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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Sieg Ferrys über die Radikalen.

richtig erweisen und ob aus der oder jener Ursache der Krieg zwischen Frankreich
und China unterbleiben wird. Die uneingeschränkte Billigung, welche das Vorgehen
Ferrys im französischen Unterhause erfahren hat, kommt einer Ratifikation der
Bedingungen gleich, die er vor kurzem der Pekinger Regierung vorlegen ließ,
und deren Annahme diese verweigerte. Es ist zu bezweifeln, daß sie nachgeben
wird, wenn ihr dieselben in Gestalt eines Ultimatums zugehen. Sollte sie bei
der Ablehnung verharren und einen Krieg nicht scheuen, so würde das fran¬
zösische Unternehmen in Tonkin ohne Zweifel unter allen Umständen und bei
jedem Ausgange mehr Nachteile als Vorteile für Frankreich haben. Der Kampf
würde die Gefahr bedenklicher Verwicklungen mit England, dessen Handel er
stören würde, heraufbeschwören, ein von Frankreich besiegtes China würde auf
Jahre hinaus gegen alle Europäer ohne Unterschied Groll und Erbitterung im
Herzen hegen, ein siegreiches, ja ein uur vorübergehend über seinen westlichen
Gegner siegreiches China würde zum erstenmale über seine militärische Kraft und
Bedeutung aufgeklärt sein, und der gesamte Westen würde in Zukunft von seiner
Anmaßung ebensoviel zu fürchten haben als im entgegengesetzten Falle von
seinem Übelwollen.

Mittlerweile hat die äußerste Linke der Deputirtenkammer einen zweiten
Angriff auf das Kabinet Ferry vorbereitet. Ein andres Mitglied dieser Gruppe
von Politikern, Herr Gatineau, hat seine Absicht angekündigt, dem Hause den
Vorschlag zur Ausweisung der Prinzen vom Hause Orleans zur Beschlußfassung
zu unterbreiten. Die Fassung dieses Antrages wird genau dieselbe sein wie die
Form des Gesetzes, das im Jahre 1832 auf Anregung der Regierung Ludwig
Philipps die Verbannung des älteren Zweiges der Bourbonen verfügte. Wenn
hier die Familie Orleans gewissermaßen mit einer Sprengbombe beseitigt werden
soll, die sie selber angefertigt hat, jo gilt das einigermaßen auch von dem ver¬
ehrlichen Herrn, der sie jetzt zu werfen beabsichtigt. Denn es trifft sich zufällig,
daß dieser selbe Monsieur Gatineau im vorigen Januar einer der eifrigsten
Vekämpfer der vom Deputirten Floquet vorgeschlagenen Austreibungsmaßregeln
war. In einem Briefe, welchen er an die Redaktion einer französischen Zeitung
richtete, erklärte er, "der entschiedenste Feind aller Proskriptionen" zu sein, und
klagte über "jene kurzsichtigen Republikaner, die unter den abgelegten Klei¬
dungsstücken der Vergangenheit nach Kleidern suchen, die für sie zu lang und
zu weit sind." Boshafte Kritiker haben demzufolge die Bemerkung gemacht,
der Herr Advokat Gatineau müsse seit Beginn dieses Jahres "gewachsen sein,"
und es liegt in der That so ziemlich auf der Hand, daß die Stellung, in die
er sich zu bringen vorhat, dazu dienen wird, den Grafen von Paris und seine
Verwandten, Oheime u. dergl. ihre Gemütsruhe bewahren zu lassen. Wenn es
verdrießlich sür jemand ist, mit einer Waffe angegriffen und geschlagen zu werden,
die er für andre Leute aus dem Walde geschnitten, gegossen oder geschmiedet
hat, so ist es geradezu schmachvoll, jedenfalls sehr dreist und unvorsichtig, eine


Der Sieg Ferrys über die Radikalen.

richtig erweisen und ob aus der oder jener Ursache der Krieg zwischen Frankreich
und China unterbleiben wird. Die uneingeschränkte Billigung, welche das Vorgehen
Ferrys im französischen Unterhause erfahren hat, kommt einer Ratifikation der
Bedingungen gleich, die er vor kurzem der Pekinger Regierung vorlegen ließ,
und deren Annahme diese verweigerte. Es ist zu bezweifeln, daß sie nachgeben
wird, wenn ihr dieselben in Gestalt eines Ultimatums zugehen. Sollte sie bei
der Ablehnung verharren und einen Krieg nicht scheuen, so würde das fran¬
zösische Unternehmen in Tonkin ohne Zweifel unter allen Umständen und bei
jedem Ausgange mehr Nachteile als Vorteile für Frankreich haben. Der Kampf
würde die Gefahr bedenklicher Verwicklungen mit England, dessen Handel er
stören würde, heraufbeschwören, ein von Frankreich besiegtes China würde auf
Jahre hinaus gegen alle Europäer ohne Unterschied Groll und Erbitterung im
Herzen hegen, ein siegreiches, ja ein uur vorübergehend über seinen westlichen
Gegner siegreiches China würde zum erstenmale über seine militärische Kraft und
Bedeutung aufgeklärt sein, und der gesamte Westen würde in Zukunft von seiner
Anmaßung ebensoviel zu fürchten haben als im entgegengesetzten Falle von
seinem Übelwollen.

Mittlerweile hat die äußerste Linke der Deputirtenkammer einen zweiten
Angriff auf das Kabinet Ferry vorbereitet. Ein andres Mitglied dieser Gruppe
von Politikern, Herr Gatineau, hat seine Absicht angekündigt, dem Hause den
Vorschlag zur Ausweisung der Prinzen vom Hause Orleans zur Beschlußfassung
zu unterbreiten. Die Fassung dieses Antrages wird genau dieselbe sein wie die
Form des Gesetzes, das im Jahre 1832 auf Anregung der Regierung Ludwig
Philipps die Verbannung des älteren Zweiges der Bourbonen verfügte. Wenn
hier die Familie Orleans gewissermaßen mit einer Sprengbombe beseitigt werden
soll, die sie selber angefertigt hat, jo gilt das einigermaßen auch von dem ver¬
ehrlichen Herrn, der sie jetzt zu werfen beabsichtigt. Denn es trifft sich zufällig,
daß dieser selbe Monsieur Gatineau im vorigen Januar einer der eifrigsten
Vekämpfer der vom Deputirten Floquet vorgeschlagenen Austreibungsmaßregeln
war. In einem Briefe, welchen er an die Redaktion einer französischen Zeitung
richtete, erklärte er, „der entschiedenste Feind aller Proskriptionen" zu sein, und
klagte über „jene kurzsichtigen Republikaner, die unter den abgelegten Klei¬
dungsstücken der Vergangenheit nach Kleidern suchen, die für sie zu lang und
zu weit sind." Boshafte Kritiker haben demzufolge die Bemerkung gemacht,
der Herr Advokat Gatineau müsse seit Beginn dieses Jahres „gewachsen sein,"
und es liegt in der That so ziemlich auf der Hand, daß die Stellung, in die
er sich zu bringen vorhat, dazu dienen wird, den Grafen von Paris und seine
Verwandten, Oheime u. dergl. ihre Gemütsruhe bewahren zu lassen. Wenn es
verdrießlich sür jemand ist, mit einer Waffe angegriffen und geschlagen zu werden,
die er für andre Leute aus dem Walde geschnitten, gegossen oder geschmiedet
hat, so ist es geradezu schmachvoll, jedenfalls sehr dreist und unvorsichtig, eine


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[0375] Der Sieg Ferrys über die Radikalen. richtig erweisen und ob aus der oder jener Ursache der Krieg zwischen Frankreich und China unterbleiben wird. Die uneingeschränkte Billigung, welche das Vorgehen Ferrys im französischen Unterhause erfahren hat, kommt einer Ratifikation der Bedingungen gleich, die er vor kurzem der Pekinger Regierung vorlegen ließ, und deren Annahme diese verweigerte. Es ist zu bezweifeln, daß sie nachgeben wird, wenn ihr dieselben in Gestalt eines Ultimatums zugehen. Sollte sie bei der Ablehnung verharren und einen Krieg nicht scheuen, so würde das fran¬ zösische Unternehmen in Tonkin ohne Zweifel unter allen Umständen und bei jedem Ausgange mehr Nachteile als Vorteile für Frankreich haben. Der Kampf würde die Gefahr bedenklicher Verwicklungen mit England, dessen Handel er stören würde, heraufbeschwören, ein von Frankreich besiegtes China würde auf Jahre hinaus gegen alle Europäer ohne Unterschied Groll und Erbitterung im Herzen hegen, ein siegreiches, ja ein uur vorübergehend über seinen westlichen Gegner siegreiches China würde zum erstenmale über seine militärische Kraft und Bedeutung aufgeklärt sein, und der gesamte Westen würde in Zukunft von seiner Anmaßung ebensoviel zu fürchten haben als im entgegengesetzten Falle von seinem Übelwollen. Mittlerweile hat die äußerste Linke der Deputirtenkammer einen zweiten Angriff auf das Kabinet Ferry vorbereitet. Ein andres Mitglied dieser Gruppe von Politikern, Herr Gatineau, hat seine Absicht angekündigt, dem Hause den Vorschlag zur Ausweisung der Prinzen vom Hause Orleans zur Beschlußfassung zu unterbreiten. Die Fassung dieses Antrages wird genau dieselbe sein wie die Form des Gesetzes, das im Jahre 1832 auf Anregung der Regierung Ludwig Philipps die Verbannung des älteren Zweiges der Bourbonen verfügte. Wenn hier die Familie Orleans gewissermaßen mit einer Sprengbombe beseitigt werden soll, die sie selber angefertigt hat, jo gilt das einigermaßen auch von dem ver¬ ehrlichen Herrn, der sie jetzt zu werfen beabsichtigt. Denn es trifft sich zufällig, daß dieser selbe Monsieur Gatineau im vorigen Januar einer der eifrigsten Vekämpfer der vom Deputirten Floquet vorgeschlagenen Austreibungsmaßregeln war. In einem Briefe, welchen er an die Redaktion einer französischen Zeitung richtete, erklärte er, „der entschiedenste Feind aller Proskriptionen" zu sein, und klagte über „jene kurzsichtigen Republikaner, die unter den abgelegten Klei¬ dungsstücken der Vergangenheit nach Kleidern suchen, die für sie zu lang und zu weit sind." Boshafte Kritiker haben demzufolge die Bemerkung gemacht, der Herr Advokat Gatineau müsse seit Beginn dieses Jahres „gewachsen sein," und es liegt in der That so ziemlich auf der Hand, daß die Stellung, in die er sich zu bringen vorhat, dazu dienen wird, den Grafen von Paris und seine Verwandten, Oheime u. dergl. ihre Gemütsruhe bewahren zu lassen. Wenn es verdrießlich sür jemand ist, mit einer Waffe angegriffen und geschlagen zu werden, die er für andre Leute aus dem Walde geschnitten, gegossen oder geschmiedet hat, so ist es geradezu schmachvoll, jedenfalls sehr dreist und unvorsichtig, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/375>, abgerufen am 01.09.2024.