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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der Sieg Ferrys über die Radikalen.

Waffe zu schwingen, von der man kurz vorher öffentlich behauptet hat, es sei
unanständig und unbillig, sich ihrer gegen irgend jemand zu bedienen. Indeß könnte
der Herr Abgeordnete, wenn Offenherzigkeit und Ehrlichkeit bei fortschrittlichen
und andern radikalen Politikern Brauch und Herkommen wären, sich damit ver¬
teidigen, daß sein Antrag nicht sowohl gegen die orlecmistischen Prinzen -- deren
Sache wir hiermit keineswegs zur unsern machen wollen -- gemünzt sei, sondern
nur die Regierung in Verlegenheit bringen und mißliebig machen solle. Er
wünscht offenbar nicht die Vertreibung der Prinzen aus Fräuleins herbeizu¬
führen, sondern würde zufrieden sein, wenn sein Antrag die Folge Hütte, die
Minister zur Räumung der Stellen zu veranlassen, die sie jetzt innehaben. Seine
Absicht ist, Ferry zur Verteidigung der Prinzen zu nötigen, deren Verbannung
er angeblich erstrebt, und so der Anklage auf orlecmistische Gesinnung mehr
Farbe zu geben, welche die radikalen Gegner des Kabinets gegen dasselbe er¬
heben möchten. Von der Taktik der französischen Politiker gilt in ganz besonder":
Maße die Redensart, nach welcher jeder Stock gut ist, wenn man einen Hund
prügeln will, wenn es nur wirklich ein Stock ist, und namentlich der radikale,
der "entschiedene," der "gesinnungstüchtige" Parteimann kümmert sich noch
weniger als bei uns darum, über welchen Zaun von Rechten und Freiheiten
er steigen, welchen er nötigenfalls niederbrechen muß, um seinen Stock zu erreichen.

Außerdem ist es nicht unmöglich, daß der rücksichtslose Parteigeist, welcher
die französischen Radikalen beseelt, noch eine andre Waffe zum Angriff auf das
Ministerium finden wird, und zwar eine solche, die England angeht. Bekanntlich
hatte Admiral Pierre bei Tcimatave einen Missionär Shaw, der sich der Be¬
günstigung der Hovas verdächtig gemacht hatte, gefangen nehmen und einsperren
lassen und ihn dann lange in Haft behalten. Die englische Regierung erhub
darüber Beschwerde, und es folgten Verhandlungen über die Angelegenheit, die
angeblich mit einem Nachgeben der Franzosen endigten. Der betreffende Bericht
scheint etwas voreilig abgefaßt worden zu sein. Die französische Negierung ist
allerdings im Prinzipe bereit, dem Herrn Shaw eine Entschädigung zu zahlen
und dieselbe mit einer Entschuldigung wegen des Mißverständnisses zu begleiten,
infolgedessen man Anstand genommen, ihm sofort nach seiner Verhaftung die
Freiheit wiederzugeben. Aber die Einzelheiten der Verständigung erwarten noch
ihre Feststellung, und dies soll durch Waddingtvn in London geschehen. Ein
Teil der französischen Presse aber ist der Meinung, daß Shaws Anspruch auf
Genugthuung unbegründet sei, und daß jede französische Regierung, welche ihn
anerkennen wollte, sich der Schwäche und der Verletzung der Würde Frankreichs
schuldig machen würde. Es ist um" nicht unwahrscheinlich, daß der versöhnliche
Schritt, den Ferry England gegenüber zu thun vorhat, von seinen Gegnern
als eine Gelegenheit zu patriotischen Deklamationen betrachtet werden wird.
Dieselbe verspricht zuviel Popularität, als daß man der Versuchung widerstehen
könnte, sie bestens auszunutzen.




Der Sieg Ferrys über die Radikalen.

Waffe zu schwingen, von der man kurz vorher öffentlich behauptet hat, es sei
unanständig und unbillig, sich ihrer gegen irgend jemand zu bedienen. Indeß könnte
der Herr Abgeordnete, wenn Offenherzigkeit und Ehrlichkeit bei fortschrittlichen
und andern radikalen Politikern Brauch und Herkommen wären, sich damit ver¬
teidigen, daß sein Antrag nicht sowohl gegen die orlecmistischen Prinzen — deren
Sache wir hiermit keineswegs zur unsern machen wollen — gemünzt sei, sondern
nur die Regierung in Verlegenheit bringen und mißliebig machen solle. Er
wünscht offenbar nicht die Vertreibung der Prinzen aus Fräuleins herbeizu¬
führen, sondern würde zufrieden sein, wenn sein Antrag die Folge Hütte, die
Minister zur Räumung der Stellen zu veranlassen, die sie jetzt innehaben. Seine
Absicht ist, Ferry zur Verteidigung der Prinzen zu nötigen, deren Verbannung
er angeblich erstrebt, und so der Anklage auf orlecmistische Gesinnung mehr
Farbe zu geben, welche die radikalen Gegner des Kabinets gegen dasselbe er¬
heben möchten. Von der Taktik der französischen Politiker gilt in ganz besonder»:
Maße die Redensart, nach welcher jeder Stock gut ist, wenn man einen Hund
prügeln will, wenn es nur wirklich ein Stock ist, und namentlich der radikale,
der „entschiedene," der „gesinnungstüchtige" Parteimann kümmert sich noch
weniger als bei uns darum, über welchen Zaun von Rechten und Freiheiten
er steigen, welchen er nötigenfalls niederbrechen muß, um seinen Stock zu erreichen.

Außerdem ist es nicht unmöglich, daß der rücksichtslose Parteigeist, welcher
die französischen Radikalen beseelt, noch eine andre Waffe zum Angriff auf das
Ministerium finden wird, und zwar eine solche, die England angeht. Bekanntlich
hatte Admiral Pierre bei Tcimatave einen Missionär Shaw, der sich der Be¬
günstigung der Hovas verdächtig gemacht hatte, gefangen nehmen und einsperren
lassen und ihn dann lange in Haft behalten. Die englische Regierung erhub
darüber Beschwerde, und es folgten Verhandlungen über die Angelegenheit, die
angeblich mit einem Nachgeben der Franzosen endigten. Der betreffende Bericht
scheint etwas voreilig abgefaßt worden zu sein. Die französische Negierung ist
allerdings im Prinzipe bereit, dem Herrn Shaw eine Entschädigung zu zahlen
und dieselbe mit einer Entschuldigung wegen des Mißverständnisses zu begleiten,
infolgedessen man Anstand genommen, ihm sofort nach seiner Verhaftung die
Freiheit wiederzugeben. Aber die Einzelheiten der Verständigung erwarten noch
ihre Feststellung, und dies soll durch Waddingtvn in London geschehen. Ein
Teil der französischen Presse aber ist der Meinung, daß Shaws Anspruch auf
Genugthuung unbegründet sei, und daß jede französische Regierung, welche ihn
anerkennen wollte, sich der Schwäche und der Verletzung der Würde Frankreichs
schuldig machen würde. Es ist um» nicht unwahrscheinlich, daß der versöhnliche
Schritt, den Ferry England gegenüber zu thun vorhat, von seinen Gegnern
als eine Gelegenheit zu patriotischen Deklamationen betrachtet werden wird.
Dieselbe verspricht zuviel Popularität, als daß man der Versuchung widerstehen
könnte, sie bestens auszunutzen.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/376>, abgerufen am 01.09.2024.