Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Sieg Lerrys über die Radikalen.

Bourresche Vertragsentwurf paßte nicht zu der Idee einer Ausdehnung der
Eroberungen an der Mündung des Roten und des Hus-Flusses bis an die
chinesische Grenze, und so wanderte er in den Papierkorb. Die Verhandlungen
in Peking und Paris sind bis jetzt noch zu keinem Ergebnisse gediehen, aber
der französische Konseilsprüsident sagt uns, obwohl unterbrochen, seien sie noch
kein eigentlicher diplomatischer Bruch; denn Frankreich habe in China in der
Person des Herrn Tricon noch einen Unterhändler, und derselbe habe soeben
eine Depesche eingesandt, in welcher er die überraschende Mitteilung mache, der
einflußreiche Großmandarin Li Hang Tschcmg habe die Äußerungen des Marquis
Tseng in Betreff des Streites zwischen China und Frankreich mit Entschie¬
denheit als irrtümlich bezeichnet.

Verdickte sich das wirklich so -- woran zu zweifeln erlaubt ist, da Tseng
nach englischen Blättern, über die Sache befragt, erklärt hat, er "sei ganz einer
Meinung mit Li Hang Tschaug" --, so hätte die Angelegenheit wohl eine gün¬
stigere Wendung für Frankreich genommen. Das führt uns zu dem Stand¬
punkte, von dem aus Ferry China betrachtet, sowie zu dem Verfahren, welches
er zu beobachten gedenkt. Der Hof von Peking protestirt und wird vermutlich
weiter Protestiren, behauptet er, sich aber am Ende den vollendeten Thatsachen
fügen -- eine Ansicht, die Challemel-Lacour, ein offenkundiger Verächter der
Chinesen teilt. Ferry meint ferner, der Staatsrat in Peking werde sich ver¬
söhnlicher zeigen, wenn die Franzosen songeai und Baknin genommen haben
würde". Die Negierung glaubt, so setzte er hinzu, daß China uns nicht den
Krieg erklären wird, und auch wir beabsichtigen keinen Krieg mit China. Was
wird also geschehen? Die Armee wird sich in dem Delta festsetzen, sodaß niemand
imstande sein wird, sie von dort zu vertreiben, Geduld, Kraft und Ruhe werden
gegen alle Angriffe gefeit sein, und die kluge Politik, die sich auf vollendete
Thatsachen verläßt, wird zu einer Beilegung des Streites um Tonkin führen.
Frankreich wird sein Geld und Blut gut angelegt haben, und die Zukunft wird
sich glänzend und gedeihlich entwickeln.

Das etwa sind die Ziele und Hoffnungen der französischen Regierung.
Sie baut auf Erfolge und glaubt sich dieselbe" ohne Krieg mit den Chinesen
sichern zu können. Der ganze Plan ist uns jetzt enthüllt, niemand kann mehr
daran zweifeln, daß die Franzosen es im letzten Grunde auf die Unterwerfung
der ganzen hinterindischen Halbinsel bis an die Grenzen von Birma und China
abgesehen haben. Was die nächste Zukunft betrifft, so ist es wahrscheinlich, daß
das Pariser Kabinet, gestärkt durch eine Kammerabstimmung und durch Siege
im Delta von Tonkin, eine Wiederaufnahme der diplomatischen Unterhandlungen
erwartet und in Betreff derselben hofft, China werde seine bisherige Stellung
zur Sache aufgeben oder wenigstens französischen Erwerbungen in den seiner
Oberherrlichkeit unterworfenen Ländern widerstrebend, aber unthätig zusehen.
Man wird nun abzuwarten haben, ob diese Berechnung der Zukunft sich als


Der Sieg Lerrys über die Radikalen.

Bourresche Vertragsentwurf paßte nicht zu der Idee einer Ausdehnung der
Eroberungen an der Mündung des Roten und des Hus-Flusses bis an die
chinesische Grenze, und so wanderte er in den Papierkorb. Die Verhandlungen
in Peking und Paris sind bis jetzt noch zu keinem Ergebnisse gediehen, aber
der französische Konseilsprüsident sagt uns, obwohl unterbrochen, seien sie noch
kein eigentlicher diplomatischer Bruch; denn Frankreich habe in China in der
Person des Herrn Tricon noch einen Unterhändler, und derselbe habe soeben
eine Depesche eingesandt, in welcher er die überraschende Mitteilung mache, der
einflußreiche Großmandarin Li Hang Tschcmg habe die Äußerungen des Marquis
Tseng in Betreff des Streites zwischen China und Frankreich mit Entschie¬
denheit als irrtümlich bezeichnet.

Verdickte sich das wirklich so — woran zu zweifeln erlaubt ist, da Tseng
nach englischen Blättern, über die Sache befragt, erklärt hat, er „sei ganz einer
Meinung mit Li Hang Tschaug" —, so hätte die Angelegenheit wohl eine gün¬
stigere Wendung für Frankreich genommen. Das führt uns zu dem Stand¬
punkte, von dem aus Ferry China betrachtet, sowie zu dem Verfahren, welches
er zu beobachten gedenkt. Der Hof von Peking protestirt und wird vermutlich
weiter Protestiren, behauptet er, sich aber am Ende den vollendeten Thatsachen
fügen — eine Ansicht, die Challemel-Lacour, ein offenkundiger Verächter der
Chinesen teilt. Ferry meint ferner, der Staatsrat in Peking werde sich ver¬
söhnlicher zeigen, wenn die Franzosen songeai und Baknin genommen haben
würde». Die Negierung glaubt, so setzte er hinzu, daß China uns nicht den
Krieg erklären wird, und auch wir beabsichtigen keinen Krieg mit China. Was
wird also geschehen? Die Armee wird sich in dem Delta festsetzen, sodaß niemand
imstande sein wird, sie von dort zu vertreiben, Geduld, Kraft und Ruhe werden
gegen alle Angriffe gefeit sein, und die kluge Politik, die sich auf vollendete
Thatsachen verläßt, wird zu einer Beilegung des Streites um Tonkin führen.
Frankreich wird sein Geld und Blut gut angelegt haben, und die Zukunft wird
sich glänzend und gedeihlich entwickeln.

Das etwa sind die Ziele und Hoffnungen der französischen Regierung.
Sie baut auf Erfolge und glaubt sich dieselbe« ohne Krieg mit den Chinesen
sichern zu können. Der ganze Plan ist uns jetzt enthüllt, niemand kann mehr
daran zweifeln, daß die Franzosen es im letzten Grunde auf die Unterwerfung
der ganzen hinterindischen Halbinsel bis an die Grenzen von Birma und China
abgesehen haben. Was die nächste Zukunft betrifft, so ist es wahrscheinlich, daß
das Pariser Kabinet, gestärkt durch eine Kammerabstimmung und durch Siege
im Delta von Tonkin, eine Wiederaufnahme der diplomatischen Unterhandlungen
erwartet und in Betreff derselben hofft, China werde seine bisherige Stellung
zur Sache aufgeben oder wenigstens französischen Erwerbungen in den seiner
Oberherrlichkeit unterworfenen Ländern widerstrebend, aber unthätig zusehen.
Man wird nun abzuwarten haben, ob diese Berechnung der Zukunft sich als


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0374" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154539"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Sieg Lerrys über die Radikalen.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1117" prev="#ID_1116"> Bourresche Vertragsentwurf paßte nicht zu der Idee einer Ausdehnung der<lb/>
Eroberungen an der Mündung des Roten und des Hus-Flusses bis an die<lb/>
chinesische Grenze, und so wanderte er in den Papierkorb. Die Verhandlungen<lb/>
in Peking und Paris sind bis jetzt noch zu keinem Ergebnisse gediehen, aber<lb/>
der französische Konseilsprüsident sagt uns, obwohl unterbrochen, seien sie noch<lb/>
kein eigentlicher diplomatischer Bruch; denn Frankreich habe in China in der<lb/>
Person des Herrn Tricon noch einen Unterhändler, und derselbe habe soeben<lb/>
eine Depesche eingesandt, in welcher er die überraschende Mitteilung mache, der<lb/>
einflußreiche Großmandarin Li Hang Tschcmg habe die Äußerungen des Marquis<lb/>
Tseng in Betreff des Streites zwischen China und Frankreich mit Entschie¬<lb/>
denheit als irrtümlich bezeichnet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1118"> Verdickte sich das wirklich so &#x2014; woran zu zweifeln erlaubt ist, da Tseng<lb/>
nach englischen Blättern, über die Sache befragt, erklärt hat, er &#x201E;sei ganz einer<lb/>
Meinung mit Li Hang Tschaug" &#x2014;, so hätte die Angelegenheit wohl eine gün¬<lb/>
stigere Wendung für Frankreich genommen. Das führt uns zu dem Stand¬<lb/>
punkte, von dem aus Ferry China betrachtet, sowie zu dem Verfahren, welches<lb/>
er zu beobachten gedenkt. Der Hof von Peking protestirt und wird vermutlich<lb/>
weiter Protestiren, behauptet er, sich aber am Ende den vollendeten Thatsachen<lb/>
fügen &#x2014; eine Ansicht, die Challemel-Lacour, ein offenkundiger Verächter der<lb/>
Chinesen teilt. Ferry meint ferner, der Staatsrat in Peking werde sich ver¬<lb/>
söhnlicher zeigen, wenn die Franzosen songeai und Baknin genommen haben<lb/>
würde». Die Negierung glaubt, so setzte er hinzu, daß China uns nicht den<lb/>
Krieg erklären wird, und auch wir beabsichtigen keinen Krieg mit China. Was<lb/>
wird also geschehen? Die Armee wird sich in dem Delta festsetzen, sodaß niemand<lb/>
imstande sein wird, sie von dort zu vertreiben, Geduld, Kraft und Ruhe werden<lb/>
gegen alle Angriffe gefeit sein, und die kluge Politik, die sich auf vollendete<lb/>
Thatsachen verläßt, wird zu einer Beilegung des Streites um Tonkin führen.<lb/>
Frankreich wird sein Geld und Blut gut angelegt haben, und die Zukunft wird<lb/>
sich glänzend und gedeihlich entwickeln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1119" next="#ID_1120"> Das etwa sind die Ziele und Hoffnungen der französischen Regierung.<lb/>
Sie baut auf Erfolge und glaubt sich dieselbe« ohne Krieg mit den Chinesen<lb/>
sichern zu können. Der ganze Plan ist uns jetzt enthüllt, niemand kann mehr<lb/>
daran zweifeln, daß die Franzosen es im letzten Grunde auf die Unterwerfung<lb/>
der ganzen hinterindischen Halbinsel bis an die Grenzen von Birma und China<lb/>
abgesehen haben. Was die nächste Zukunft betrifft, so ist es wahrscheinlich, daß<lb/>
das Pariser Kabinet, gestärkt durch eine Kammerabstimmung und durch Siege<lb/>
im Delta von Tonkin, eine Wiederaufnahme der diplomatischen Unterhandlungen<lb/>
erwartet und in Betreff derselben hofft, China werde seine bisherige Stellung<lb/>
zur Sache aufgeben oder wenigstens französischen Erwerbungen in den seiner<lb/>
Oberherrlichkeit unterworfenen Ländern widerstrebend, aber unthätig zusehen.<lb/>
Man wird nun abzuwarten haben, ob diese Berechnung der Zukunft sich als</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0374] Der Sieg Lerrys über die Radikalen. Bourresche Vertragsentwurf paßte nicht zu der Idee einer Ausdehnung der Eroberungen an der Mündung des Roten und des Hus-Flusses bis an die chinesische Grenze, und so wanderte er in den Papierkorb. Die Verhandlungen in Peking und Paris sind bis jetzt noch zu keinem Ergebnisse gediehen, aber der französische Konseilsprüsident sagt uns, obwohl unterbrochen, seien sie noch kein eigentlicher diplomatischer Bruch; denn Frankreich habe in China in der Person des Herrn Tricon noch einen Unterhändler, und derselbe habe soeben eine Depesche eingesandt, in welcher er die überraschende Mitteilung mache, der einflußreiche Großmandarin Li Hang Tschcmg habe die Äußerungen des Marquis Tseng in Betreff des Streites zwischen China und Frankreich mit Entschie¬ denheit als irrtümlich bezeichnet. Verdickte sich das wirklich so — woran zu zweifeln erlaubt ist, da Tseng nach englischen Blättern, über die Sache befragt, erklärt hat, er „sei ganz einer Meinung mit Li Hang Tschaug" —, so hätte die Angelegenheit wohl eine gün¬ stigere Wendung für Frankreich genommen. Das führt uns zu dem Stand¬ punkte, von dem aus Ferry China betrachtet, sowie zu dem Verfahren, welches er zu beobachten gedenkt. Der Hof von Peking protestirt und wird vermutlich weiter Protestiren, behauptet er, sich aber am Ende den vollendeten Thatsachen fügen — eine Ansicht, die Challemel-Lacour, ein offenkundiger Verächter der Chinesen teilt. Ferry meint ferner, der Staatsrat in Peking werde sich ver¬ söhnlicher zeigen, wenn die Franzosen songeai und Baknin genommen haben würde». Die Negierung glaubt, so setzte er hinzu, daß China uns nicht den Krieg erklären wird, und auch wir beabsichtigen keinen Krieg mit China. Was wird also geschehen? Die Armee wird sich in dem Delta festsetzen, sodaß niemand imstande sein wird, sie von dort zu vertreiben, Geduld, Kraft und Ruhe werden gegen alle Angriffe gefeit sein, und die kluge Politik, die sich auf vollendete Thatsachen verläßt, wird zu einer Beilegung des Streites um Tonkin führen. Frankreich wird sein Geld und Blut gut angelegt haben, und die Zukunft wird sich glänzend und gedeihlich entwickeln. Das etwa sind die Ziele und Hoffnungen der französischen Regierung. Sie baut auf Erfolge und glaubt sich dieselbe« ohne Krieg mit den Chinesen sichern zu können. Der ganze Plan ist uns jetzt enthüllt, niemand kann mehr daran zweifeln, daß die Franzosen es im letzten Grunde auf die Unterwerfung der ganzen hinterindischen Halbinsel bis an die Grenzen von Birma und China abgesehen haben. Was die nächste Zukunft betrifft, so ist es wahrscheinlich, daß das Pariser Kabinet, gestärkt durch eine Kammerabstimmung und durch Siege im Delta von Tonkin, eine Wiederaufnahme der diplomatischen Unterhandlungen erwartet und in Betreff derselben hofft, China werde seine bisherige Stellung zur Sache aufgeben oder wenigstens französischen Erwerbungen in den seiner Oberherrlichkeit unterworfenen Ländern widerstrebend, aber unthätig zusehen. Man wird nun abzuwarten haben, ob diese Berechnung der Zukunft sich als

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/374
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/374>, abgerufen am 28.07.2024.