Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Botho von Hülsen und seine Leute.

daß man in der Gegenwart nicht nur ebensogut, sondern sogar weit besser Komödie
zu spielen verstehe. Es liegt in der eigenartigen Thätigkeit der menschlichen
Phantasie, daß sie das in der Vergangenheit Liegende mit einem poetischen Zauber
umgiebt, es in verklärenden Nimbus betrachtet und, da es ihr an einer exakten
Vergleichung mangelt, das unwiederbringlich Verlorene für wertvoller erachtet
als das vorhandene, tagtäglich mit leichter Mühe Erreichbare. Zugegeben selbst,
daß die Romantik der Zeit, die der Poesie mehr zugewandt war als die Gegen¬
wart, früher die Talente stärker lockte und der Bühne eine intensivere Anziehungs¬
kraft verlieh, so ist es doch ebenso unbestreitbar, weil durch die Geschichte der
Schauspielkunst dargethan, daß die Ansprüche und das Kunsturteil des Publikums
weit bescheidener waren und daß man sich in der Freude an einzelnen großen
Kunstleistungen mit der Mittelmäßigkeit der übrigen ohne Murren zufrieden
gab. Mochte die Zeit auch eine verhältnismäßig größere Zahl an ursprüng¬
lichen und bedeutenden Talenten erstehen lassen, so war sicherlich das Gros der
Durchschnittsschauspielcr weit weniger geschult und weit weniger technisch durch¬
gebildet als heutzutage, wo das Deklamiren und Dilettiren beinahe zu einer
Modekrankheit geworden ist, die Anforderungen an die Gebilde der Schauspiel¬
kunst durch die Steigerung der allgemeinen Bildung und die zahllosen mit¬
einander um die Existenz ringenden Bühnen bedeutend verschärft sind und die un¬
aufhörlichen Gastspiele reisender Größen das Kunstempfiuden weiter Kreise so ver¬
wöhnt haben, daß man sich nur uoch durch fettgedruckte Namen ins Theater
locken lassen will. Es wäre eine interessante Aufgabe, dem soweit verbreiteten
Wahne, daß das Durchschnittsmaß der schauspielerischen Leistungen im Vergleiche
zu der Vergangenheit sich wesentlich vermindert habe, entgegenzutreten und mit
einer aus der Vergleichung unsrer damaligen und heutigen Kulturlage herge¬
leiteten Widerlegung den Staar zu stechen. Allein so verführerisch diese Arbeit
auch sein mag, erfordert sie doch einen größern Apparat, als er für den Zweck
der vorliegenden Betrachtung zulässig erscheint. Und so sei nur noch auf die
interessante Thatsache hingewiesen, daß den Lobrednern der vergangenen Zeit,
welche, wie es Schlenther thut, zum Beweise, daß es früher besser gewesen
sei, auf die einzige, noch als Überbleibsel jenes "goldnen Zeitalters" geltende
Musterstätte der Bühnenkunst, die Wiener Hofburg, verweisen, der Nestor der
deutschen Bühnenkenner, der alte Laube, neulich in einer seiner "Erinnerungen"
damit gänzlich das Fundament entzogen hat, daß er das Burgtheater
unter Dingelstedt für vollständig desorgcmisirt und künstlerisch zu Grunde ge¬
richtet erklärte! "Ich bin der Überzeugung, daß er dem Burgtheater tief ge¬
schadet hat" -- so lautet die betreffende Stelle eines von ihm in der "Neuen
Freien Presse" veröffentlichten Feuilletonartikels, in welchem er dann weiter sagt:
"In München wie in Weimar haben mir die unbefangenen Sachkenner ver¬
sichert, daß bei seinem Austritte das Theater zerrüttet, im Repertoire und
Personale gelichtet und unzureichend gewesen sei. Genau so war es in Wien.


Botho von Hülsen und seine Leute.

daß man in der Gegenwart nicht nur ebensogut, sondern sogar weit besser Komödie
zu spielen verstehe. Es liegt in der eigenartigen Thätigkeit der menschlichen
Phantasie, daß sie das in der Vergangenheit Liegende mit einem poetischen Zauber
umgiebt, es in verklärenden Nimbus betrachtet und, da es ihr an einer exakten
Vergleichung mangelt, das unwiederbringlich Verlorene für wertvoller erachtet
als das vorhandene, tagtäglich mit leichter Mühe Erreichbare. Zugegeben selbst,
daß die Romantik der Zeit, die der Poesie mehr zugewandt war als die Gegen¬
wart, früher die Talente stärker lockte und der Bühne eine intensivere Anziehungs¬
kraft verlieh, so ist es doch ebenso unbestreitbar, weil durch die Geschichte der
Schauspielkunst dargethan, daß die Ansprüche und das Kunsturteil des Publikums
weit bescheidener waren und daß man sich in der Freude an einzelnen großen
Kunstleistungen mit der Mittelmäßigkeit der übrigen ohne Murren zufrieden
gab. Mochte die Zeit auch eine verhältnismäßig größere Zahl an ursprüng¬
lichen und bedeutenden Talenten erstehen lassen, so war sicherlich das Gros der
Durchschnittsschauspielcr weit weniger geschult und weit weniger technisch durch¬
gebildet als heutzutage, wo das Deklamiren und Dilettiren beinahe zu einer
Modekrankheit geworden ist, die Anforderungen an die Gebilde der Schauspiel¬
kunst durch die Steigerung der allgemeinen Bildung und die zahllosen mit¬
einander um die Existenz ringenden Bühnen bedeutend verschärft sind und die un¬
aufhörlichen Gastspiele reisender Größen das Kunstempfiuden weiter Kreise so ver¬
wöhnt haben, daß man sich nur uoch durch fettgedruckte Namen ins Theater
locken lassen will. Es wäre eine interessante Aufgabe, dem soweit verbreiteten
Wahne, daß das Durchschnittsmaß der schauspielerischen Leistungen im Vergleiche
zu der Vergangenheit sich wesentlich vermindert habe, entgegenzutreten und mit
einer aus der Vergleichung unsrer damaligen und heutigen Kulturlage herge¬
leiteten Widerlegung den Staar zu stechen. Allein so verführerisch diese Arbeit
auch sein mag, erfordert sie doch einen größern Apparat, als er für den Zweck
der vorliegenden Betrachtung zulässig erscheint. Und so sei nur noch auf die
interessante Thatsache hingewiesen, daß den Lobrednern der vergangenen Zeit,
welche, wie es Schlenther thut, zum Beweise, daß es früher besser gewesen
sei, auf die einzige, noch als Überbleibsel jenes „goldnen Zeitalters" geltende
Musterstätte der Bühnenkunst, die Wiener Hofburg, verweisen, der Nestor der
deutschen Bühnenkenner, der alte Laube, neulich in einer seiner „Erinnerungen"
damit gänzlich das Fundament entzogen hat, daß er das Burgtheater
unter Dingelstedt für vollständig desorgcmisirt und künstlerisch zu Grunde ge¬
richtet erklärte! „Ich bin der Überzeugung, daß er dem Burgtheater tief ge¬
schadet hat" — so lautet die betreffende Stelle eines von ihm in der „Neuen
Freien Presse" veröffentlichten Feuilletonartikels, in welchem er dann weiter sagt:
„In München wie in Weimar haben mir die unbefangenen Sachkenner ver¬
sichert, daß bei seinem Austritte das Theater zerrüttet, im Repertoire und
Personale gelichtet und unzureichend gewesen sei. Genau so war es in Wien.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0037" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154202"/>
          <fw type="header" place="top"> Botho von Hülsen und seine Leute.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_104" prev="#ID_103" next="#ID_105"> daß man in der Gegenwart nicht nur ebensogut, sondern sogar weit besser Komödie<lb/>
zu spielen verstehe. Es liegt in der eigenartigen Thätigkeit der menschlichen<lb/>
Phantasie, daß sie das in der Vergangenheit Liegende mit einem poetischen Zauber<lb/>
umgiebt, es in verklärenden Nimbus betrachtet und, da es ihr an einer exakten<lb/>
Vergleichung mangelt, das unwiederbringlich Verlorene für wertvoller erachtet<lb/>
als das vorhandene, tagtäglich mit leichter Mühe Erreichbare. Zugegeben selbst,<lb/>
daß die Romantik der Zeit, die der Poesie mehr zugewandt war als die Gegen¬<lb/>
wart, früher die Talente stärker lockte und der Bühne eine intensivere Anziehungs¬<lb/>
kraft verlieh, so ist es doch ebenso unbestreitbar, weil durch die Geschichte der<lb/>
Schauspielkunst dargethan, daß die Ansprüche und das Kunsturteil des Publikums<lb/>
weit bescheidener waren und daß man sich in der Freude an einzelnen großen<lb/>
Kunstleistungen mit der Mittelmäßigkeit der übrigen ohne Murren zufrieden<lb/>
gab. Mochte die Zeit auch eine verhältnismäßig größere Zahl an ursprüng¬<lb/>
lichen und bedeutenden Talenten erstehen lassen, so war sicherlich das Gros der<lb/>
Durchschnittsschauspielcr weit weniger geschult und weit weniger technisch durch¬<lb/>
gebildet als heutzutage, wo das Deklamiren und Dilettiren beinahe zu einer<lb/>
Modekrankheit geworden ist, die Anforderungen an die Gebilde der Schauspiel¬<lb/>
kunst durch die Steigerung der allgemeinen Bildung und die zahllosen mit¬<lb/>
einander um die Existenz ringenden Bühnen bedeutend verschärft sind und die un¬<lb/>
aufhörlichen Gastspiele reisender Größen das Kunstempfiuden weiter Kreise so ver¬<lb/>
wöhnt haben, daß man sich nur uoch durch fettgedruckte Namen ins Theater<lb/>
locken lassen will. Es wäre eine interessante Aufgabe, dem soweit verbreiteten<lb/>
Wahne, daß das Durchschnittsmaß der schauspielerischen Leistungen im Vergleiche<lb/>
zu der Vergangenheit sich wesentlich vermindert habe, entgegenzutreten und mit<lb/>
einer aus der Vergleichung unsrer damaligen und heutigen Kulturlage herge¬<lb/>
leiteten Widerlegung den Staar zu stechen. Allein so verführerisch diese Arbeit<lb/>
auch sein mag, erfordert sie doch einen größern Apparat, als er für den Zweck<lb/>
der vorliegenden Betrachtung zulässig erscheint. Und so sei nur noch auf die<lb/>
interessante Thatsache hingewiesen, daß den Lobrednern der vergangenen Zeit,<lb/>
welche, wie es Schlenther thut, zum Beweise, daß es früher besser gewesen<lb/>
sei, auf die einzige, noch als Überbleibsel jenes &#x201E;goldnen Zeitalters" geltende<lb/>
Musterstätte der Bühnenkunst, die Wiener Hofburg, verweisen, der Nestor der<lb/>
deutschen Bühnenkenner, der alte Laube, neulich in einer seiner &#x201E;Erinnerungen"<lb/>
damit gänzlich das Fundament entzogen hat, daß er das Burgtheater<lb/>
unter Dingelstedt für vollständig desorgcmisirt und künstlerisch zu Grunde ge¬<lb/>
richtet erklärte! &#x201E;Ich bin der Überzeugung, daß er dem Burgtheater tief ge¬<lb/>
schadet hat" &#x2014; so lautet die betreffende Stelle eines von ihm in der &#x201E;Neuen<lb/>
Freien Presse" veröffentlichten Feuilletonartikels, in welchem er dann weiter sagt:<lb/>
&#x201E;In München wie in Weimar haben mir die unbefangenen Sachkenner ver¬<lb/>
sichert, daß bei seinem Austritte das Theater zerrüttet, im Repertoire und<lb/>
Personale gelichtet und unzureichend gewesen sei.  Genau so war es in Wien.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0037] Botho von Hülsen und seine Leute. daß man in der Gegenwart nicht nur ebensogut, sondern sogar weit besser Komödie zu spielen verstehe. Es liegt in der eigenartigen Thätigkeit der menschlichen Phantasie, daß sie das in der Vergangenheit Liegende mit einem poetischen Zauber umgiebt, es in verklärenden Nimbus betrachtet und, da es ihr an einer exakten Vergleichung mangelt, das unwiederbringlich Verlorene für wertvoller erachtet als das vorhandene, tagtäglich mit leichter Mühe Erreichbare. Zugegeben selbst, daß die Romantik der Zeit, die der Poesie mehr zugewandt war als die Gegen¬ wart, früher die Talente stärker lockte und der Bühne eine intensivere Anziehungs¬ kraft verlieh, so ist es doch ebenso unbestreitbar, weil durch die Geschichte der Schauspielkunst dargethan, daß die Ansprüche und das Kunsturteil des Publikums weit bescheidener waren und daß man sich in der Freude an einzelnen großen Kunstleistungen mit der Mittelmäßigkeit der übrigen ohne Murren zufrieden gab. Mochte die Zeit auch eine verhältnismäßig größere Zahl an ursprüng¬ lichen und bedeutenden Talenten erstehen lassen, so war sicherlich das Gros der Durchschnittsschauspielcr weit weniger geschult und weit weniger technisch durch¬ gebildet als heutzutage, wo das Deklamiren und Dilettiren beinahe zu einer Modekrankheit geworden ist, die Anforderungen an die Gebilde der Schauspiel¬ kunst durch die Steigerung der allgemeinen Bildung und die zahllosen mit¬ einander um die Existenz ringenden Bühnen bedeutend verschärft sind und die un¬ aufhörlichen Gastspiele reisender Größen das Kunstempfiuden weiter Kreise so ver¬ wöhnt haben, daß man sich nur uoch durch fettgedruckte Namen ins Theater locken lassen will. Es wäre eine interessante Aufgabe, dem soweit verbreiteten Wahne, daß das Durchschnittsmaß der schauspielerischen Leistungen im Vergleiche zu der Vergangenheit sich wesentlich vermindert habe, entgegenzutreten und mit einer aus der Vergleichung unsrer damaligen und heutigen Kulturlage herge¬ leiteten Widerlegung den Staar zu stechen. Allein so verführerisch diese Arbeit auch sein mag, erfordert sie doch einen größern Apparat, als er für den Zweck der vorliegenden Betrachtung zulässig erscheint. Und so sei nur noch auf die interessante Thatsache hingewiesen, daß den Lobrednern der vergangenen Zeit, welche, wie es Schlenther thut, zum Beweise, daß es früher besser gewesen sei, auf die einzige, noch als Überbleibsel jenes „goldnen Zeitalters" geltende Musterstätte der Bühnenkunst, die Wiener Hofburg, verweisen, der Nestor der deutschen Bühnenkenner, der alte Laube, neulich in einer seiner „Erinnerungen" damit gänzlich das Fundament entzogen hat, daß er das Burgtheater unter Dingelstedt für vollständig desorgcmisirt und künstlerisch zu Grunde ge¬ richtet erklärte! „Ich bin der Überzeugung, daß er dem Burgtheater tief ge¬ schadet hat" — so lautet die betreffende Stelle eines von ihm in der „Neuen Freien Presse" veröffentlichten Feuilletonartikels, in welchem er dann weiter sagt: „In München wie in Weimar haben mir die unbefangenen Sachkenner ver¬ sichert, daß bei seinem Austritte das Theater zerrüttet, im Repertoire und Personale gelichtet und unzureichend gewesen sei. Genau so war es in Wien.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/37
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/37>, abgerufen am 27.07.2024.