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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Francesca von Rimini.

Geliebte, die der Freund des Herzens treulos verlassen hat. Hat Carlo Dolce
der göttlichen Fran seinen eignen menschlichen Schmerz ins Antlitz geprägt, mit
dieser Menschlichkeit das heiligste Gefühl durchtränkt, um es auch dem Un¬
gläubigsten menschlich näher zu bringen?

Mechanisch hatte Oswald den Kohlenstift in die Hand genommen und war
an die Mappe getreten, in welcher er die Photographien von Werken seiner
Lieblmgsmeistcr aufbewahrte. Obenauf lagen die Estherbilder von Paolo
Veronese aus S. Sebastians in Venedig. Oswald versenkte sich in deren An¬
schauen, und wie ihm die Lieblichkeit und kindliche Unschuld der schönen Nichte
des Mardochai entgegenstrahlte, da gedachte er der andern Tochter Judas, die
den Feind ihres Volkes nicht durch Liebe bekehrte, sondern mit blutigem Schwerte
unter der Maske heuchlerischer Liebe tötete. Ein Gedanke durchblitzte seine
Seele; er trat an die Staffelei und zeichnete die ersten Umrisse zu dem Bilde,
das -- wie eingangs geschildert -- in der diesjährigen Ausstellung so viele
Aufmerksamkeit erregte.

Es schien, als ob die Arbeit an diesem Bilde die einzige Lebensaufgabe
Oswalds wäre, er verschloß sich seinem Freundeskreise, und nur seinen alten
Akademiegenossen Harold Stolberg, der das ganze Liebesleid Oswalds von An¬
fang an mit Skepsis begleitet hatte, sah er zuweilen. Es traf sich aber auch,
daß Oswald mit seinem Bilde um den Michael Beerschen Preis konkurriren
konnte, der in diesem Jahre für einen Gegenstand aus dem alten Testament nach
der freien Wahl des Künstlers bestimmt war. Wie wir bereits erfahren, hatte
Oswald außer dem Preis noch die besondre Auszeichnung bei der Ausstellung
erhalten.

Oswald hatte ursprünglich die Absicht, ohne Aufenthalt nach Italien zu
reisen. Allein in München angekommen, konnte er es sich nicht versagen, die
Kunstschätze der Stadt und die Ateliers ihrer berühmtesten Meister aufzusuchen.
Das Urteil über Judith und Holofernes war bald auch an der Jsar bekannt
geworden, und Oswald fand in den dortigen Künstlerkreisen schnell die freund¬
lichste Aufnahme. Er traf auch einen Jugendfreund, Viktor Paul Alhöver, der
in dem Atelier Birotys arbeitete. Durch ihn trat Oswald diesem Meister näher,
der ihn bewog, wenigstens einige Monate bei ihm zu arbeiten und ihm an dem
großen Freskenchklns, der für das Münchener Kaufhaus bestimmt war, hilf¬
reiche Hand zu leisten. So blieb Oswald zunächst in München; sein Aufenthalt
währte fast ein Jahr, in welchem der Künstler ausschließlich seinem Berufe lebte
und nur im Umgang mit dem Meister und dem Freunde Erholung und
Trost suchte. Die Verbindung mit Berlin war so gut wie abgebrochen, ab und
zu erhielt er einen Brief von Harold, der die Verhältnisse aus dem Bekannten¬
kreise in seiner mephistophelischen Weise schilderte, sodaß Oswald nie wußte,
was an diesen Schilderungen Wahrheit und Dichtung war. Großheim hatte
einen so tiefen Ekel über das Treiben seiner Verwandten und ihrer Kreise em-


Francesca von Rimini.

Geliebte, die der Freund des Herzens treulos verlassen hat. Hat Carlo Dolce
der göttlichen Fran seinen eignen menschlichen Schmerz ins Antlitz geprägt, mit
dieser Menschlichkeit das heiligste Gefühl durchtränkt, um es auch dem Un¬
gläubigsten menschlich näher zu bringen?

Mechanisch hatte Oswald den Kohlenstift in die Hand genommen und war
an die Mappe getreten, in welcher er die Photographien von Werken seiner
Lieblmgsmeistcr aufbewahrte. Obenauf lagen die Estherbilder von Paolo
Veronese aus S. Sebastians in Venedig. Oswald versenkte sich in deren An¬
schauen, und wie ihm die Lieblichkeit und kindliche Unschuld der schönen Nichte
des Mardochai entgegenstrahlte, da gedachte er der andern Tochter Judas, die
den Feind ihres Volkes nicht durch Liebe bekehrte, sondern mit blutigem Schwerte
unter der Maske heuchlerischer Liebe tötete. Ein Gedanke durchblitzte seine
Seele; er trat an die Staffelei und zeichnete die ersten Umrisse zu dem Bilde,
das — wie eingangs geschildert — in der diesjährigen Ausstellung so viele
Aufmerksamkeit erregte.

Es schien, als ob die Arbeit an diesem Bilde die einzige Lebensaufgabe
Oswalds wäre, er verschloß sich seinem Freundeskreise, und nur seinen alten
Akademiegenossen Harold Stolberg, der das ganze Liebesleid Oswalds von An¬
fang an mit Skepsis begleitet hatte, sah er zuweilen. Es traf sich aber auch,
daß Oswald mit seinem Bilde um den Michael Beerschen Preis konkurriren
konnte, der in diesem Jahre für einen Gegenstand aus dem alten Testament nach
der freien Wahl des Künstlers bestimmt war. Wie wir bereits erfahren, hatte
Oswald außer dem Preis noch die besondre Auszeichnung bei der Ausstellung
erhalten.

Oswald hatte ursprünglich die Absicht, ohne Aufenthalt nach Italien zu
reisen. Allein in München angekommen, konnte er es sich nicht versagen, die
Kunstschätze der Stadt und die Ateliers ihrer berühmtesten Meister aufzusuchen.
Das Urteil über Judith und Holofernes war bald auch an der Jsar bekannt
geworden, und Oswald fand in den dortigen Künstlerkreisen schnell die freund¬
lichste Aufnahme. Er traf auch einen Jugendfreund, Viktor Paul Alhöver, der
in dem Atelier Birotys arbeitete. Durch ihn trat Oswald diesem Meister näher,
der ihn bewog, wenigstens einige Monate bei ihm zu arbeiten und ihm an dem
großen Freskenchklns, der für das Münchener Kaufhaus bestimmt war, hilf¬
reiche Hand zu leisten. So blieb Oswald zunächst in München; sein Aufenthalt
währte fast ein Jahr, in welchem der Künstler ausschließlich seinem Berufe lebte
und nur im Umgang mit dem Meister und dem Freunde Erholung und
Trost suchte. Die Verbindung mit Berlin war so gut wie abgebrochen, ab und
zu erhielt er einen Brief von Harold, der die Verhältnisse aus dem Bekannten¬
kreise in seiner mephistophelischen Weise schilderte, sodaß Oswald nie wußte,
was an diesen Schilderungen Wahrheit und Dichtung war. Großheim hatte
einen so tiefen Ekel über das Treiben seiner Verwandten und ihrer Kreise em-


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[0269] Francesca von Rimini. Geliebte, die der Freund des Herzens treulos verlassen hat. Hat Carlo Dolce der göttlichen Fran seinen eignen menschlichen Schmerz ins Antlitz geprägt, mit dieser Menschlichkeit das heiligste Gefühl durchtränkt, um es auch dem Un¬ gläubigsten menschlich näher zu bringen? Mechanisch hatte Oswald den Kohlenstift in die Hand genommen und war an die Mappe getreten, in welcher er die Photographien von Werken seiner Lieblmgsmeistcr aufbewahrte. Obenauf lagen die Estherbilder von Paolo Veronese aus S. Sebastians in Venedig. Oswald versenkte sich in deren An¬ schauen, und wie ihm die Lieblichkeit und kindliche Unschuld der schönen Nichte des Mardochai entgegenstrahlte, da gedachte er der andern Tochter Judas, die den Feind ihres Volkes nicht durch Liebe bekehrte, sondern mit blutigem Schwerte unter der Maske heuchlerischer Liebe tötete. Ein Gedanke durchblitzte seine Seele; er trat an die Staffelei und zeichnete die ersten Umrisse zu dem Bilde, das — wie eingangs geschildert — in der diesjährigen Ausstellung so viele Aufmerksamkeit erregte. Es schien, als ob die Arbeit an diesem Bilde die einzige Lebensaufgabe Oswalds wäre, er verschloß sich seinem Freundeskreise, und nur seinen alten Akademiegenossen Harold Stolberg, der das ganze Liebesleid Oswalds von An¬ fang an mit Skepsis begleitet hatte, sah er zuweilen. Es traf sich aber auch, daß Oswald mit seinem Bilde um den Michael Beerschen Preis konkurriren konnte, der in diesem Jahre für einen Gegenstand aus dem alten Testament nach der freien Wahl des Künstlers bestimmt war. Wie wir bereits erfahren, hatte Oswald außer dem Preis noch die besondre Auszeichnung bei der Ausstellung erhalten. Oswald hatte ursprünglich die Absicht, ohne Aufenthalt nach Italien zu reisen. Allein in München angekommen, konnte er es sich nicht versagen, die Kunstschätze der Stadt und die Ateliers ihrer berühmtesten Meister aufzusuchen. Das Urteil über Judith und Holofernes war bald auch an der Jsar bekannt geworden, und Oswald fand in den dortigen Künstlerkreisen schnell die freund¬ lichste Aufnahme. Er traf auch einen Jugendfreund, Viktor Paul Alhöver, der in dem Atelier Birotys arbeitete. Durch ihn trat Oswald diesem Meister näher, der ihn bewog, wenigstens einige Monate bei ihm zu arbeiten und ihm an dem großen Freskenchklns, der für das Münchener Kaufhaus bestimmt war, hilf¬ reiche Hand zu leisten. So blieb Oswald zunächst in München; sein Aufenthalt währte fast ein Jahr, in welchem der Künstler ausschließlich seinem Berufe lebte und nur im Umgang mit dem Meister und dem Freunde Erholung und Trost suchte. Die Verbindung mit Berlin war so gut wie abgebrochen, ab und zu erhielt er einen Brief von Harold, der die Verhältnisse aus dem Bekannten¬ kreise in seiner mephistophelischen Weise schilderte, sodaß Oswald nie wußte, was an diesen Schilderungen Wahrheit und Dichtung war. Großheim hatte einen so tiefen Ekel über das Treiben seiner Verwandten und ihrer Kreise em-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/269>, abgerufen am 28.07.2024.