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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der verfaffungsbruch der Fortschrittspartei.

nahmein Bekanntlich siegte zunächst die linke Seite des Hauses mit ihrem Antrage
auf Bewilligung von Diäten, der jetzige Artikel 32 der Verfassung wurde jedoch
von der Regierung als einer von denjenigen bezeichnet, von deren Annahme
das Zustandekommen der Verfassung abhängig gemacht wurde. In der Schluß-
beratung wurde daher die Regierungsvorlage wiederhergestellt. Schon diese
Entstehungsgeschichte ergiebt, daß die Diätenlosigkeit auf einem Kompromiß
der Parteien und der Regierungen beruht, und daß es jedenfalls w trauäsin
IsAs handeln heißt, wenn die Diätenlosigkeit dnrch eine Hinterthür illusorisch
gemacht wird. Denn die Bedeutung dieses Artikels liegt selbstverständlich nicht
darin, daß die Reichskasse oder die Kassen der einzelnen Vuudesstaaten nicht
mit den Diäten belastet, sondern daß nur unabhängige, aus sich selbst gestellte
Männer in den Reichstag gewählt werden sollten. Von diesem Gedanken waren
sämtliche Debatten damals getragen; es würde zwar nützlich sein, aber doch zu
weit führen, wollten wir dieselben hier wiedergeben und alles wiederholen, was
ahnungsvoll im Jahre 1867 von dem gewerbsmäßigen Parlamentarier und dein
Parlamentarischen Proletariat vorausgejagt wurde. Auch der Wortlaut des Ar¬
tikels 32 kann garnicht anders verstanden werden.

Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder
Entschädigung beziehen. Der Artikel unterscheidet nicht, woher der Bezug er¬
folgt, ob aus Reichs-, Staats- oder Privatmitteln, das Verbot ist unzweideutig,
und nach einer alten Auslegnngsregel gilt der Satz, daß wo das Gesetz nicht
unterscheidet, auch wir uicht unterscheiden dürfen. Der Artikel ist ganz anders
gefaßt als der entsprechende der preußischen Verfassung, und da diese letztere in
so vielen Punkten der Reichsverfassung zum Muster gedient hat, so muß man
bei einer Abweichung annehmen, daß diese mit Bewußtsein geschehen ist. Artikel 85
der preußischen Verfassung lautet:

Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten erhalten aus der Staatskasse
Reisekosten und Diäten nach Maßgabe des Gesetzes. Ein Verzicht hierauf ist un¬
statthaft.

Wenn die Reichsverfassung nur den Bezug aus öffentlichen Mitteln hätte unter¬
sagen wollen, so lag es nahe, den Artikel 32 in seinem Wortlaut an Artikel 85
der preußischen Verfassungsurkunde anzuschließen. Geht aber schon aus der
allgemeinen politischen Lage, wie bereits auseinandergesetzt ist, hervor, daß
man im kvnstituirenden Reichstage von der Diätenlosigkeit der Mitglieder in
jeder Hinsicht des Bezuges als Voraussetzung ausging, so wurde außerdem die
hier vortretende Bedeutung des Artikels 32 auch ausdrücklich anerkannt. So
stellte der Abgeordnete Meier zu diesem Artikel den Antrag, die Worte "aus
öffentlichen Mitteln" einzufügen; er wollte also das Verbot nur gegen die Re¬
gierungen richten und erkannte damit an, daß dasselbe jedenfalls auch den Bezug
aus privatem Mitteln umfasst. Der Abgeordnete Schulze-Delitzsch, ein klas¬
sischer Zeuge der Fortschrittspartei, bemerkte (Seen. Ber. 1867, S. 706) aus-


Der verfaffungsbruch der Fortschrittspartei.

nahmein Bekanntlich siegte zunächst die linke Seite des Hauses mit ihrem Antrage
auf Bewilligung von Diäten, der jetzige Artikel 32 der Verfassung wurde jedoch
von der Regierung als einer von denjenigen bezeichnet, von deren Annahme
das Zustandekommen der Verfassung abhängig gemacht wurde. In der Schluß-
beratung wurde daher die Regierungsvorlage wiederhergestellt. Schon diese
Entstehungsgeschichte ergiebt, daß die Diätenlosigkeit auf einem Kompromiß
der Parteien und der Regierungen beruht, und daß es jedenfalls w trauäsin
IsAs handeln heißt, wenn die Diätenlosigkeit dnrch eine Hinterthür illusorisch
gemacht wird. Denn die Bedeutung dieses Artikels liegt selbstverständlich nicht
darin, daß die Reichskasse oder die Kassen der einzelnen Vuudesstaaten nicht
mit den Diäten belastet, sondern daß nur unabhängige, aus sich selbst gestellte
Männer in den Reichstag gewählt werden sollten. Von diesem Gedanken waren
sämtliche Debatten damals getragen; es würde zwar nützlich sein, aber doch zu
weit führen, wollten wir dieselben hier wiedergeben und alles wiederholen, was
ahnungsvoll im Jahre 1867 von dem gewerbsmäßigen Parlamentarier und dein
Parlamentarischen Proletariat vorausgejagt wurde. Auch der Wortlaut des Ar¬
tikels 32 kann garnicht anders verstanden werden.

Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder
Entschädigung beziehen. Der Artikel unterscheidet nicht, woher der Bezug er¬
folgt, ob aus Reichs-, Staats- oder Privatmitteln, das Verbot ist unzweideutig,
und nach einer alten Auslegnngsregel gilt der Satz, daß wo das Gesetz nicht
unterscheidet, auch wir uicht unterscheiden dürfen. Der Artikel ist ganz anders
gefaßt als der entsprechende der preußischen Verfassung, und da diese letztere in
so vielen Punkten der Reichsverfassung zum Muster gedient hat, so muß man
bei einer Abweichung annehmen, daß diese mit Bewußtsein geschehen ist. Artikel 85
der preußischen Verfassung lautet:

Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten erhalten aus der Staatskasse
Reisekosten und Diäten nach Maßgabe des Gesetzes. Ein Verzicht hierauf ist un¬
statthaft.

Wenn die Reichsverfassung nur den Bezug aus öffentlichen Mitteln hätte unter¬
sagen wollen, so lag es nahe, den Artikel 32 in seinem Wortlaut an Artikel 85
der preußischen Verfassungsurkunde anzuschließen. Geht aber schon aus der
allgemeinen politischen Lage, wie bereits auseinandergesetzt ist, hervor, daß
man im kvnstituirenden Reichstage von der Diätenlosigkeit der Mitglieder in
jeder Hinsicht des Bezuges als Voraussetzung ausging, so wurde außerdem die
hier vortretende Bedeutung des Artikels 32 auch ausdrücklich anerkannt. So
stellte der Abgeordnete Meier zu diesem Artikel den Antrag, die Worte „aus
öffentlichen Mitteln" einzufügen; er wollte also das Verbot nur gegen die Re¬
gierungen richten und erkannte damit an, daß dasselbe jedenfalls auch den Bezug
aus privatem Mitteln umfasst. Der Abgeordnete Schulze-Delitzsch, ein klas¬
sischer Zeuge der Fortschrittspartei, bemerkte (Seen. Ber. 1867, S. 706) aus-


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[0341] Der verfaffungsbruch der Fortschrittspartei. nahmein Bekanntlich siegte zunächst die linke Seite des Hauses mit ihrem Antrage auf Bewilligung von Diäten, der jetzige Artikel 32 der Verfassung wurde jedoch von der Regierung als einer von denjenigen bezeichnet, von deren Annahme das Zustandekommen der Verfassung abhängig gemacht wurde. In der Schluß- beratung wurde daher die Regierungsvorlage wiederhergestellt. Schon diese Entstehungsgeschichte ergiebt, daß die Diätenlosigkeit auf einem Kompromiß der Parteien und der Regierungen beruht, und daß es jedenfalls w trauäsin IsAs handeln heißt, wenn die Diätenlosigkeit dnrch eine Hinterthür illusorisch gemacht wird. Denn die Bedeutung dieses Artikels liegt selbstverständlich nicht darin, daß die Reichskasse oder die Kassen der einzelnen Vuudesstaaten nicht mit den Diäten belastet, sondern daß nur unabhängige, aus sich selbst gestellte Männer in den Reichstag gewählt werden sollten. Von diesem Gedanken waren sämtliche Debatten damals getragen; es würde zwar nützlich sein, aber doch zu weit führen, wollten wir dieselben hier wiedergeben und alles wiederholen, was ahnungsvoll im Jahre 1867 von dem gewerbsmäßigen Parlamentarier und dein Parlamentarischen Proletariat vorausgejagt wurde. Auch der Wortlaut des Ar¬ tikels 32 kann garnicht anders verstanden werden. Die Mitglieder des Reichstages dürfen als solche keine Besoldung oder Entschädigung beziehen. Der Artikel unterscheidet nicht, woher der Bezug er¬ folgt, ob aus Reichs-, Staats- oder Privatmitteln, das Verbot ist unzweideutig, und nach einer alten Auslegnngsregel gilt der Satz, daß wo das Gesetz nicht unterscheidet, auch wir uicht unterscheiden dürfen. Der Artikel ist ganz anders gefaßt als der entsprechende der preußischen Verfassung, und da diese letztere in so vielen Punkten der Reichsverfassung zum Muster gedient hat, so muß man bei einer Abweichung annehmen, daß diese mit Bewußtsein geschehen ist. Artikel 85 der preußischen Verfassung lautet: Die Mitglieder des Hauses der Abgeordneten erhalten aus der Staatskasse Reisekosten und Diäten nach Maßgabe des Gesetzes. Ein Verzicht hierauf ist un¬ statthaft. Wenn die Reichsverfassung nur den Bezug aus öffentlichen Mitteln hätte unter¬ sagen wollen, so lag es nahe, den Artikel 32 in seinem Wortlaut an Artikel 85 der preußischen Verfassungsurkunde anzuschließen. Geht aber schon aus der allgemeinen politischen Lage, wie bereits auseinandergesetzt ist, hervor, daß man im kvnstituirenden Reichstage von der Diätenlosigkeit der Mitglieder in jeder Hinsicht des Bezuges als Voraussetzung ausging, so wurde außerdem die hier vortretende Bedeutung des Artikels 32 auch ausdrücklich anerkannt. So stellte der Abgeordnete Meier zu diesem Artikel den Antrag, die Worte „aus öffentlichen Mitteln" einzufügen; er wollte also das Verbot nur gegen die Re¬ gierungen richten und erkannte damit an, daß dasselbe jedenfalls auch den Bezug aus privatem Mitteln umfasst. Der Abgeordnete Schulze-Delitzsch, ein klas¬ sischer Zeuge der Fortschrittspartei, bemerkte (Seen. Ber. 1867, S. 706) aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/341>, abgerufen am 27.07.2024.