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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

aus, wenn wir uns mit ihnen abgeben."*) Der Geliebten schreibt der Dichter
am 22. September 1781: "Christus hat Recht, uns auf die Kinder zu weisen:
von> ihnen kann man leben lernen und selig werden," und so nahm er den
jüngsten Sohn derselben, Fritz von Stein, zu sich, erzog und belehrte ihn in
Spiel und Ernst, auf Reisen, mitten unter seinen Arbeiten, und entließ ihn
endlich in die Fremde, auch dann noch in Briefen und Ratschlägen um ihn
besorgt, und so zeichnete er im Elpenor den aus dem Knaben werdenden Jüng¬
ling mit sicherer und dennoch künstlerisch milder, ausgleichender Hand. Elpenor
steht eben auf dem Punkte, wo das Kraftgefühl sich regt, das bisherige Kind
den Armen der Pflegerin und Mutter, der weiblichen Obhut sich entwindet. Er
begehrt nach der Waffe, dem Roß, er betritt voll Erwartung und Selbstgefühl
den Weg des Lebens, noch sind seine Wünsche kindisch, mancher gute Spruch
soll ihn wie ein sittlicher Talisman geleiten und behüten, z. B.:


Die Götter geben dir Gelegenheit
Und hohen Sinn, das Rühmliche
Von dem Gerühmten rein zu unterscheiden --

oder:


Beleid'ge nicht das Glück durch Thorheit, Übermut,
Der Jugend Fehler wohl begünstigt es,
Doch mit den Jahren fordcrts mehr --

oder:


Der beste Rat ist, folge gutem Rat
Und laß das Alter dir ehrwürdig sein.

Da die Tragödie nicht vollendet ist, so wissen wir nicht, welches Geschick ihm
bevorstand; vielleicht war es so traurig, wie das des Elpenor bei Homer, der
in demselben Alter stand, in dessen Namen schon die Hoffnung, die sich erfüllen
und nicht erfüllen kann, d. h. nach antiker Weise die Besorgnis ausgedrückt ist,
und der dem Dichter vielleicht vorschwebte:


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(Aber es war ein Elpenor, noch jugendlich, noch nicht bei Kräften,
Stand zu halten im Kampf, noch nicht selbständig im Geiste.)

Eilt ähnliches Bild des aufstrebenden Jünglings gewährt der Rciterjunge Georg
im "Götz von Verlichingen": er legt heimlich die Rüstung des Erwachsenen an,
"ach der er Sehnsucht trägt, wie der Knabe Elpenor nach dem Bogen und
Kocher, die an dem hohen Pfeiler hingen; er steht neben Götz wie im griechischen



") Gleich schön, aber in einem etwas andern Sinne schrieb Knebel der Frau vou Stein:
"In unserm Alter (er war 73 Jahre alt, sie um zwei Jahre älter) sollte man immer Kinder,
und womöglich seine eignen, um sich haben. Man überliefert ihnen auf diese Weise gleichsam
sein eignes Leben. So hat es die Natur geordnet, die uns in unsern Kindern unsre Fort¬
dauer sichtbar macht."
Grenzboten IV. 1833. 3
Gedanken über Goethe.

aus, wenn wir uns mit ihnen abgeben."*) Der Geliebten schreibt der Dichter
am 22. September 1781: „Christus hat Recht, uns auf die Kinder zu weisen:
von> ihnen kann man leben lernen und selig werden," und so nahm er den
jüngsten Sohn derselben, Fritz von Stein, zu sich, erzog und belehrte ihn in
Spiel und Ernst, auf Reisen, mitten unter seinen Arbeiten, und entließ ihn
endlich in die Fremde, auch dann noch in Briefen und Ratschlägen um ihn
besorgt, und so zeichnete er im Elpenor den aus dem Knaben werdenden Jüng¬
ling mit sicherer und dennoch künstlerisch milder, ausgleichender Hand. Elpenor
steht eben auf dem Punkte, wo das Kraftgefühl sich regt, das bisherige Kind
den Armen der Pflegerin und Mutter, der weiblichen Obhut sich entwindet. Er
begehrt nach der Waffe, dem Roß, er betritt voll Erwartung und Selbstgefühl
den Weg des Lebens, noch sind seine Wünsche kindisch, mancher gute Spruch
soll ihn wie ein sittlicher Talisman geleiten und behüten, z. B.:


Die Götter geben dir Gelegenheit
Und hohen Sinn, das Rühmliche
Von dem Gerühmten rein zu unterscheiden —

oder:


Beleid'ge nicht das Glück durch Thorheit, Übermut,
Der Jugend Fehler wohl begünstigt es,
Doch mit den Jahren fordcrts mehr —

oder:


Der beste Rat ist, folge gutem Rat
Und laß das Alter dir ehrwürdig sein.

Da die Tragödie nicht vollendet ist, so wissen wir nicht, welches Geschick ihm
bevorstand; vielleicht war es so traurig, wie das des Elpenor bei Homer, der
in demselben Alter stand, in dessen Namen schon die Hoffnung, die sich erfüllen
und nicht erfüllen kann, d. h. nach antiker Weise die Besorgnis ausgedrückt ist,
und der dem Dichter vielleicht vorschwebte:


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(Aber es war ein Elpenor, noch jugendlich, noch nicht bei Kräften,
Stand zu halten im Kampf, noch nicht selbständig im Geiste.)

Eilt ähnliches Bild des aufstrebenden Jünglings gewährt der Rciterjunge Georg
im „Götz von Verlichingen": er legt heimlich die Rüstung des Erwachsenen an,
»ach der er Sehnsucht trägt, wie der Knabe Elpenor nach dem Bogen und
Kocher, die an dem hohen Pfeiler hingen; er steht neben Götz wie im griechischen



») Gleich schön, aber in einem etwas andern Sinne schrieb Knebel der Frau vou Stein:
„In unserm Alter (er war 73 Jahre alt, sie um zwei Jahre älter) sollte man immer Kinder,
und womöglich seine eignen, um sich haben. Man überliefert ihnen auf diese Weise gleichsam
sein eignes Leben. So hat es die Natur geordnet, die uns in unsern Kindern unsre Fort¬
dauer sichtbar macht."
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[0027] Gedanken über Goethe. aus, wenn wir uns mit ihnen abgeben."*) Der Geliebten schreibt der Dichter am 22. September 1781: „Christus hat Recht, uns auf die Kinder zu weisen: von> ihnen kann man leben lernen und selig werden," und so nahm er den jüngsten Sohn derselben, Fritz von Stein, zu sich, erzog und belehrte ihn in Spiel und Ernst, auf Reisen, mitten unter seinen Arbeiten, und entließ ihn endlich in die Fremde, auch dann noch in Briefen und Ratschlägen um ihn besorgt, und so zeichnete er im Elpenor den aus dem Knaben werdenden Jüng¬ ling mit sicherer und dennoch künstlerisch milder, ausgleichender Hand. Elpenor steht eben auf dem Punkte, wo das Kraftgefühl sich regt, das bisherige Kind den Armen der Pflegerin und Mutter, der weiblichen Obhut sich entwindet. Er begehrt nach der Waffe, dem Roß, er betritt voll Erwartung und Selbstgefühl den Weg des Lebens, noch sind seine Wünsche kindisch, mancher gute Spruch soll ihn wie ein sittlicher Talisman geleiten und behüten, z. B.: Die Götter geben dir Gelegenheit Und hohen Sinn, das Rühmliche Von dem Gerühmten rein zu unterscheiden — oder: Beleid'ge nicht das Glück durch Thorheit, Übermut, Der Jugend Fehler wohl begünstigt es, Doch mit den Jahren fordcrts mehr — oder: Der beste Rat ist, folge gutem Rat Und laß das Alter dir ehrwürdig sein. Da die Tragödie nicht vollendet ist, so wissen wir nicht, welches Geschick ihm bevorstand; vielleicht war es so traurig, wie das des Elpenor bei Homer, der in demselben Alter stand, in dessen Namen schon die Hoffnung, die sich erfüllen und nicht erfüllen kann, d. h. nach antiker Weise die Besorgnis ausgedrückt ist, und der dem Dichter vielleicht vorschwebte: 'ZÄ?r^a)^ ^ »>«<»r«roh, ovo^ ^/»^ u^xt^nos ?ro^/t<Z), o^?e Ho^eotv ^s-v a^»?^«x. (Aber es war ein Elpenor, noch jugendlich, noch nicht bei Kräften, Stand zu halten im Kampf, noch nicht selbständig im Geiste.) Eilt ähnliches Bild des aufstrebenden Jünglings gewährt der Rciterjunge Georg im „Götz von Verlichingen": er legt heimlich die Rüstung des Erwachsenen an, »ach der er Sehnsucht trägt, wie der Knabe Elpenor nach dem Bogen und Kocher, die an dem hohen Pfeiler hingen; er steht neben Götz wie im griechischen ») Gleich schön, aber in einem etwas andern Sinne schrieb Knebel der Frau vou Stein: „In unserm Alter (er war 73 Jahre alt, sie um zwei Jahre älter) sollte man immer Kinder, und womöglich seine eignen, um sich haben. Man überliefert ihnen auf diese Weise gleichsam sein eignes Leben. So hat es die Natur geordnet, die uns in unsern Kindern unsre Fort¬ dauer sichtbar macht." Grenzboten IV. 1833. 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/27>, abgerufen am 01.09.2024.