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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit.

Name" nenne", so ist sein Buch eine Lüge; kreuzige und verbrennt aber die
Welt noch immer die Wahrheitsverkünder, so verkündigt er die Wahrheit nicht.

Sehen wir uns das Buch mit dem pompösen Titel näher an. Der Stil
zunächst ist flott, gewandt, unaufhaltsam vorwärtseilend wie ein munterer Fluß.
Aber er hat die Eigentümlichkeit, eben immer vorwärts zu treiben, und fast
niemals erregt er das angenehme Zaudern, verlockt er zu dem anziehenden
Stillehalten, welches der originellen und schönen Schreibweise folgt. Der Stil
hat viel von dem eines gut geschriebenen Leitartikels, und dann wieder eines
pikanten Feuilletons, und dabei neigt er an vielen Stellen zu der Manier des
Herrn Johannes Scherr hin. Dieser "allgemein beliebte und verehrte" Schrift¬
steller, welcher sich ebenfalls einbildet, er nenne das Kind beim rechten Namen,
hat eine bemerkenswerte Vorliebe für große Wörter. Er scheint die rollenden
und donnernden Wörter um ihrer selbst willen zu lieben, denn er gebraucht sie
ziemlich unabhängig von der Beziehung, die sie zu dem Gedanken haben, den
er ausdrücken will. Deshalb glaube ich nicht, daß er ein gutes Vorbild für
den Stil ist. Ich will zugestehen, daß er verführerisch ist. Seine Sätze klingen
so großartig, daß der Leser immer wieder auf die Vermutung kommt, sie hätten
einen Inhalt; er kann sich nach längerer Übung erst klar machen, daß so viele
schöne ausländische und neugebildete Wörter dastehen können, ohne notwendig
zu sein. Aber ich glaube trotzdem und trotz des großen Beifalls, den Herr,
Scherr gefunden hat, nicht, daß es zur Veredlung der deutschen Schreibweise
dienen würde, wenn er Schule machte, und ich denke, Herr Norden hätte besser
gethan, derartigen Kraftaufwand zu vermeiden. Ich will einige Stellen aus
seinem Buche anführen, um Proben seines Stils zu geben, bemerke aber aus¬
drücklich, daß ich dabei nicht nach Stellen suche, welche mir weniger, sondern
gerade nach solchen, welche mir besser gefallen haben, Weil sich hier Inhalt und
Form decken.

S. 113. Für den Verächter der konventionellen Lügen giebt es kein ergötz¬
licheres Schauspiel als das Dilemma, in welches jeuer unerbittliche Logiker, der
Fürst Bismarck, die sogenannten Liberalen des deutschen Reichstags einklemmt, in¬
dem er ihnen durch seine bevollmächtigten Parlamentsredner und auf Vorstehen
und Apportiren dressirten Journalisten immer wieder sagen läßt: entweder sie
seien Republikaner und heucheln, wenn sie einander in Loyalitäts-Versicherungen
überbieten, oder ihre Königstreue sei ehrlich, und dann haben sie sie durch Gehorsam
vor dem Köuigswillcn zu beweisen. Dieses "entweder -- oder" ist ein Hammer
und Ambos, zwischen welchen der monarchische Liberalismus zu einem Brei zer¬
hauen wird, von dem kein Hund fressen möchte. Es ist unsagbar lustig anzusehen,
wie sich die schwachmütigen Oppositionsparteien unter dem eisernen Griff jener
schonungsloser Logik winden! Wie sie sich losmachen, wie sie ausweisen möchten!
Sie seien der Dynastie bis in den Tod ergeben, der König habe keine zuver¬
lässigeren Diener als sie, die Republik sei für sie der Greuel der Verwüstung, aber
die Verfassung bestehe doch sozusagen auch, der König selbst habe ja die Gnade


Die konventionellen Lügen der Kulturmenschheit.

Name» nenne», so ist sein Buch eine Lüge; kreuzige und verbrennt aber die
Welt noch immer die Wahrheitsverkünder, so verkündigt er die Wahrheit nicht.

Sehen wir uns das Buch mit dem pompösen Titel näher an. Der Stil
zunächst ist flott, gewandt, unaufhaltsam vorwärtseilend wie ein munterer Fluß.
Aber er hat die Eigentümlichkeit, eben immer vorwärts zu treiben, und fast
niemals erregt er das angenehme Zaudern, verlockt er zu dem anziehenden
Stillehalten, welches der originellen und schönen Schreibweise folgt. Der Stil
hat viel von dem eines gut geschriebenen Leitartikels, und dann wieder eines
pikanten Feuilletons, und dabei neigt er an vielen Stellen zu der Manier des
Herrn Johannes Scherr hin. Dieser „allgemein beliebte und verehrte" Schrift¬
steller, welcher sich ebenfalls einbildet, er nenne das Kind beim rechten Namen,
hat eine bemerkenswerte Vorliebe für große Wörter. Er scheint die rollenden
und donnernden Wörter um ihrer selbst willen zu lieben, denn er gebraucht sie
ziemlich unabhängig von der Beziehung, die sie zu dem Gedanken haben, den
er ausdrücken will. Deshalb glaube ich nicht, daß er ein gutes Vorbild für
den Stil ist. Ich will zugestehen, daß er verführerisch ist. Seine Sätze klingen
so großartig, daß der Leser immer wieder auf die Vermutung kommt, sie hätten
einen Inhalt; er kann sich nach längerer Übung erst klar machen, daß so viele
schöne ausländische und neugebildete Wörter dastehen können, ohne notwendig
zu sein. Aber ich glaube trotzdem und trotz des großen Beifalls, den Herr,
Scherr gefunden hat, nicht, daß es zur Veredlung der deutschen Schreibweise
dienen würde, wenn er Schule machte, und ich denke, Herr Norden hätte besser
gethan, derartigen Kraftaufwand zu vermeiden. Ich will einige Stellen aus
seinem Buche anführen, um Proben seines Stils zu geben, bemerke aber aus¬
drücklich, daß ich dabei nicht nach Stellen suche, welche mir weniger, sondern
gerade nach solchen, welche mir besser gefallen haben, Weil sich hier Inhalt und
Form decken.

S. 113. Für den Verächter der konventionellen Lügen giebt es kein ergötz¬
licheres Schauspiel als das Dilemma, in welches jeuer unerbittliche Logiker, der
Fürst Bismarck, die sogenannten Liberalen des deutschen Reichstags einklemmt, in¬
dem er ihnen durch seine bevollmächtigten Parlamentsredner und auf Vorstehen
und Apportiren dressirten Journalisten immer wieder sagen läßt: entweder sie
seien Republikaner und heucheln, wenn sie einander in Loyalitäts-Versicherungen
überbieten, oder ihre Königstreue sei ehrlich, und dann haben sie sie durch Gehorsam
vor dem Köuigswillcn zu beweisen. Dieses „entweder — oder" ist ein Hammer
und Ambos, zwischen welchen der monarchische Liberalismus zu einem Brei zer¬
hauen wird, von dem kein Hund fressen möchte. Es ist unsagbar lustig anzusehen,
wie sich die schwachmütigen Oppositionsparteien unter dem eisernen Griff jener
schonungsloser Logik winden! Wie sie sich losmachen, wie sie ausweisen möchten!
Sie seien der Dynastie bis in den Tod ergeben, der König habe keine zuver¬
lässigeren Diener als sie, die Republik sei für sie der Greuel der Verwüstung, aber
die Verfassung bestehe doch sozusagen auch, der König selbst habe ja die Gnade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/398>, abgerufen am 28.07.2024.