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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesco von Rimini.

Pfunden, daß er freudigst dem Antrag einer großen Leipziger Verlagsfirma folgte
und als deren Vertreter in New-Dorr eine Filiale begründete. Er ließ nur
selten von sich hören.

7. ^

Aber auch das Jahr rastloser und anregender Thätigkeit in München hatte
in Oswald die schmerzliche Erinnerung an die Berliner Zeit nicht getilgt. Wie
er sich auch bemühte, im Umgang mit dem Meister und den Genossen nichts
von seinem Seelenzustande merken zu lassen, nur allzusehr war der Zwang, den
er sich dabei auferlegte, für ihn fühlbar und für seine Umgebung nicht verborgen.
Aber da Oswald selbst sein Herz nicht öffnete, so wagte auch niemand nach
der Quelle seines Kummers zu forschen. Freilich waren auch die Berliner
Zeitungsnachrichten bis nach München gedrungen, obwohl die dortige Presse
den Klatsch nicht weiter verbreitete. Auch mied Oswald jeden Umgang mit
dem weiblichen Geschlecht, wie er auch den Geselligkeiten des Münchener
Künstlerkreises fernblieb. Als der Herbst wieder heranrückte, waren es seine
Münchener Freunde, die ihn zur Reise nach Italien aufforderten, und er gab
diesen Bitten nach, obwohl der innere Drang nach dem Lande der Schönheit
nicht mehr so mächtig war wie ehedem.

An einem schönen Herbsttage reiste Oswald von München ohne Aufenthalt
nach Franzensfeste; von dort bog er nach Toblcch in das Pusterthal ein und
begann dann seine Wanderung in dem Dolomiteuthal von Ampezzo. Er wanderte
über Schluderbach und Lander nach Cortine, bestieg den einen und den andern
Berg und fühlte, wie sein Herz bei dem Anblick der Bergriesen sich weidete und
eine versöhnende Ruhe in sein Gemüt zog. Am Abend des Tages, als er
in Cortina angekommen war, wanderte er hinauf auf eine Anhöhe, wo ein
Kruzifix, weithin sichtbar, die ganze Gegend überragte. Unter demselben lagerte
er sich und sah, wie die Abendsonne die roten Bergfelsen erglühen machte und
das einsame Thal mit ihren letzten Strahlen grüßte. Ein Gefühl des Abschiedes
war auch über ihn gekommen, ein mächtiges Sehnen nach dem Tode ergriff ihn,
ein Sehnen nach einem Ende in Frieden und nach ewiger Ruhe. Seine Stim¬
mung spiegelt sich in zwei Gedichten wieder, die er statt jeder weitern Nachricht
über sich seinem Freunde Alhöver nach München am nächsten Tage absandte,
nachdem er am frühen Morgen noch einmal die Stelle aufgesucht und bei der
veränderten Szenerie auch wieder neuen Mut gefunden hatte.


Im Anblick der Dolomiten.
Am Abend.
Ruhe herrscht überall,
Kein Schall ist zu erlauschen,
Nur des Bergwassers Rauschen
Tönt erbrausend im Fall.

Francesco von Rimini.

Pfunden, daß er freudigst dem Antrag einer großen Leipziger Verlagsfirma folgte
und als deren Vertreter in New-Dorr eine Filiale begründete. Er ließ nur
selten von sich hören.

7. ^

Aber auch das Jahr rastloser und anregender Thätigkeit in München hatte
in Oswald die schmerzliche Erinnerung an die Berliner Zeit nicht getilgt. Wie
er sich auch bemühte, im Umgang mit dem Meister und den Genossen nichts
von seinem Seelenzustande merken zu lassen, nur allzusehr war der Zwang, den
er sich dabei auferlegte, für ihn fühlbar und für seine Umgebung nicht verborgen.
Aber da Oswald selbst sein Herz nicht öffnete, so wagte auch niemand nach
der Quelle seines Kummers zu forschen. Freilich waren auch die Berliner
Zeitungsnachrichten bis nach München gedrungen, obwohl die dortige Presse
den Klatsch nicht weiter verbreitete. Auch mied Oswald jeden Umgang mit
dem weiblichen Geschlecht, wie er auch den Geselligkeiten des Münchener
Künstlerkreises fernblieb. Als der Herbst wieder heranrückte, waren es seine
Münchener Freunde, die ihn zur Reise nach Italien aufforderten, und er gab
diesen Bitten nach, obwohl der innere Drang nach dem Lande der Schönheit
nicht mehr so mächtig war wie ehedem.

An einem schönen Herbsttage reiste Oswald von München ohne Aufenthalt
nach Franzensfeste; von dort bog er nach Toblcch in das Pusterthal ein und
begann dann seine Wanderung in dem Dolomiteuthal von Ampezzo. Er wanderte
über Schluderbach und Lander nach Cortine, bestieg den einen und den andern
Berg und fühlte, wie sein Herz bei dem Anblick der Bergriesen sich weidete und
eine versöhnende Ruhe in sein Gemüt zog. Am Abend des Tages, als er
in Cortina angekommen war, wanderte er hinauf auf eine Anhöhe, wo ein
Kruzifix, weithin sichtbar, die ganze Gegend überragte. Unter demselben lagerte
er sich und sah, wie die Abendsonne die roten Bergfelsen erglühen machte und
das einsame Thal mit ihren letzten Strahlen grüßte. Ein Gefühl des Abschiedes
war auch über ihn gekommen, ein mächtiges Sehnen nach dem Tode ergriff ihn,
ein Sehnen nach einem Ende in Frieden und nach ewiger Ruhe. Seine Stim¬
mung spiegelt sich in zwei Gedichten wieder, die er statt jeder weitern Nachricht
über sich seinem Freunde Alhöver nach München am nächsten Tage absandte,
nachdem er am frühen Morgen noch einmal die Stelle aufgesucht und bei der
veränderten Szenerie auch wieder neuen Mut gefunden hatte.


Im Anblick der Dolomiten.
Am Abend.
Ruhe herrscht überall,
Kein Schall ist zu erlauschen,
Nur des Bergwassers Rauschen
Tönt erbrausend im Fall.

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[0270] Francesco von Rimini. Pfunden, daß er freudigst dem Antrag einer großen Leipziger Verlagsfirma folgte und als deren Vertreter in New-Dorr eine Filiale begründete. Er ließ nur selten von sich hören. 7. ^ Aber auch das Jahr rastloser und anregender Thätigkeit in München hatte in Oswald die schmerzliche Erinnerung an die Berliner Zeit nicht getilgt. Wie er sich auch bemühte, im Umgang mit dem Meister und den Genossen nichts von seinem Seelenzustande merken zu lassen, nur allzusehr war der Zwang, den er sich dabei auferlegte, für ihn fühlbar und für seine Umgebung nicht verborgen. Aber da Oswald selbst sein Herz nicht öffnete, so wagte auch niemand nach der Quelle seines Kummers zu forschen. Freilich waren auch die Berliner Zeitungsnachrichten bis nach München gedrungen, obwohl die dortige Presse den Klatsch nicht weiter verbreitete. Auch mied Oswald jeden Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, wie er auch den Geselligkeiten des Münchener Künstlerkreises fernblieb. Als der Herbst wieder heranrückte, waren es seine Münchener Freunde, die ihn zur Reise nach Italien aufforderten, und er gab diesen Bitten nach, obwohl der innere Drang nach dem Lande der Schönheit nicht mehr so mächtig war wie ehedem. An einem schönen Herbsttage reiste Oswald von München ohne Aufenthalt nach Franzensfeste; von dort bog er nach Toblcch in das Pusterthal ein und begann dann seine Wanderung in dem Dolomiteuthal von Ampezzo. Er wanderte über Schluderbach und Lander nach Cortine, bestieg den einen und den andern Berg und fühlte, wie sein Herz bei dem Anblick der Bergriesen sich weidete und eine versöhnende Ruhe in sein Gemüt zog. Am Abend des Tages, als er in Cortina angekommen war, wanderte er hinauf auf eine Anhöhe, wo ein Kruzifix, weithin sichtbar, die ganze Gegend überragte. Unter demselben lagerte er sich und sah, wie die Abendsonne die roten Bergfelsen erglühen machte und das einsame Thal mit ihren letzten Strahlen grüßte. Ein Gefühl des Abschiedes war auch über ihn gekommen, ein mächtiges Sehnen nach dem Tode ergriff ihn, ein Sehnen nach einem Ende in Frieden und nach ewiger Ruhe. Seine Stim¬ mung spiegelt sich in zwei Gedichten wieder, die er statt jeder weitern Nachricht über sich seinem Freunde Alhöver nach München am nächsten Tage absandte, nachdem er am frühen Morgen noch einmal die Stelle aufgesucht und bei der veränderten Szenerie auch wieder neuen Mut gefunden hatte. Im Anblick der Dolomiten. Am Abend. Ruhe herrscht überall, Kein Schall ist zu erlauschen, Nur des Bergwassers Rauschen Tönt erbrausend im Fall.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/270>, abgerufen am 28.07.2024.