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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Botho von Hülsen und seine Leute,

als ihn der Tod abrief. Und das konnte garnicht anders sein. Er machte
das Repertoire auf die Reklame nach außen hin, unbekümmert ob dadurch der
innere Organismus des Theaters zerstört wurde. Er setzte in Szene auf den
äußern Schein hin, unbekümmert um den richtigen Ausdruck 'der Muskeln,
Nerve" und Seelenzustände des Stückes. Er vernachlässigte total die Schau¬
spieler und deren eigentliche Kunst. Er ergänzte das Personal nicht und war
unbekümmert um die Lücken desselben." Wer die stachlichte, aber grundehrliche
Natur Laubes kennt, wird an der Lauterkeit dieses seines Urteils nicht zweifeln. Er
hat die Berechtigung desselben übrigens hinterher auch sachlich begründet und
Kenner" der Verhältnisse dabei nichts neues gesagt. Aber das hindert die in
ihrem Selbstbewußtsein und dem Gefühle ihrer unfehlbaren Kennerschaft schwel¬
genden Enthusiasten nicht, immer wieder auf dieses Ideal aller Pflegestättcu
der Kunst zu verweisen und es auf Kosten aller andern ähnlichen Institute
überschwänglich zu preisen, ein Verstoß, der auch Herrn Schlenther zum Vor¬
wurf gemacht werden muß und der beweist, wie es um die Zuverlässigkeit
seines Urteils bestellt ist.

So radikal und rücksichtslos verwerfend, wie das oben angeführte Zitat
über das Berliner Hoftheater als Kunstinstitut, lauten auch die meisten seiner
Bemerkungen über die künstlerischen Eigentümlichkeiten der Mitglieder des könig¬
lichen Schauspielhauses im einzelnen, die er bis auf wenige Ausnahmen erbarmungs-
los mit der Sense niedermäht. Nicht Weisheit und strenge Unbefangenheit, sondern
erbitterte Laune und grollender Eifer haben seine Feder dabei geführt. Richtiges
und Falsches, Wahrheit und einseitige Übertreibung findet sich darin in buntem
Gemisch. Wer von Frau Fried-Blumauer zu behaupten vermag, sie bringe ihre Ge¬
staltungen auf Kosten der andern zur Geltung und füge sich nicht in den Rahmen
des Ganzen, mag sich vielleicht tiefer dramaturgischer Weisheit voll dünken;
denn nicht jeder besitzt die Kühnheit, an dem unvergänglichen Kranze einer einzig
dastehenden Künstlerin zu zerren. Aber alle, welche die verschönte Wahrheit, die
veredelte Natur als das höchste Gesetz der Kunst anerkennen, werden eine
solche rein willkürliche These belächeln. Oder sollte Herr Schlenther von
einem Genie verlangen, daß es seines Geistes Leuchte verdunkle, um die kleineren
Lichter ringsumher nicht zu beeinträchtigen? Was er Unter dem Postulat
"stilvoller Herausbildung eines Zusammenspiels der Gesamtheit" mit Rücksicht
auf das angebliche Heraustreten der Frau Fried aus dem Rahmen des Ganzen
sich vorstellt, wenn er die Künstlerin als eine echte Humoristin gelten läßt, ist
unverständlich. Denn entweder opfert sie die verschönte Wahrheit ihrem Drange
nach persönlichem Effekt, wie es das Merkmal des VirtuvsentumS ist: dann
verdiente sie nicht das Lob, das ihr auch Schlenther zuteil werden läßt, eine
wirkliche Künstlerin zu sein. Oder sie weiß die Natur nur reicher und reiz¬
voller mit eigenartigen Charatterzügeu auszustatten als die andern: dann ist
es eine Absurdität, ihr diese künstlerische Übelcgenheit zum Vorwurf zu machen.


Botho von Hülsen und seine Leute,

als ihn der Tod abrief. Und das konnte garnicht anders sein. Er machte
das Repertoire auf die Reklame nach außen hin, unbekümmert ob dadurch der
innere Organismus des Theaters zerstört wurde. Er setzte in Szene auf den
äußern Schein hin, unbekümmert um den richtigen Ausdruck 'der Muskeln,
Nerve» und Seelenzustände des Stückes. Er vernachlässigte total die Schau¬
spieler und deren eigentliche Kunst. Er ergänzte das Personal nicht und war
unbekümmert um die Lücken desselben." Wer die stachlichte, aber grundehrliche
Natur Laubes kennt, wird an der Lauterkeit dieses seines Urteils nicht zweifeln. Er
hat die Berechtigung desselben übrigens hinterher auch sachlich begründet und
Kenner» der Verhältnisse dabei nichts neues gesagt. Aber das hindert die in
ihrem Selbstbewußtsein und dem Gefühle ihrer unfehlbaren Kennerschaft schwel¬
genden Enthusiasten nicht, immer wieder auf dieses Ideal aller Pflegestättcu
der Kunst zu verweisen und es auf Kosten aller andern ähnlichen Institute
überschwänglich zu preisen, ein Verstoß, der auch Herrn Schlenther zum Vor¬
wurf gemacht werden muß und der beweist, wie es um die Zuverlässigkeit
seines Urteils bestellt ist.

So radikal und rücksichtslos verwerfend, wie das oben angeführte Zitat
über das Berliner Hoftheater als Kunstinstitut, lauten auch die meisten seiner
Bemerkungen über die künstlerischen Eigentümlichkeiten der Mitglieder des könig¬
lichen Schauspielhauses im einzelnen, die er bis auf wenige Ausnahmen erbarmungs-
los mit der Sense niedermäht. Nicht Weisheit und strenge Unbefangenheit, sondern
erbitterte Laune und grollender Eifer haben seine Feder dabei geführt. Richtiges
und Falsches, Wahrheit und einseitige Übertreibung findet sich darin in buntem
Gemisch. Wer von Frau Fried-Blumauer zu behaupten vermag, sie bringe ihre Ge¬
staltungen auf Kosten der andern zur Geltung und füge sich nicht in den Rahmen
des Ganzen, mag sich vielleicht tiefer dramaturgischer Weisheit voll dünken;
denn nicht jeder besitzt die Kühnheit, an dem unvergänglichen Kranze einer einzig
dastehenden Künstlerin zu zerren. Aber alle, welche die verschönte Wahrheit, die
veredelte Natur als das höchste Gesetz der Kunst anerkennen, werden eine
solche rein willkürliche These belächeln. Oder sollte Herr Schlenther von
einem Genie verlangen, daß es seines Geistes Leuchte verdunkle, um die kleineren
Lichter ringsumher nicht zu beeinträchtigen? Was er Unter dem Postulat
„stilvoller Herausbildung eines Zusammenspiels der Gesamtheit" mit Rücksicht
auf das angebliche Heraustreten der Frau Fried aus dem Rahmen des Ganzen
sich vorstellt, wenn er die Künstlerin als eine echte Humoristin gelten läßt, ist
unverständlich. Denn entweder opfert sie die verschönte Wahrheit ihrem Drange
nach persönlichem Effekt, wie es das Merkmal des VirtuvsentumS ist: dann
verdiente sie nicht das Lob, das ihr auch Schlenther zuteil werden läßt, eine
wirkliche Künstlerin zu sein. Oder sie weiß die Natur nur reicher und reiz¬
voller mit eigenartigen Charatterzügeu auszustatten als die andern: dann ist
es eine Absurdität, ihr diese künstlerische Übelcgenheit zum Vorwurf zu machen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/38>, abgerufen am 27.07.2024.