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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe,

und da sie den Geliebten gefunden:


Und dir kehrt neues Jugendglttck,
Deine Schalkheit kehret dir zurück;
Mit Necken und manchen Schelmereien
Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen u, s. w.

So schildert auch Proserpina die frohe Mädchenlust:


Gespielinnen,
Als jene blumenreichen Thäler
Für uns gesamt noch blühten,
Als an dem himmelklarcm Strom des Alpheus
Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten,
Einander Kränze wanden
Und heimlich an den Jüngling dachten,
Dessen Haupte unser Herz sie widmete --
Da war uus keine Nacht zu tief zum Schwätzen,
Keine Zeit zu lang,
Um freundliche Geschichten zu wiederholen,
Und die Sonne
Riß leichter nicht aus ihrem silberhelle
Sich auf, als wir voll Lust zu leben früh
Im Thau die Rosenfüße badeten.

Auch Mignon war wild und ungestüm gewesen und trug Knabenkleider, dann
wird sie allmählich weicher, weiblicher; sie sieht, wie ihr Vater und Meister
von Andern, Glücklicheren geliebt wird, muß ihm und allem Glück entsagen und
scheidet bald wie ein verklärter Engel. Über sie und ihren Tod schreibt Schiller
(an Goethe, Ur. 179): "Dieses Wesen, in seiner isolirten Gestalt, seiner geheim¬
nisvollen Existenz, seiner Reinheit und Unschuld repräsentirt die Stufe des Alters,
auf der es steht, so rein, es kann zu der reinsten Wehmut und zu einer wahr
menschlichen Trauer bewegen, weil sich nichts als die Menschheit in ihm dar¬
stellte."

Wie die Jungfrau zur Mutter, zur Herrin des Hauses, so wird der weit¬
greifende, von abstrakten Vorstellungen getriebene, erfahrungslose Jüngling zum
reiferen Manne, der sich selbst die Schranke setzt und innerhalb ihrer thätig
schafft und nützlich wirkt, bis ihn das steigende Greisenalter entkräftet und endlich
niederwirft. So spricht Orest von jener ersten Zeit:


Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg' und Thäler rannten und dereinst,
An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich
Mit Kent' und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften,
Und dann wir abends an der weiten See
Uns an einander lehnend ruhig saßen,
Die Wellen bis an unsre Füße spielten,

Gedanken über Goethe,

und da sie den Geliebten gefunden:


Und dir kehrt neues Jugendglttck,
Deine Schalkheit kehret dir zurück;
Mit Necken und manchen Schelmereien
Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen u, s. w.

So schildert auch Proserpina die frohe Mädchenlust:


Gespielinnen,
Als jene blumenreichen Thäler
Für uns gesamt noch blühten,
Als an dem himmelklarcm Strom des Alpheus
Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten,
Einander Kränze wanden
Und heimlich an den Jüngling dachten,
Dessen Haupte unser Herz sie widmete —
Da war uus keine Nacht zu tief zum Schwätzen,
Keine Zeit zu lang,
Um freundliche Geschichten zu wiederholen,
Und die Sonne
Riß leichter nicht aus ihrem silberhelle
Sich auf, als wir voll Lust zu leben früh
Im Thau die Rosenfüße badeten.

Auch Mignon war wild und ungestüm gewesen und trug Knabenkleider, dann
wird sie allmählich weicher, weiblicher; sie sieht, wie ihr Vater und Meister
von Andern, Glücklicheren geliebt wird, muß ihm und allem Glück entsagen und
scheidet bald wie ein verklärter Engel. Über sie und ihren Tod schreibt Schiller
(an Goethe, Ur. 179): „Dieses Wesen, in seiner isolirten Gestalt, seiner geheim¬
nisvollen Existenz, seiner Reinheit und Unschuld repräsentirt die Stufe des Alters,
auf der es steht, so rein, es kann zu der reinsten Wehmut und zu einer wahr
menschlichen Trauer bewegen, weil sich nichts als die Menschheit in ihm dar¬
stellte."

Wie die Jungfrau zur Mutter, zur Herrin des Hauses, so wird der weit¬
greifende, von abstrakten Vorstellungen getriebene, erfahrungslose Jüngling zum
reiferen Manne, der sich selbst die Schranke setzt und innerhalb ihrer thätig
schafft und nützlich wirkt, bis ihn das steigende Greisenalter entkräftet und endlich
niederwirft. So spricht Orest von jener ersten Zeit:


Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach
Durch Berg' und Thäler rannten und dereinst,
An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich
Mit Kent' und Schwert dem Ungeheuer so,
Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften,
Und dann wir abends an der weiten See
Uns an einander lehnend ruhig saßen,
Die Wellen bis an unsre Füße spielten,

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[0029] Gedanken über Goethe, und da sie den Geliebten gefunden: Und dir kehrt neues Jugendglttck, Deine Schalkheit kehret dir zurück; Mit Necken und manchen Schelmereien Wirst ihn bald nagen, bald erfreuen u, s. w. So schildert auch Proserpina die frohe Mädchenlust: Gespielinnen, Als jene blumenreichen Thäler Für uns gesamt noch blühten, Als an dem himmelklarcm Strom des Alpheus Wir plätschernd noch im Abendstrahle scherzten, Einander Kränze wanden Und heimlich an den Jüngling dachten, Dessen Haupte unser Herz sie widmete — Da war uus keine Nacht zu tief zum Schwätzen, Keine Zeit zu lang, Um freundliche Geschichten zu wiederholen, Und die Sonne Riß leichter nicht aus ihrem silberhelle Sich auf, als wir voll Lust zu leben früh Im Thau die Rosenfüße badeten. Auch Mignon war wild und ungestüm gewesen und trug Knabenkleider, dann wird sie allmählich weicher, weiblicher; sie sieht, wie ihr Vater und Meister von Andern, Glücklicheren geliebt wird, muß ihm und allem Glück entsagen und scheidet bald wie ein verklärter Engel. Über sie und ihren Tod schreibt Schiller (an Goethe, Ur. 179): „Dieses Wesen, in seiner isolirten Gestalt, seiner geheim¬ nisvollen Existenz, seiner Reinheit und Unschuld repräsentirt die Stufe des Alters, auf der es steht, so rein, es kann zu der reinsten Wehmut und zu einer wahr menschlichen Trauer bewegen, weil sich nichts als die Menschheit in ihm dar¬ stellte." Wie die Jungfrau zur Mutter, zur Herrin des Hauses, so wird der weit¬ greifende, von abstrakten Vorstellungen getriebene, erfahrungslose Jüngling zum reiferen Manne, der sich selbst die Schranke setzt und innerhalb ihrer thätig schafft und nützlich wirkt, bis ihn das steigende Greisenalter entkräftet und endlich niederwirft. So spricht Orest von jener ersten Zeit: Wenn wir zusammen oft dem Wilde nach Durch Berg' und Thäler rannten und dereinst, An Brust und Faust dem hohen Ahnherrn gleich Mit Kent' und Schwert dem Ungeheuer so, Dem Räuber auf der Spur zu jagen hofften, Und dann wir abends an der weiten See Uns an einander lehnend ruhig saßen, Die Wellen bis an unsre Füße spielten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/29>, abgerufen am 27.07.2024.