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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

aus Rom nicht unthätig gewesen sei, um ein solches aus der Welt zu schaffen.
Francesca kehrte nunmehr zu ihrem Vater auf das Pachtgut zurück -- seht,
jetzt liegt es gerade vor Euch, und es verdient wohl, daß es ein andrer besäße
als so ein Getreidesack aus Bologna --, also, sie kehrte zurück und lebte in
großer Zurückgezogenheit und in der Erwartung, Baldassare jeden Tag zu der
Einlösung seines Versprechens zurückkehren zu sehen. Denn inzwischen war die
Schlacht bei Novara gewesen, und Ihr wißt, wie es uns Armen damals er¬
gangen ist und was darauf folgte.

Statt des Bruders kam Don Riario aus seinem Seminar nach Hause,
wie es hieß, um den elterlichen Nachlaß zu regeln. Aber weder diese Thätig¬
keit noch sein Gelübde hinderten ihn, sich in sträflicher Liebe zu Francesca zu
entflammen. Seht, das kam daher, daß noch nie ein Sermdisetti Priester ge¬
worden war, und da hatte eben die Verkehrtheit von Donna Anna Schuld.
Aber Ihr werdet ungeduldig, und so will ich Euch jetzt ohne Unterbrechung
das Ende dieser traurigen Geschichte erzählen.

Dem Hinterlistigen konnte es nicht einfallen, bei Francesca die Treue
seines Bruders zu der Geliebten zu verdächtigen, und so mußte er denn zu den
krummen Wegen seine Zuflucht nehmen, wie er sie in dem Priesterseminar bei
den Jesuiten gelernt hatte. Baldassare konnte an Francesca nicht schreiben,
denn das hätte bei der Euch geschilderten Zuverlässigkeit der papalinischen Post¬
Verwaltung für deren Vater schlimme Folgen gehabt. Ich selbst, Herr, war in
österreichische Gefangenschaft geraten und saß in einem verfluchten Nest in kaltem
Lande -- doch das erzähle ich Euch ein andermal. Ich hatte Baldassare tot
geglaubt, denn er war in der Schlacht von Novara von einer Kugel getroffen
schwer in der Brust verwundet worden. Aber man hatte ihn doch noch auf
der Flucht aufgerafft und ihn nach Alessandria in ein Lazareth gebracht, wo
er mehrere Monate ohne Bewußtsein lag. Gerade als ich zerlumpt und er¬
froren in Turin aus meiner Gefangenschaft wieder anlangte -- o Herr, wie
ist es gut, daß Ihr kein Tedesco seid, denn einem solchen Kerl hätte ich kein
Wort erzählt, denn die Behandlung -- aber ich erzähle Euch das später, denn
Ihr seid Prussiano und Euer Principe ist ein Freund von uns --

Signor Rebecchiui, Ihr wolltet Euch nicht mehr unterbrechen --

Ja, das hört sich leichter an, als man es sagt und fühlt. Im Jahre
1850 war Don Baldassare soweit wiederhergestellt, um in Turin eine Stelle
in der souolg. militg,rs zu übernehmen, wo er, der Marchese, Unterricht gab.
Der Schuft Riario, welcher durch seine Verbindungen -- denn die Msuiti
untereinander haben die ganze Welt mit einem Netze überzogen -- ganz gute
Kenntnis von dem Schicksal seines Bruders hatte, wußte sich das Zeugnis eines
Regimentskameraden desselben zu verschaffen, worin dieser schrieb, daß er Don
Baldassare bei Novara von einer Kugel getroffen habe hinsinken sehen. Er über¬
brachte Francesca -- ich hätte den Heuchler wohl sehen mögen -- diese Nach-


Francesca von Rimini.

aus Rom nicht unthätig gewesen sei, um ein solches aus der Welt zu schaffen.
Francesca kehrte nunmehr zu ihrem Vater auf das Pachtgut zurück — seht,
jetzt liegt es gerade vor Euch, und es verdient wohl, daß es ein andrer besäße
als so ein Getreidesack aus Bologna —, also, sie kehrte zurück und lebte in
großer Zurückgezogenheit und in der Erwartung, Baldassare jeden Tag zu der
Einlösung seines Versprechens zurückkehren zu sehen. Denn inzwischen war die
Schlacht bei Novara gewesen, und Ihr wißt, wie es uns Armen damals er¬
gangen ist und was darauf folgte.

Statt des Bruders kam Don Riario aus seinem Seminar nach Hause,
wie es hieß, um den elterlichen Nachlaß zu regeln. Aber weder diese Thätig¬
keit noch sein Gelübde hinderten ihn, sich in sträflicher Liebe zu Francesca zu
entflammen. Seht, das kam daher, daß noch nie ein Sermdisetti Priester ge¬
worden war, und da hatte eben die Verkehrtheit von Donna Anna Schuld.
Aber Ihr werdet ungeduldig, und so will ich Euch jetzt ohne Unterbrechung
das Ende dieser traurigen Geschichte erzählen.

Dem Hinterlistigen konnte es nicht einfallen, bei Francesca die Treue
seines Bruders zu der Geliebten zu verdächtigen, und so mußte er denn zu den
krummen Wegen seine Zuflucht nehmen, wie er sie in dem Priesterseminar bei
den Jesuiten gelernt hatte. Baldassare konnte an Francesca nicht schreiben,
denn das hätte bei der Euch geschilderten Zuverlässigkeit der papalinischen Post¬
Verwaltung für deren Vater schlimme Folgen gehabt. Ich selbst, Herr, war in
österreichische Gefangenschaft geraten und saß in einem verfluchten Nest in kaltem
Lande — doch das erzähle ich Euch ein andermal. Ich hatte Baldassare tot
geglaubt, denn er war in der Schlacht von Novara von einer Kugel getroffen
schwer in der Brust verwundet worden. Aber man hatte ihn doch noch auf
der Flucht aufgerafft und ihn nach Alessandria in ein Lazareth gebracht, wo
er mehrere Monate ohne Bewußtsein lag. Gerade als ich zerlumpt und er¬
froren in Turin aus meiner Gefangenschaft wieder anlangte — o Herr, wie
ist es gut, daß Ihr kein Tedesco seid, denn einem solchen Kerl hätte ich kein
Wort erzählt, denn die Behandlung — aber ich erzähle Euch das später, denn
Ihr seid Prussiano und Euer Principe ist ein Freund von uns —

Signor Rebecchiui, Ihr wolltet Euch nicht mehr unterbrechen —

Ja, das hört sich leichter an, als man es sagt und fühlt. Im Jahre
1850 war Don Baldassare soweit wiederhergestellt, um in Turin eine Stelle
in der souolg. militg,rs zu übernehmen, wo er, der Marchese, Unterricht gab.
Der Schuft Riario, welcher durch seine Verbindungen — denn die Msuiti
untereinander haben die ganze Welt mit einem Netze überzogen — ganz gute
Kenntnis von dem Schicksal seines Bruders hatte, wußte sich das Zeugnis eines
Regimentskameraden desselben zu verschaffen, worin dieser schrieb, daß er Don
Baldassare bei Novara von einer Kugel getroffen habe hinsinken sehen. Er über¬
brachte Francesca — ich hätte den Heuchler wohl sehen mögen — diese Nach-


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[0384] Francesca von Rimini. aus Rom nicht unthätig gewesen sei, um ein solches aus der Welt zu schaffen. Francesca kehrte nunmehr zu ihrem Vater auf das Pachtgut zurück — seht, jetzt liegt es gerade vor Euch, und es verdient wohl, daß es ein andrer besäße als so ein Getreidesack aus Bologna —, also, sie kehrte zurück und lebte in großer Zurückgezogenheit und in der Erwartung, Baldassare jeden Tag zu der Einlösung seines Versprechens zurückkehren zu sehen. Denn inzwischen war die Schlacht bei Novara gewesen, und Ihr wißt, wie es uns Armen damals er¬ gangen ist und was darauf folgte. Statt des Bruders kam Don Riario aus seinem Seminar nach Hause, wie es hieß, um den elterlichen Nachlaß zu regeln. Aber weder diese Thätig¬ keit noch sein Gelübde hinderten ihn, sich in sträflicher Liebe zu Francesca zu entflammen. Seht, das kam daher, daß noch nie ein Sermdisetti Priester ge¬ worden war, und da hatte eben die Verkehrtheit von Donna Anna Schuld. Aber Ihr werdet ungeduldig, und so will ich Euch jetzt ohne Unterbrechung das Ende dieser traurigen Geschichte erzählen. Dem Hinterlistigen konnte es nicht einfallen, bei Francesca die Treue seines Bruders zu der Geliebten zu verdächtigen, und so mußte er denn zu den krummen Wegen seine Zuflucht nehmen, wie er sie in dem Priesterseminar bei den Jesuiten gelernt hatte. Baldassare konnte an Francesca nicht schreiben, denn das hätte bei der Euch geschilderten Zuverlässigkeit der papalinischen Post¬ Verwaltung für deren Vater schlimme Folgen gehabt. Ich selbst, Herr, war in österreichische Gefangenschaft geraten und saß in einem verfluchten Nest in kaltem Lande — doch das erzähle ich Euch ein andermal. Ich hatte Baldassare tot geglaubt, denn er war in der Schlacht von Novara von einer Kugel getroffen schwer in der Brust verwundet worden. Aber man hatte ihn doch noch auf der Flucht aufgerafft und ihn nach Alessandria in ein Lazareth gebracht, wo er mehrere Monate ohne Bewußtsein lag. Gerade als ich zerlumpt und er¬ froren in Turin aus meiner Gefangenschaft wieder anlangte — o Herr, wie ist es gut, daß Ihr kein Tedesco seid, denn einem solchen Kerl hätte ich kein Wort erzählt, denn die Behandlung — aber ich erzähle Euch das später, denn Ihr seid Prussiano und Euer Principe ist ein Freund von uns — Signor Rebecchiui, Ihr wolltet Euch nicht mehr unterbrechen — Ja, das hört sich leichter an, als man es sagt und fühlt. Im Jahre 1850 war Don Baldassare soweit wiederhergestellt, um in Turin eine Stelle in der souolg. militg,rs zu übernehmen, wo er, der Marchese, Unterricht gab. Der Schuft Riario, welcher durch seine Verbindungen — denn die Msuiti untereinander haben die ganze Welt mit einem Netze überzogen — ganz gute Kenntnis von dem Schicksal seines Bruders hatte, wußte sich das Zeugnis eines Regimentskameraden desselben zu verschaffen, worin dieser schrieb, daß er Don Baldassare bei Novara von einer Kugel getroffen habe hinsinken sehen. Er über¬ brachte Francesca — ich hätte den Heuchler wohl sehen mögen — diese Nach-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/384>, abgerufen am 28.07.2024.