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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Moriz Carriere und seine Gedichte.

wunderung gefunden hat. Es ist ein großes politisch-religiöses Gemälde, tels
mit eindringlichem Pathos die Ideen des Todes für das Vaterland und der
Unsterblichkeit im Gespräche der Gefangenen plastisch vor uns ausbreitet. Dieses
großartige Gedicht bildet den Übergang zu den übrigen politischen Gedichten,
welche der großen Zeit vom Jahre 1870 entstammen. Neben Wissenschaft,
Kunst und Religion war es auch die Politik, welcher Carriere seine Kräfte und
Ideen widmete. Der Haß der bairischen "Patrioten" ans ihn führt uns auf
den Weg, den er hier wandelte. Carriere war einer der wichtigsten Vorkämpfer
für den deutschen Gedanken in München, für die Vereinigung von Nord und
Süd unter Preußens Führung. Er beteiligte sich an den Wcchltampfcn, sprach
in Volksversammlungen, und mit seinen Gesinnungsgenossen vollbrachte er jenen
Umschwung in München, der im Jahre 1870 auch die Zagenden mit fortriß.
Gerade eine so harmonische, versöhnliche und durch die eigne Begeisterung auch
Andre begeisternde Natur wie Carriere war vortrefflich geeignet, den Wogen¬
brand der Leidenschaften zu dämpfen und die Strömung in das richtige Bett
zu leiten. Damals hielt er auch eine zündende Rede: "Die sittliche Welt-
ordnung in den Zeichen und Aufgaben der Zeit," in welcher er den großen
Völkerkampf vom ethischen Standpunkt beleuchtete.*) Diese Rede ist el" Muster
politischer Beredtsamkeit in dem Sinne, wie einst Fichte seine "Reden um die
deutsche Nation" hielt. Es ereignete sich, daß die Versammlung für diesen
Vortrag ans den Abend jenes Tages berufen war, der am Morgen die Kunde
vom Siege bei Sedan brachte. Als ein Werkzeug der Realisirung der mora¬
lischen Weltordnung erscheint dem Redner mit Recht Bismarck. Seine unge-
heuchelte Begeisterung für Bismarck zündete auch in andern das Feuer des
nationalen Enthusiasmus an, und sie sahen mit ihm den Wunsch erfüllt, den
Carriere im Jahre Z849 prophetisch ausgesprochen hatte: "Ein Cromwell für
Deutschland!"





*) Wiederabgedruckt in dem Werke "Die sittliche Weltordnung" (1877), in welchem
Carriere seine philosophischen Grundanschauungen über Gott und Welt, Religion und Kunst,
Moral und Geschichte in systematischem Zusammenhange entwickelt.
Moriz Carriere und seine Gedichte.

wunderung gefunden hat. Es ist ein großes politisch-religiöses Gemälde, tels
mit eindringlichem Pathos die Ideen des Todes für das Vaterland und der
Unsterblichkeit im Gespräche der Gefangenen plastisch vor uns ausbreitet. Dieses
großartige Gedicht bildet den Übergang zu den übrigen politischen Gedichten,
welche der großen Zeit vom Jahre 1870 entstammen. Neben Wissenschaft,
Kunst und Religion war es auch die Politik, welcher Carriere seine Kräfte und
Ideen widmete. Der Haß der bairischen „Patrioten" ans ihn führt uns auf
den Weg, den er hier wandelte. Carriere war einer der wichtigsten Vorkämpfer
für den deutschen Gedanken in München, für die Vereinigung von Nord und
Süd unter Preußens Führung. Er beteiligte sich an den Wcchltampfcn, sprach
in Volksversammlungen, und mit seinen Gesinnungsgenossen vollbrachte er jenen
Umschwung in München, der im Jahre 1870 auch die Zagenden mit fortriß.
Gerade eine so harmonische, versöhnliche und durch die eigne Begeisterung auch
Andre begeisternde Natur wie Carriere war vortrefflich geeignet, den Wogen¬
brand der Leidenschaften zu dämpfen und die Strömung in das richtige Bett
zu leiten. Damals hielt er auch eine zündende Rede: „Die sittliche Welt-
ordnung in den Zeichen und Aufgaben der Zeit," in welcher er den großen
Völkerkampf vom ethischen Standpunkt beleuchtete.*) Diese Rede ist el» Muster
politischer Beredtsamkeit in dem Sinne, wie einst Fichte seine „Reden um die
deutsche Nation" hielt. Es ereignete sich, daß die Versammlung für diesen
Vortrag ans den Abend jenes Tages berufen war, der am Morgen die Kunde
vom Siege bei Sedan brachte. Als ein Werkzeug der Realisirung der mora¬
lischen Weltordnung erscheint dem Redner mit Recht Bismarck. Seine unge-
heuchelte Begeisterung für Bismarck zündete auch in andern das Feuer des
nationalen Enthusiasmus an, und sie sahen mit ihm den Wunsch erfüllt, den
Carriere im Jahre Z849 prophetisch ausgesprochen hatte: „Ein Cromwell für
Deutschland!"





*) Wiederabgedruckt in dem Werke „Die sittliche Weltordnung" (1877), in welchem
Carriere seine philosophischen Grundanschauungen über Gott und Welt, Religion und Kunst,
Moral und Geschichte in systematischem Zusammenhange entwickelt.
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[0370] Moriz Carriere und seine Gedichte. wunderung gefunden hat. Es ist ein großes politisch-religiöses Gemälde, tels mit eindringlichem Pathos die Ideen des Todes für das Vaterland und der Unsterblichkeit im Gespräche der Gefangenen plastisch vor uns ausbreitet. Dieses großartige Gedicht bildet den Übergang zu den übrigen politischen Gedichten, welche der großen Zeit vom Jahre 1870 entstammen. Neben Wissenschaft, Kunst und Religion war es auch die Politik, welcher Carriere seine Kräfte und Ideen widmete. Der Haß der bairischen „Patrioten" ans ihn führt uns auf den Weg, den er hier wandelte. Carriere war einer der wichtigsten Vorkämpfer für den deutschen Gedanken in München, für die Vereinigung von Nord und Süd unter Preußens Führung. Er beteiligte sich an den Wcchltampfcn, sprach in Volksversammlungen, und mit seinen Gesinnungsgenossen vollbrachte er jenen Umschwung in München, der im Jahre 1870 auch die Zagenden mit fortriß. Gerade eine so harmonische, versöhnliche und durch die eigne Begeisterung auch Andre begeisternde Natur wie Carriere war vortrefflich geeignet, den Wogen¬ brand der Leidenschaften zu dämpfen und die Strömung in das richtige Bett zu leiten. Damals hielt er auch eine zündende Rede: „Die sittliche Welt- ordnung in den Zeichen und Aufgaben der Zeit," in welcher er den großen Völkerkampf vom ethischen Standpunkt beleuchtete.*) Diese Rede ist el» Muster politischer Beredtsamkeit in dem Sinne, wie einst Fichte seine „Reden um die deutsche Nation" hielt. Es ereignete sich, daß die Versammlung für diesen Vortrag ans den Abend jenes Tages berufen war, der am Morgen die Kunde vom Siege bei Sedan brachte. Als ein Werkzeug der Realisirung der mora¬ lischen Weltordnung erscheint dem Redner mit Recht Bismarck. Seine unge- heuchelte Begeisterung für Bismarck zündete auch in andern das Feuer des nationalen Enthusiasmus an, und sie sahen mit ihm den Wunsch erfüllt, den Carriere im Jahre Z849 prophetisch ausgesprochen hatte: „Ein Cromwell für Deutschland!" *) Wiederabgedruckt in dem Werke „Die sittliche Weltordnung" (1877), in welchem Carriere seine philosophischen Grundanschauungen über Gott und Welt, Religion und Kunst, Moral und Geschichte in systematischem Zusammenhange entwickelt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/370>, abgerufen am 27.07.2024.