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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Frankreichs Kriegsbereitschaft,

heutzutage sehr viel, und mehr oder minder rasche Mobilmachung, größere oder
geringere Schnelligkeit beim strategischen Ausmarsche sind daher Faktoren, die
außerordentlich viel wert sind. In dieser Beziehung sind wir aber unstreitig
im Vorteile: bei uns arbeitet ein bewährter Mechanismus, während der des
französischen Heeres erst die Probe zu bestehen hat; bei uns giebt es feste
Kadres und feste Normen, welche bei der Verstärkung um den Kern ausgebil¬
deter Leute, die mit den Verhältnissen der betreffenden Gruppe vertrauten
Reservemannschaften gruppiren, Ju Frankreich wird der Unterschied zwischen
Aushebung und Kriegsergänzung starke Störungen zur Folge haben; die Ar¬
tillerie leidet, wie gezeigt, in einem Achtel ihrer Batterien an Mannschaften,
die dem Train entnommen werden, und bei einem Neuntel an Trainkapitäns;
statt fester Normen sehen wir unaufhörlichen Wechsel, soviel Kriegsminister, soviel
neue Systeme, soviel verschiedene Auffassungen der oft unklaren Gesetze; das
Ergebnis ist Uneingelebtheit und Unsicherheit. Das französische Eisenbahnnetz
ist in den letzten Jahren sowohl hinsichtlich der Leistungsfähigkeit für die Kon¬
zentration an der Ostgrenze als in Betreff der Versorgung der dortigen Ver¬
teidigungsanlagen ganz bedeutend, aber immer noch nicht genügend vervollständigt
worden. Die größte Zahl an durchgehenden Linien ist noch auf unsrer Seite,
und wie die Mobilmachung wird sich auch unser strategischer Aufmarsch schneller
vollziehen. Bei der heutigen Beschaffenheit des französischen Eisenbahnnetzes ist
es, wie neulich ein französischer Geniekapitän im ^cmrng.1 ass Loisnoss nachwies,
unmöglich, den Deutschen an der Grenze zuvorzukommen, und zweitens würden
die Franzosen angesichts des sehr frühzeitig vollzogenen Aufmarschcs und der
Grenzüberschreitung von deutscher Seite genötigt sein, nicht mir den östlich von der
Mosel gelegenen Landstrich, sondern auch einen Terrainstreifen von sechzig Kilo¬
metern Breite im Westen dieses Flusses ohne Kampf dem Gegner zu überlassen,
der damit von vornherein das moralische Übergewicht erlangte, da die Kavalleric-
töten seiner Korps schon am achten Tage die Beschießung von Toul beginnen,
am neunten die Infanterie der Avantgarde ihnen gefolgt sein, und nun eine
deutsche Streitmacht von 26 Bataillone", 40 Schwadronen und 16 Batterien
in die breite Bresche zwischen Pont Se. Vincent und Epinal einrücken und die
Kavallerie des fünfzehnten Armeekorps den ganzen Strich zwischen Mosel und
Maas im Süden von Toul durchstreifen könnte. Die Möglichkeit des Erscheinens
deutscher Kavalleriespitzen vor den Festungen und Forts schon am achten Tage
zwänge, wie der betreffende Aufsatz meint, dazu, dieselben schon am siebenten
mit der nötigen Besatzung zu versehen. Bei Epinal und den Sperrsorts der
obern Mosel sei dies nicht schwer, wohl aber bei den wichtigen Plätzen Toul
und Verdun sowie bei den Maassorts. Um deren Besatzungen auf die erfor¬
derliche Stärke zu bringen, bedürfte man 50 000 Mann, und diese müßte man
den Seincdistriktcn entnehme". Da nun die Mobilmachung vor dem sechsten
Tage nicht vollendet sein konnte, so wäre man gezwungen, zur Besatzung der


Frankreichs Kriegsbereitschaft,

heutzutage sehr viel, und mehr oder minder rasche Mobilmachung, größere oder
geringere Schnelligkeit beim strategischen Ausmarsche sind daher Faktoren, die
außerordentlich viel wert sind. In dieser Beziehung sind wir aber unstreitig
im Vorteile: bei uns arbeitet ein bewährter Mechanismus, während der des
französischen Heeres erst die Probe zu bestehen hat; bei uns giebt es feste
Kadres und feste Normen, welche bei der Verstärkung um den Kern ausgebil¬
deter Leute, die mit den Verhältnissen der betreffenden Gruppe vertrauten
Reservemannschaften gruppiren, Ju Frankreich wird der Unterschied zwischen
Aushebung und Kriegsergänzung starke Störungen zur Folge haben; die Ar¬
tillerie leidet, wie gezeigt, in einem Achtel ihrer Batterien an Mannschaften,
die dem Train entnommen werden, und bei einem Neuntel an Trainkapitäns;
statt fester Normen sehen wir unaufhörlichen Wechsel, soviel Kriegsminister, soviel
neue Systeme, soviel verschiedene Auffassungen der oft unklaren Gesetze; das
Ergebnis ist Uneingelebtheit und Unsicherheit. Das französische Eisenbahnnetz
ist in den letzten Jahren sowohl hinsichtlich der Leistungsfähigkeit für die Kon¬
zentration an der Ostgrenze als in Betreff der Versorgung der dortigen Ver¬
teidigungsanlagen ganz bedeutend, aber immer noch nicht genügend vervollständigt
worden. Die größte Zahl an durchgehenden Linien ist noch auf unsrer Seite,
und wie die Mobilmachung wird sich auch unser strategischer Aufmarsch schneller
vollziehen. Bei der heutigen Beschaffenheit des französischen Eisenbahnnetzes ist
es, wie neulich ein französischer Geniekapitän im ^cmrng.1 ass Loisnoss nachwies,
unmöglich, den Deutschen an der Grenze zuvorzukommen, und zweitens würden
die Franzosen angesichts des sehr frühzeitig vollzogenen Aufmarschcs und der
Grenzüberschreitung von deutscher Seite genötigt sein, nicht mir den östlich von der
Mosel gelegenen Landstrich, sondern auch einen Terrainstreifen von sechzig Kilo¬
metern Breite im Westen dieses Flusses ohne Kampf dem Gegner zu überlassen,
der damit von vornherein das moralische Übergewicht erlangte, da die Kavalleric-
töten seiner Korps schon am achten Tage die Beschießung von Toul beginnen,
am neunten die Infanterie der Avantgarde ihnen gefolgt sein, und nun eine
deutsche Streitmacht von 26 Bataillone», 40 Schwadronen und 16 Batterien
in die breite Bresche zwischen Pont Se. Vincent und Epinal einrücken und die
Kavallerie des fünfzehnten Armeekorps den ganzen Strich zwischen Mosel und
Maas im Süden von Toul durchstreifen könnte. Die Möglichkeit des Erscheinens
deutscher Kavalleriespitzen vor den Festungen und Forts schon am achten Tage
zwänge, wie der betreffende Aufsatz meint, dazu, dieselben schon am siebenten
mit der nötigen Besatzung zu versehen. Bei Epinal und den Sperrsorts der
obern Mosel sei dies nicht schwer, wohl aber bei den wichtigen Plätzen Toul
und Verdun sowie bei den Maassorts. Um deren Besatzungen auf die erfor¬
derliche Stärke zu bringen, bedürfte man 50 000 Mann, und diese müßte man
den Seincdistriktcn entnehme». Da nun die Mobilmachung vor dem sechsten
Tage nicht vollendet sein konnte, so wäre man gezwungen, zur Besatzung der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/390>, abgerufen am 28.07.2024.