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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Moriz Larriere und seine Gedichte.

Und meint das blöde Volt, daß ich es blende --
Der Weise fühlt, ich lehr' ihn sehn.

Aus der glücklichen Münchener Zeit stammt ferner eine Reihe von philoso¬
phischen Gedichten: "Hymne," "Der Unendliche/' "Immanenz," "Offenbarung der
Kunst," "Menschenlos," "Zwei Lebenswege," "Dreiklang des Lebens" -- Ge-
dankeudichtungeu, welche ähnlichen Schöpfungen von Bruno, von Campanella,
von Rückert und Hölderlin an Tiefe der Gedanken und Glanz der Sprache
gleichstehen. Sie sind ein Ausdruck jener Überzeugung, daß Gvttj als ewig
Persönliche Liebe sich in der Welt offenbart. Es sind Ideen, nicht lehrhaft vor¬
getragen, sondern nach ihrem Leben im Gemüt, sodaß sie aus Empfindung
hervorblühen und wieder Empfindungen wecken. Es sind religiöse Dichtungen
im Sinne jenes "Erbauungsbuches für Denkende in alten und neuen Dichter¬
worten," das Carriere im Jahre 1858 herausgab. Ist es doch eine Grundlehre
unsers Philosophen, daß die Vernunft mit dem Gemüte, daß Anschauung und
Gewissen zusamnu'uwirkeu müssen, um die volle Wahrheit zu ergreifen. Nur so
könne die Wissenschaft in den Kreis des Volkes dringen und mit der Religion
zusammenstinimen. Nur so können die beiden gefährlichsten Gegner echter Reli¬
giosität, "das Dogma des Materialismus und der Materialismus des Dogmas,"
überwunden werden. Der Hinweis auf die lebendige Wirklichkeit vermag allein,
Wissenschaft und Religion, Christentum und Bildung zu versöhnen, nicht aber
ein abstraktes Festhalten an unwahren Gegensätzen, welche schließlich in unver¬
einbare Einseitigkeiten auslaufen. So breitet in jenen Gedichten der selbstbe¬
wußte, seines Gegenstandes mächtige Denker den Reichtum seines Geistes aus,
aber so daß derselbe als die Entfaltung seines Gemütes erscheint, nicht als ein
äußerliches Besitztum, sondern als eigenstes, innerstes Sein.

Der optimistisch-ästhetische Theismus des philosophischen Dichters überstand
auch die schwerste Probe, den Tod der Gattin nach zehnjähriger glücklicher Ehe.
Dieser Katastrophe verdankt die Sammlung fünfzehn tiefempfundene, herrliche
Poetische Stücke. Aus dem Jammer des Scheidens rafft sich der Geprüfte
empor durch deu Gedanken, daß er das Schöne besaß, daß er "Ewiges einmal
mitten im Flusse der Zeit sceleubeseligt empfand." Arbeit und Entsagung,
"aus den, Gemüte in den Geist zu flüchten," fordert das Schicksal. In der
Arbeit fand der Einsame Trost, und er führte, nachdem er seine "Ästhetik" ge¬
schrieben, sein großes Lebenswerk über die Kunst in ihrem Zusammenhange mit
der ganzen Kulturgeschichte ans. Mit Herders "Ideen zur Geschichte der Mensch¬
heit" hat man es oft und mit Recht verglichen.

Noch manches schöne Lied enthält unsre Sammlung, das wir nicht er¬
wähnen konnten. Außer der formvollendeten Übersetzung von neun Sonetten
der Vittoria Colonna verlangt vor allem noch Berücksichtigung das große, aus
einigen sechzig Stanzen bestehende Gedicht "Die letzte Nacht der Girondisten,"
das schon vor langer Zeit auch separat erschien und in weiten Kreisen Be-


Moriz Larriere und seine Gedichte.

Und meint das blöde Volt, daß ich es blende —
Der Weise fühlt, ich lehr' ihn sehn.

Aus der glücklichen Münchener Zeit stammt ferner eine Reihe von philoso¬
phischen Gedichten: „Hymne," „Der Unendliche/' „Immanenz," „Offenbarung der
Kunst," „Menschenlos," „Zwei Lebenswege," „Dreiklang des Lebens" — Ge-
dankeudichtungeu, welche ähnlichen Schöpfungen von Bruno, von Campanella,
von Rückert und Hölderlin an Tiefe der Gedanken und Glanz der Sprache
gleichstehen. Sie sind ein Ausdruck jener Überzeugung, daß Gvttj als ewig
Persönliche Liebe sich in der Welt offenbart. Es sind Ideen, nicht lehrhaft vor¬
getragen, sondern nach ihrem Leben im Gemüt, sodaß sie aus Empfindung
hervorblühen und wieder Empfindungen wecken. Es sind religiöse Dichtungen
im Sinne jenes „Erbauungsbuches für Denkende in alten und neuen Dichter¬
worten," das Carriere im Jahre 1858 herausgab. Ist es doch eine Grundlehre
unsers Philosophen, daß die Vernunft mit dem Gemüte, daß Anschauung und
Gewissen zusamnu'uwirkeu müssen, um die volle Wahrheit zu ergreifen. Nur so
könne die Wissenschaft in den Kreis des Volkes dringen und mit der Religion
zusammenstinimen. Nur so können die beiden gefährlichsten Gegner echter Reli¬
giosität, „das Dogma des Materialismus und der Materialismus des Dogmas,"
überwunden werden. Der Hinweis auf die lebendige Wirklichkeit vermag allein,
Wissenschaft und Religion, Christentum und Bildung zu versöhnen, nicht aber
ein abstraktes Festhalten an unwahren Gegensätzen, welche schließlich in unver¬
einbare Einseitigkeiten auslaufen. So breitet in jenen Gedichten der selbstbe¬
wußte, seines Gegenstandes mächtige Denker den Reichtum seines Geistes aus,
aber so daß derselbe als die Entfaltung seines Gemütes erscheint, nicht als ein
äußerliches Besitztum, sondern als eigenstes, innerstes Sein.

Der optimistisch-ästhetische Theismus des philosophischen Dichters überstand
auch die schwerste Probe, den Tod der Gattin nach zehnjähriger glücklicher Ehe.
Dieser Katastrophe verdankt die Sammlung fünfzehn tiefempfundene, herrliche
Poetische Stücke. Aus dem Jammer des Scheidens rafft sich der Geprüfte
empor durch deu Gedanken, daß er das Schöne besaß, daß er „Ewiges einmal
mitten im Flusse der Zeit sceleubeseligt empfand." Arbeit und Entsagung,
„aus den, Gemüte in den Geist zu flüchten," fordert das Schicksal. In der
Arbeit fand der Einsame Trost, und er führte, nachdem er seine „Ästhetik" ge¬
schrieben, sein großes Lebenswerk über die Kunst in ihrem Zusammenhange mit
der ganzen Kulturgeschichte ans. Mit Herders „Ideen zur Geschichte der Mensch¬
heit" hat man es oft und mit Recht verglichen.

Noch manches schöne Lied enthält unsre Sammlung, das wir nicht er¬
wähnen konnten. Außer der formvollendeten Übersetzung von neun Sonetten
der Vittoria Colonna verlangt vor allem noch Berücksichtigung das große, aus
einigen sechzig Stanzen bestehende Gedicht „Die letzte Nacht der Girondisten,"
das schon vor langer Zeit auch separat erschien und in weiten Kreisen Be-


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[0369] Moriz Larriere und seine Gedichte. Und meint das blöde Volt, daß ich es blende — Der Weise fühlt, ich lehr' ihn sehn. Aus der glücklichen Münchener Zeit stammt ferner eine Reihe von philoso¬ phischen Gedichten: „Hymne," „Der Unendliche/' „Immanenz," „Offenbarung der Kunst," „Menschenlos," „Zwei Lebenswege," „Dreiklang des Lebens" — Ge- dankeudichtungeu, welche ähnlichen Schöpfungen von Bruno, von Campanella, von Rückert und Hölderlin an Tiefe der Gedanken und Glanz der Sprache gleichstehen. Sie sind ein Ausdruck jener Überzeugung, daß Gvttj als ewig Persönliche Liebe sich in der Welt offenbart. Es sind Ideen, nicht lehrhaft vor¬ getragen, sondern nach ihrem Leben im Gemüt, sodaß sie aus Empfindung hervorblühen und wieder Empfindungen wecken. Es sind religiöse Dichtungen im Sinne jenes „Erbauungsbuches für Denkende in alten und neuen Dichter¬ worten," das Carriere im Jahre 1858 herausgab. Ist es doch eine Grundlehre unsers Philosophen, daß die Vernunft mit dem Gemüte, daß Anschauung und Gewissen zusamnu'uwirkeu müssen, um die volle Wahrheit zu ergreifen. Nur so könne die Wissenschaft in den Kreis des Volkes dringen und mit der Religion zusammenstinimen. Nur so können die beiden gefährlichsten Gegner echter Reli¬ giosität, „das Dogma des Materialismus und der Materialismus des Dogmas," überwunden werden. Der Hinweis auf die lebendige Wirklichkeit vermag allein, Wissenschaft und Religion, Christentum und Bildung zu versöhnen, nicht aber ein abstraktes Festhalten an unwahren Gegensätzen, welche schließlich in unver¬ einbare Einseitigkeiten auslaufen. So breitet in jenen Gedichten der selbstbe¬ wußte, seines Gegenstandes mächtige Denker den Reichtum seines Geistes aus, aber so daß derselbe als die Entfaltung seines Gemütes erscheint, nicht als ein äußerliches Besitztum, sondern als eigenstes, innerstes Sein. Der optimistisch-ästhetische Theismus des philosophischen Dichters überstand auch die schwerste Probe, den Tod der Gattin nach zehnjähriger glücklicher Ehe. Dieser Katastrophe verdankt die Sammlung fünfzehn tiefempfundene, herrliche Poetische Stücke. Aus dem Jammer des Scheidens rafft sich der Geprüfte empor durch deu Gedanken, daß er das Schöne besaß, daß er „Ewiges einmal mitten im Flusse der Zeit sceleubeseligt empfand." Arbeit und Entsagung, „aus den, Gemüte in den Geist zu flüchten," fordert das Schicksal. In der Arbeit fand der Einsame Trost, und er führte, nachdem er seine „Ästhetik" ge¬ schrieben, sein großes Lebenswerk über die Kunst in ihrem Zusammenhange mit der ganzen Kulturgeschichte ans. Mit Herders „Ideen zur Geschichte der Mensch¬ heit" hat man es oft und mit Recht verglichen. Noch manches schöne Lied enthält unsre Sammlung, das wir nicht er¬ wähnen konnten. Außer der formvollendeten Übersetzung von neun Sonetten der Vittoria Colonna verlangt vor allem noch Berücksichtigung das große, aus einigen sechzig Stanzen bestehende Gedicht „Die letzte Nacht der Girondisten," das schon vor langer Zeit auch separat erschien und in weiten Kreisen Be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/369>, abgerufen am 01.09.2024.