Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Macchiavelli.

Spiel. Die griechische, die punische Treue war im Altertum sprichwörtlich, die
heutige Diplomatie der Orientalen kennt weder Wahrheit noch Recht, die Politik
der Päpste ruhte lange vor der Gründung der Gesellschaft Jesu und der Ent¬
wicklung der Moral derselben auf jesuitischen Grundsätzen und war unter
Alexander dem Sechsten, dem Zeitgenossen Macchiavellis, die Arglist und Treu¬
losigkeit selbst. Sie war der rücksichtsloseste Eigennutz, der vor keiner Täuschung,
keinem Verbrechen zurttckscheute, und die kleinen und großen Nachbarfürsten ver¬
fuhren mehr oder minder in gleicher Weise wie Alexander und sein ruchloser
Sohn Cäsar Borgia. Recht und Ehre galten wenig, wenn es einen Zweck,
einen Vorteil zu erreichen galt; man führte sie im Munde, man suchte den
Schein zu wahren, als ob man sich von ihnen leiten ließe, man beachtete sie
wirklich, wenn sie nur schmücken, nicht schaden konnten, stand aber keinen Augen¬
blick an, sie zu verleugnen und zu verletzen, wenn es Nutzen verhieß.

Italien befand sich damals in größter Zerrissenheit und Verwirrung, es
war größtenteils in der Gewalt der Fremden, die als Barbaren erschienen.
Die Patrioten des Landes sehnten sich nach Einheit und Befreiung unter einem
klugen und energischen Fürsten, und Macchicwelli war ein glühender Patriot, dem
jene Zwecke über alles gingen. Daß sein Buch dieselben verfolgt, daß es vor
allen Dingen zu ihrer Erreichung beitragen, einem Fürsten Anweisung geben soll,
sich die Macht zu verschaffen, ganz Italien zu einigen und es dann von den
Fremden zu befreien, sagt er ausdrücklich selbst, und in dieser Absicht liegt die
Hauptentschuldigung der Lehren, die es verkündigt.

Der krwoixe ist dem Lorenzo von Medici gewidmet. Im letzten Ka¬
pitel spricht der Verfasser die Hoffnung aus, die ihn bei der Niederschrift
seiner Gedanken und bei der Widmung des kleinen Werkes geleitet hat.
Der kalte Rechner verwandelt sich hier in einen begeisterten Redner, in einen
von Vaterlandsliebe entflammten Propheten, seine Worte atmen brennende
Sehnsucht, Morgenrot bestrahlt sie, indem sie sich zum Flug aus der Nacht
beschwingen. Der scheinbar herzlose Mann der vorhergehenden Kapitel wird
hier ganz Herz und Seele. Er sagt:

Betrachte ich um das oben Besprochene und prüfe ich, ob die gegenwärtigen
Zeiten in Italien dazu angethan sind, einen neuen Fürsten zu bringen, und ob
dort ein thatkräftiger Mann Gelegenheit fände, ihm eine neue Gestalt zu geben,
die ihm Ruhm: und allen Bewohnern jenes Landes Wohlfahrt verschaffte, so will
mir scheinen, als ob soviel Dinge zu Gunsten eines neuen Fürsten zusammen¬
trafen, daß ich nicht weiß, welche Zeit sich je besser dazu geeignet hätte. . . . Sollte
man die Kraft eines italienischen Geistes erkennen, so mußte Italien in den Zustand
versetzt werden, in dem es sich heute befindet, wo es geknechteter als die Juden
Im Ägyptens unterdrückter als die Perser pu der Jugendzeit des Cyrus^, zerstreuter
als die Athener jvor Thesen^, ohne Haupt, ohne Ordnung, geschlagen, geplündert,
zerrissen, jedem offen und vom Verderben in jeder Gestalt betroffen ist. Und wenn
sich auch neuerdings in dem oder jenem ein Anflug zeigte, nach dem man ver-


Macchiavelli.

Spiel. Die griechische, die punische Treue war im Altertum sprichwörtlich, die
heutige Diplomatie der Orientalen kennt weder Wahrheit noch Recht, die Politik
der Päpste ruhte lange vor der Gründung der Gesellschaft Jesu und der Ent¬
wicklung der Moral derselben auf jesuitischen Grundsätzen und war unter
Alexander dem Sechsten, dem Zeitgenossen Macchiavellis, die Arglist und Treu¬
losigkeit selbst. Sie war der rücksichtsloseste Eigennutz, der vor keiner Täuschung,
keinem Verbrechen zurttckscheute, und die kleinen und großen Nachbarfürsten ver¬
fuhren mehr oder minder in gleicher Weise wie Alexander und sein ruchloser
Sohn Cäsar Borgia. Recht und Ehre galten wenig, wenn es einen Zweck,
einen Vorteil zu erreichen galt; man führte sie im Munde, man suchte den
Schein zu wahren, als ob man sich von ihnen leiten ließe, man beachtete sie
wirklich, wenn sie nur schmücken, nicht schaden konnten, stand aber keinen Augen¬
blick an, sie zu verleugnen und zu verletzen, wenn es Nutzen verhieß.

Italien befand sich damals in größter Zerrissenheit und Verwirrung, es
war größtenteils in der Gewalt der Fremden, die als Barbaren erschienen.
Die Patrioten des Landes sehnten sich nach Einheit und Befreiung unter einem
klugen und energischen Fürsten, und Macchicwelli war ein glühender Patriot, dem
jene Zwecke über alles gingen. Daß sein Buch dieselben verfolgt, daß es vor
allen Dingen zu ihrer Erreichung beitragen, einem Fürsten Anweisung geben soll,
sich die Macht zu verschaffen, ganz Italien zu einigen und es dann von den
Fremden zu befreien, sagt er ausdrücklich selbst, und in dieser Absicht liegt die
Hauptentschuldigung der Lehren, die es verkündigt.

Der krwoixe ist dem Lorenzo von Medici gewidmet. Im letzten Ka¬
pitel spricht der Verfasser die Hoffnung aus, die ihn bei der Niederschrift
seiner Gedanken und bei der Widmung des kleinen Werkes geleitet hat.
Der kalte Rechner verwandelt sich hier in einen begeisterten Redner, in einen
von Vaterlandsliebe entflammten Propheten, seine Worte atmen brennende
Sehnsucht, Morgenrot bestrahlt sie, indem sie sich zum Flug aus der Nacht
beschwingen. Der scheinbar herzlose Mann der vorhergehenden Kapitel wird
hier ganz Herz und Seele. Er sagt:

Betrachte ich um das oben Besprochene und prüfe ich, ob die gegenwärtigen
Zeiten in Italien dazu angethan sind, einen neuen Fürsten zu bringen, und ob
dort ein thatkräftiger Mann Gelegenheit fände, ihm eine neue Gestalt zu geben,
die ihm Ruhm: und allen Bewohnern jenes Landes Wohlfahrt verschaffte, so will
mir scheinen, als ob soviel Dinge zu Gunsten eines neuen Fürsten zusammen¬
trafen, daß ich nicht weiß, welche Zeit sich je besser dazu geeignet hätte. . . . Sollte
man die Kraft eines italienischen Geistes erkennen, so mußte Italien in den Zustand
versetzt werden, in dem es sich heute befindet, wo es geknechteter als die Juden
Im Ägyptens unterdrückter als die Perser pu der Jugendzeit des Cyrus^, zerstreuter
als die Athener jvor Thesen^, ohne Haupt, ohne Ordnung, geschlagen, geplündert,
zerrissen, jedem offen und vom Verderben in jeder Gestalt betroffen ist. Und wenn
sich auch neuerdings in dem oder jenem ein Anflug zeigte, nach dem man ver-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0295" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154460"/>
          <fw type="header" place="top"> Macchiavelli.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_887" prev="#ID_886"> Spiel. Die griechische, die punische Treue war im Altertum sprichwörtlich, die<lb/>
heutige Diplomatie der Orientalen kennt weder Wahrheit noch Recht, die Politik<lb/>
der Päpste ruhte lange vor der Gründung der Gesellschaft Jesu und der Ent¬<lb/>
wicklung der Moral derselben auf jesuitischen Grundsätzen und war unter<lb/>
Alexander dem Sechsten, dem Zeitgenossen Macchiavellis, die Arglist und Treu¬<lb/>
losigkeit selbst. Sie war der rücksichtsloseste Eigennutz, der vor keiner Täuschung,<lb/>
keinem Verbrechen zurttckscheute, und die kleinen und großen Nachbarfürsten ver¬<lb/>
fuhren mehr oder minder in gleicher Weise wie Alexander und sein ruchloser<lb/>
Sohn Cäsar Borgia. Recht und Ehre galten wenig, wenn es einen Zweck,<lb/>
einen Vorteil zu erreichen galt; man führte sie im Munde, man suchte den<lb/>
Schein zu wahren, als ob man sich von ihnen leiten ließe, man beachtete sie<lb/>
wirklich, wenn sie nur schmücken, nicht schaden konnten, stand aber keinen Augen¬<lb/>
blick an, sie zu verleugnen und zu verletzen, wenn es Nutzen verhieß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_888"> Italien befand sich damals in größter Zerrissenheit und Verwirrung, es<lb/>
war größtenteils in der Gewalt der Fremden, die als Barbaren erschienen.<lb/>
Die Patrioten des Landes sehnten sich nach Einheit und Befreiung unter einem<lb/>
klugen und energischen Fürsten, und Macchicwelli war ein glühender Patriot, dem<lb/>
jene Zwecke über alles gingen. Daß sein Buch dieselben verfolgt, daß es vor<lb/>
allen Dingen zu ihrer Erreichung beitragen, einem Fürsten Anweisung geben soll,<lb/>
sich die Macht zu verschaffen, ganz Italien zu einigen und es dann von den<lb/>
Fremden zu befreien, sagt er ausdrücklich selbst, und in dieser Absicht liegt die<lb/>
Hauptentschuldigung der Lehren, die es verkündigt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_889"> Der krwoixe ist dem Lorenzo von Medici gewidmet. Im letzten Ka¬<lb/>
pitel spricht der Verfasser die Hoffnung aus, die ihn bei der Niederschrift<lb/>
seiner Gedanken und bei der Widmung des kleinen Werkes geleitet hat.<lb/>
Der kalte Rechner verwandelt sich hier in einen begeisterten Redner, in einen<lb/>
von Vaterlandsliebe entflammten Propheten, seine Worte atmen brennende<lb/>
Sehnsucht, Morgenrot bestrahlt sie, indem sie sich zum Flug aus der Nacht<lb/>
beschwingen. Der scheinbar herzlose Mann der vorhergehenden Kapitel wird<lb/>
hier ganz Herz und Seele. Er sagt:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_890" next="#ID_891"> Betrachte ich um das oben Besprochene und prüfe ich, ob die gegenwärtigen<lb/>
Zeiten in Italien dazu angethan sind, einen neuen Fürsten zu bringen, und ob<lb/>
dort ein thatkräftiger Mann Gelegenheit fände, ihm eine neue Gestalt zu geben,<lb/>
die ihm Ruhm: und allen Bewohnern jenes Landes Wohlfahrt verschaffte, so will<lb/>
mir scheinen, als ob soviel Dinge zu Gunsten eines neuen Fürsten zusammen¬<lb/>
trafen, daß ich nicht weiß, welche Zeit sich je besser dazu geeignet hätte. . . . Sollte<lb/>
man die Kraft eines italienischen Geistes erkennen, so mußte Italien in den Zustand<lb/>
versetzt werden, in dem es sich heute befindet, wo es geknechteter als die Juden<lb/>
Im Ägyptens unterdrückter als die Perser pu der Jugendzeit des Cyrus^, zerstreuter<lb/>
als die Athener jvor Thesen^, ohne Haupt, ohne Ordnung, geschlagen, geplündert,<lb/>
zerrissen, jedem offen und vom Verderben in jeder Gestalt betroffen ist. Und wenn<lb/>
sich auch neuerdings in dem oder jenem ein Anflug zeigte, nach dem man ver-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0295] Macchiavelli. Spiel. Die griechische, die punische Treue war im Altertum sprichwörtlich, die heutige Diplomatie der Orientalen kennt weder Wahrheit noch Recht, die Politik der Päpste ruhte lange vor der Gründung der Gesellschaft Jesu und der Ent¬ wicklung der Moral derselben auf jesuitischen Grundsätzen und war unter Alexander dem Sechsten, dem Zeitgenossen Macchiavellis, die Arglist und Treu¬ losigkeit selbst. Sie war der rücksichtsloseste Eigennutz, der vor keiner Täuschung, keinem Verbrechen zurttckscheute, und die kleinen und großen Nachbarfürsten ver¬ fuhren mehr oder minder in gleicher Weise wie Alexander und sein ruchloser Sohn Cäsar Borgia. Recht und Ehre galten wenig, wenn es einen Zweck, einen Vorteil zu erreichen galt; man führte sie im Munde, man suchte den Schein zu wahren, als ob man sich von ihnen leiten ließe, man beachtete sie wirklich, wenn sie nur schmücken, nicht schaden konnten, stand aber keinen Augen¬ blick an, sie zu verleugnen und zu verletzen, wenn es Nutzen verhieß. Italien befand sich damals in größter Zerrissenheit und Verwirrung, es war größtenteils in der Gewalt der Fremden, die als Barbaren erschienen. Die Patrioten des Landes sehnten sich nach Einheit und Befreiung unter einem klugen und energischen Fürsten, und Macchicwelli war ein glühender Patriot, dem jene Zwecke über alles gingen. Daß sein Buch dieselben verfolgt, daß es vor allen Dingen zu ihrer Erreichung beitragen, einem Fürsten Anweisung geben soll, sich die Macht zu verschaffen, ganz Italien zu einigen und es dann von den Fremden zu befreien, sagt er ausdrücklich selbst, und in dieser Absicht liegt die Hauptentschuldigung der Lehren, die es verkündigt. Der krwoixe ist dem Lorenzo von Medici gewidmet. Im letzten Ka¬ pitel spricht der Verfasser die Hoffnung aus, die ihn bei der Niederschrift seiner Gedanken und bei der Widmung des kleinen Werkes geleitet hat. Der kalte Rechner verwandelt sich hier in einen begeisterten Redner, in einen von Vaterlandsliebe entflammten Propheten, seine Worte atmen brennende Sehnsucht, Morgenrot bestrahlt sie, indem sie sich zum Flug aus der Nacht beschwingen. Der scheinbar herzlose Mann der vorhergehenden Kapitel wird hier ganz Herz und Seele. Er sagt: Betrachte ich um das oben Besprochene und prüfe ich, ob die gegenwärtigen Zeiten in Italien dazu angethan sind, einen neuen Fürsten zu bringen, und ob dort ein thatkräftiger Mann Gelegenheit fände, ihm eine neue Gestalt zu geben, die ihm Ruhm: und allen Bewohnern jenes Landes Wohlfahrt verschaffte, so will mir scheinen, als ob soviel Dinge zu Gunsten eines neuen Fürsten zusammen¬ trafen, daß ich nicht weiß, welche Zeit sich je besser dazu geeignet hätte. . . . Sollte man die Kraft eines italienischen Geistes erkennen, so mußte Italien in den Zustand versetzt werden, in dem es sich heute befindet, wo es geknechteter als die Juden Im Ägyptens unterdrückter als die Perser pu der Jugendzeit des Cyrus^, zerstreuter als die Athener jvor Thesen^, ohne Haupt, ohne Ordnung, geschlagen, geplündert, zerrissen, jedem offen und vom Verderben in jeder Gestalt betroffen ist. Und wenn sich auch neuerdings in dem oder jenem ein Anflug zeigte, nach dem man ver-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/295
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/295>, abgerufen am 28.07.2024.