Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Gedanken über Goethe. Die Welt so weit, so offen vor uns lag -- aber Pylades, der heiter-verständige, dessen Blick mehr der Wirklichkeit des Unendlich ist das Werk, das zu vollführen Es ist tragisch, daß Achilleus, der stählerne Jüngling, sich nicht vollenden konnte, Daß die jüngere Wild, des wilden Zerstörens Begierde Auch das Alter hat noch seine schöne, milde Seite, wie der Abend, wenn Der Jüngling kämpft, damit der Greis genieße. Und der Letztere kommt dem Ersteren zu Hilfe, durch Rat und Maß und ivie eine Flamme, die aber wirken, schaffen kann auch der Greis, indem er jüngere Kräfte in seinen Gedanken über Goethe. Die Welt so weit, so offen vor uns lag — aber Pylades, der heiter-verständige, dessen Blick mehr der Wirklichkeit des Unendlich ist das Werk, das zu vollführen Es ist tragisch, daß Achilleus, der stählerne Jüngling, sich nicht vollenden konnte, Daß die jüngere Wild, des wilden Zerstörens Begierde Auch das Alter hat noch seine schöne, milde Seite, wie der Abend, wenn Der Jüngling kämpft, damit der Greis genieße. Und der Letztere kommt dem Ersteren zu Hilfe, durch Rat und Maß und ivie eine Flamme, die aber wirken, schaffen kann auch der Greis, indem er jüngere Kräfte in seinen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0030" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154195"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/> <quote> Die Welt so weit, so offen vor uns lag —<lb/> Da fuhr wohl Einer manchmal nach dem Schwert<lb/> Und künftge Thaten drangen wie die Sterne<lb/> Rings um uns her unzählig aus der Nacht —</quote><lb/> <p xml:id="ID_78" prev="#ID_77" next="#ID_79"> aber Pylades, der heiter-verständige, dessen Blick mehr der Wirklichkeit des<lb/> Lebens zugewandt und dessen Vorbild Odhsseus ist, erwiedert seinem Freunde:</p><lb/> <quote> Unendlich ist das Werk, das zu vollführen<lb/> Die Seele dringt. Wir möchten jede That<lb/> So groß gleich thun, als wie sie wächst und wird,<lb/> Wenn Jahre lang durch Länder und Geschlechter<lb/> Der Mund der Dichter sie vermehrend wälzt.<lb/> Es klingt so schön, was unsre Bäter thaten,<lb/> Wenn es in stillen Abendschatten ruhend<lb/> Der Jüngling mit dem Ton der Harfe schlürft,<lb/> Und was wir thun ist, wie es ihnen war,<lb/> Voll Müh und eitel Stückwerk!</quote><lb/> <p xml:id="ID_79" prev="#ID_78"> Es ist tragisch, daß Achilleus, der stählerne Jüngling, sich nicht vollenden konnte,<lb/> daß ihn der greise Nestor, dessen Geist rückwärts gewandt war, überleben mußte!<lb/> Und doch wäre ein Mann so nötig auf Erden, wie Pallas Athene in der<lb/> „Achilleis" klagt,</p><lb/> <quote> Daß die jüngere Wild, des wilden Zerstörens Begierde<lb/> Sich als mächtiger Sinn, als schaffender, endlich beweise,<lb/> Der die Ordnung bestimmt, nach welcher sich Tausende richten.<lb/> Nicht mehr gleicht der Vollendete dann dem stürmenden Ares,<lb/> Dem die Schlacht nur genügt, die männertötendc! Nein, er<lb/> Gleicht dem Kroniden selbst, von dem ausgehet die Wohlfahrt.<lb/> Städte zerstört er nicht mehr, er baut sie; fernem Gestade<lb/> Führt er den Überfluß der Bürger zu; Küsten und Syrien<lb/> Wimmeln von neuem Volk, des Raums und der Nahrung begierig.</quote><lb/> <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Auch das Alter hat noch seine schöne, milde Seite, wie der Abend, wenn<lb/> nach heißem Tage die Sonne sich dem Untergange zuneigt (Elpenor):</p><lb/> <quote> Der Jüngling kämpft, damit der Greis genieße.</quote><lb/> <p xml:id="ID_81" prev="#ID_80" next="#ID_82"> Und der Letztere kommt dem Ersteren zu Hilfe, durch Rat und Maß und<lb/> Weisheit. Zwar laufen die Jahre im Alter rascher als beim Eintritt ins<lb/> Leben, wo jeder Tag eine neue Entwicklung bringt (Elpenor):</p><lb/> <quote> ivie eine Flamme, die<lb/> Nun erst den Holzstoß recht ergriffen,<lb/> Verzehrt die Zeit das Alter schneller, als<lb/> Die Jugend,</quote><lb/> <p xml:id="ID_82" prev="#ID_81" next="#ID_83"> aber wirken, schaffen kann auch der Greis, indem er jüngere Kräfte in seinen<lb/> Dienst nimmt und sie mit weiterblickender Einsicht leitet. Was dem großen<lb/> Peliden vom Schicksal versagt war, Städte zu gründen, Dämme gegen die Flut<lb/> zu bauen, die Wasser zu- und abzulenken, die Sümpfe am Fuße des Gebirges</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0030]
Gedanken über Goethe.
Die Welt so weit, so offen vor uns lag —
Da fuhr wohl Einer manchmal nach dem Schwert
Und künftge Thaten drangen wie die Sterne
Rings um uns her unzählig aus der Nacht —
aber Pylades, der heiter-verständige, dessen Blick mehr der Wirklichkeit des
Lebens zugewandt und dessen Vorbild Odhsseus ist, erwiedert seinem Freunde:
Unendlich ist das Werk, das zu vollführen
Die Seele dringt. Wir möchten jede That
So groß gleich thun, als wie sie wächst und wird,
Wenn Jahre lang durch Länder und Geschlechter
Der Mund der Dichter sie vermehrend wälzt.
Es klingt so schön, was unsre Bäter thaten,
Wenn es in stillen Abendschatten ruhend
Der Jüngling mit dem Ton der Harfe schlürft,
Und was wir thun ist, wie es ihnen war,
Voll Müh und eitel Stückwerk!
Es ist tragisch, daß Achilleus, der stählerne Jüngling, sich nicht vollenden konnte,
daß ihn der greise Nestor, dessen Geist rückwärts gewandt war, überleben mußte!
Und doch wäre ein Mann so nötig auf Erden, wie Pallas Athene in der
„Achilleis" klagt,
Daß die jüngere Wild, des wilden Zerstörens Begierde
Sich als mächtiger Sinn, als schaffender, endlich beweise,
Der die Ordnung bestimmt, nach welcher sich Tausende richten.
Nicht mehr gleicht der Vollendete dann dem stürmenden Ares,
Dem die Schlacht nur genügt, die männertötendc! Nein, er
Gleicht dem Kroniden selbst, von dem ausgehet die Wohlfahrt.
Städte zerstört er nicht mehr, er baut sie; fernem Gestade
Führt er den Überfluß der Bürger zu; Küsten und Syrien
Wimmeln von neuem Volk, des Raums und der Nahrung begierig.
Auch das Alter hat noch seine schöne, milde Seite, wie der Abend, wenn
nach heißem Tage die Sonne sich dem Untergange zuneigt (Elpenor):
Der Jüngling kämpft, damit der Greis genieße.
Und der Letztere kommt dem Ersteren zu Hilfe, durch Rat und Maß und
Weisheit. Zwar laufen die Jahre im Alter rascher als beim Eintritt ins
Leben, wo jeder Tag eine neue Entwicklung bringt (Elpenor):
ivie eine Flamme, die
Nun erst den Holzstoß recht ergriffen,
Verzehrt die Zeit das Alter schneller, als
Die Jugend,
aber wirken, schaffen kann auch der Greis, indem er jüngere Kräfte in seinen
Dienst nimmt und sie mit weiterblickender Einsicht leitet. Was dem großen
Peliden vom Schicksal versagt war, Städte zu gründen, Dämme gegen die Flut
zu bauen, die Wasser zu- und abzulenken, die Sümpfe am Fuße des Gebirges
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