch den Dichter
angeregt, an einem großen Bilde, welches den Triumph der Kirche darstellen
sollte, i» freier Bearbeitung nach dem bekannten Gesang des Purgatorio. Als
Beatrice war Francesca dargestellt, und er selbst malte sich als den Menschen,
welcher durch Beatrice der göttlichen Gnade teilhaftig wird. Don Baldassare
beschloß mit dem Apostel Paulus, dem der schneidige Signor Rebecchini zum
Modell diente, als heiliger Lukas deu Zug. Das Bild war Gegenstand der
Teilnahme des ganzen Hauses, und während Don Baldassare, wenn auch pedan¬
tische, so doch immer wertvolle Erläuterungen zu den Gestalten Dantes gab,
leitete Francesca den Geschmack ihres Mannes durch sinnige Bemerkungen auf
den richtigen Weg. Zum großen Schmerz des Oheims befolgte Oswald nicht
buchstäblich den Danteschen Vorwurf; er hielt es eines Künstlers für unwürdig,
der bloße Illustrator eines Dichters, und sei es auch des größten, zu werden,
ebensowenig wie ein Dichter das Gemälde eines Malers, und sei er auch noch


Grenzboten IV. >683. 52
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[0419] Francesca von Rimini. 11. Noch an demselben Tage wurde die Einwilligung von Don Baldassare er¬ beten und erlangt. Wie erstaunt der letztere auch über das Ereignis war, das er so wenig vorausgesehen hatte, so freute er sich doch über das Glück des jungen Paares und besonders der von Seligkeit strahlenden Francesca. Es wurde beschlossen, um jeglichem Gerede aus dem Wege zu gehen, die Hochzeit zu be¬ schleunigen und erst mit dieser selbst der Welt von der Verbindung Kenntnis zu geben. Die erforderlichen Urkunden wurden von Oswald aus der Heimat beschafft, und am 20. Dezember 1877 erfolgte unmittelbar nach der bürgerlichen Eheschließung die kirchliche Einsegnung der Marchesina Francesca ti Serradisetti und des Malers Oswald Hertel in San Giuliano, der alten Familienkirche des Geschlechts. Das junge Ehepaar brachte die Weihnachtsfeiertage in Rom zu, dehnte jedoch den Aufenthalt nicht über Neujahr aus, weil Francesca sich Gewissens¬ bisse machte, den inzwischen erkrankten Don Baldassare ganz allein und lediglich unter der Obhut der alten Marietta zu wissen. Das Leben, welches fortan in dem Palazzo der Via Sau Giuliano geführt wurde, unterschied sich nur in wenigem von dem vor der Eheschließung. Os¬ wald arbeitete mit Eifer, und Francesca war so oft bei dieser Arbeit, als sie es mit ihrer Pflege für den noch immer nicht genesenen Oheim vereinigen konnte. In den ersten Monaten seiner Ehe fühlte Oswald täglich mehr das Glück eines behaglichen Friedens »ut den Schatz eines zufriedenen und gottergebenen Gemüts, wie er ihn in seiner Frau besaß. Wie es dem Reisenden ergeht, welcher nach heftigen Stürmen im Weltmeere mit seinem kleinen Boot in den Fluß einführt und sich des ruhigen und friedlichen Dahingleitens an den stillen, ein¬ fachen Ufern erfreut, so erquickte sich auch Oswald an seinem bescheidnen Heim. Er setzte die Dantestndien mit Francesca fort und arbeitete, durch den Dichter angeregt, an einem großen Bilde, welches den Triumph der Kirche darstellen sollte, i» freier Bearbeitung nach dem bekannten Gesang des Purgatorio. Als Beatrice war Francesca dargestellt, und er selbst malte sich als den Menschen, welcher durch Beatrice der göttlichen Gnade teilhaftig wird. Don Baldassare beschloß mit dem Apostel Paulus, dem der schneidige Signor Rebecchini zum Modell diente, als heiliger Lukas deu Zug. Das Bild war Gegenstand der Teilnahme des ganzen Hauses, und während Don Baldassare, wenn auch pedan¬ tische, so doch immer wertvolle Erläuterungen zu den Gestalten Dantes gab, leitete Francesca den Geschmack ihres Mannes durch sinnige Bemerkungen auf den richtigen Weg. Zum großen Schmerz des Oheims befolgte Oswald nicht buchstäblich den Danteschen Vorwurf; er hielt es eines Künstlers für unwürdig, der bloße Illustrator eines Dichters, und sei es auch des größten, zu werden, ebensowenig wie ein Dichter das Gemälde eines Malers, und sei er auch noch Grenzboten IV. >683. 52

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/419>, abgerufen am 28.07.2024.