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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Litt Reichsmonopol ans Getreide-"Anfuhr,

Warum wohl? Die einen meinen, der Zoll sei lediglich zu niedrig, die andern
halten das Mittel überhaupt für verfehlt.

Werfen wir deshalb zunächst -- so oft auch diese Angelegenheit schon er¬
örtert worden sein mag -- einen kurzeu Blick auf die Frage, ob künstliche Mittel
zum Schutze der inländischen Produktion überhaupt als zulässig zu erachten sind.
Die Vertreter des Freihandels sagen uns, aus dem freien Spiele der Kräfte
müsse sich die richtige Gestaltung der Dinge von selbst ergeben. Hiergegen läßt
sich auch garnichts einwenden. Es ist nicht zu leugnen, daß beim unbeein-
flnßten Walten der einander widerstreitenden Kräfte sich derjenige Zustand
ergeben muß, der den Naturgesetzen am meisten entspricht. Auf unsern konkreten
Fall angewendet, heißt das aber einfach, daß unter den Ländern der Erde ein
jedes wirtschaftlich denjenigen Rang einnehmen muß, zu welchem es vermöge
seiner natürlichen Hilfsmittel berechtigt ist, daß also Deutschland mit seinem
ausgesogenen Ackerlande u. s. w. zurückstehen muß hinter Nordamerika und vielen
andern Ländern, die auf fast jungfräulichen Boden die reichsten Ernten unter
unglaublich geringem Aufwands zu Produziren vermögen. Wohl wird sich auch
hier mit der Zeit wieder ein Ausgleich vollziehen, indem die Länder, welche
heute so billig Produziren, bei dem Raubbau, den sie treiben, nicht imstande
sein werden, die Fülle ihrer Produktionsfähigkeit nachhaltig zu bewahren. Aber
es liegt auf der Hand, daß es lächerlich fein würde, diesen Ausgleich abwarten
zu wollen. Wer sonach nicht wünscht, Deutschland auf der niedrigen wirtschaft¬
lichen Rangstufe zu sehen, welche seinen relativ geringen natürlichen Hilfsmitteln
entsprechen würde, muß künstliche Mittel zur Erhaltung der wirtschaftlichen
Selbständigkeit und zur Hebung des Nationalwohlstandes im Prinzip gutheißen.

Nehmen wir nun als erwiesen an, daß die deutsche Getreideproduktion
einer künstlichen Aushilfe bedürftig sei, wozu die bisherigen Zölle als unzu¬
reichend erscheinen, und gleicherweise, daß weitere Mittel zu diesem Zwecke sich
rechtfertigen lassen, so bleibt noch zu erörtern, ob eine^ günstigere Wirkung von
einer mehr oder minder großen Erhöhung des Zolles zu erwarten sein würde,
oder ob es nicht vielleicht zweckmäßig sein würde, anderweitige Schutzmaßregeln
ins Auge zu fassen.

Jedenfalls ist nicht zu bezweifeln, daß eine bedeutende Erhöhung der Ge¬
treidezölle die unnatürlich gesteigerte Einfuhr vorerst lahmlegen würde, was eine
Erhöhung der Getreidepreise im Gefolge haben müßte. Die Nachhaltigkeit dieser
Wirkung wird indessen von den Gegnern der Zölle bestritten. Man behauptet,
die inländischen Getreidepreise würden in einem solchen Falle rasch zu einer
Höhe emporgetrieben werden, welche das ausländische Getreide, ungeachtet des
Zolles, wieder konkurrenzfähig machen würde; dadurch würde aber das alte
Sachverhältnis wiederhergestellt werden. Letzteres ist nun durchaus nicht ein¬
leuchtend. Es ist keineswegs gleichgiltig, ob der inländische Prodnzent"nur bei
hohen oder auch bei niedrigen Preisen sich mit der ausländischen Konkurrenz zu


Litt Reichsmonopol ans Getreide-«Anfuhr,

Warum wohl? Die einen meinen, der Zoll sei lediglich zu niedrig, die andern
halten das Mittel überhaupt für verfehlt.

Werfen wir deshalb zunächst — so oft auch diese Angelegenheit schon er¬
örtert worden sein mag — einen kurzeu Blick auf die Frage, ob künstliche Mittel
zum Schutze der inländischen Produktion überhaupt als zulässig zu erachten sind.
Die Vertreter des Freihandels sagen uns, aus dem freien Spiele der Kräfte
müsse sich die richtige Gestaltung der Dinge von selbst ergeben. Hiergegen läßt
sich auch garnichts einwenden. Es ist nicht zu leugnen, daß beim unbeein-
flnßten Walten der einander widerstreitenden Kräfte sich derjenige Zustand
ergeben muß, der den Naturgesetzen am meisten entspricht. Auf unsern konkreten
Fall angewendet, heißt das aber einfach, daß unter den Ländern der Erde ein
jedes wirtschaftlich denjenigen Rang einnehmen muß, zu welchem es vermöge
seiner natürlichen Hilfsmittel berechtigt ist, daß also Deutschland mit seinem
ausgesogenen Ackerlande u. s. w. zurückstehen muß hinter Nordamerika und vielen
andern Ländern, die auf fast jungfräulichen Boden die reichsten Ernten unter
unglaublich geringem Aufwands zu Produziren vermögen. Wohl wird sich auch
hier mit der Zeit wieder ein Ausgleich vollziehen, indem die Länder, welche
heute so billig Produziren, bei dem Raubbau, den sie treiben, nicht imstande
sein werden, die Fülle ihrer Produktionsfähigkeit nachhaltig zu bewahren. Aber
es liegt auf der Hand, daß es lächerlich fein würde, diesen Ausgleich abwarten
zu wollen. Wer sonach nicht wünscht, Deutschland auf der niedrigen wirtschaft¬
lichen Rangstufe zu sehen, welche seinen relativ geringen natürlichen Hilfsmitteln
entsprechen würde, muß künstliche Mittel zur Erhaltung der wirtschaftlichen
Selbständigkeit und zur Hebung des Nationalwohlstandes im Prinzip gutheißen.

Nehmen wir nun als erwiesen an, daß die deutsche Getreideproduktion
einer künstlichen Aushilfe bedürftig sei, wozu die bisherigen Zölle als unzu¬
reichend erscheinen, und gleicherweise, daß weitere Mittel zu diesem Zwecke sich
rechtfertigen lassen, so bleibt noch zu erörtern, ob eine^ günstigere Wirkung von
einer mehr oder minder großen Erhöhung des Zolles zu erwarten sein würde,
oder ob es nicht vielleicht zweckmäßig sein würde, anderweitige Schutzmaßregeln
ins Auge zu fassen.

Jedenfalls ist nicht zu bezweifeln, daß eine bedeutende Erhöhung der Ge¬
treidezölle die unnatürlich gesteigerte Einfuhr vorerst lahmlegen würde, was eine
Erhöhung der Getreidepreise im Gefolge haben müßte. Die Nachhaltigkeit dieser
Wirkung wird indessen von den Gegnern der Zölle bestritten. Man behauptet,
die inländischen Getreidepreise würden in einem solchen Falle rasch zu einer
Höhe emporgetrieben werden, welche das ausländische Getreide, ungeachtet des
Zolles, wieder konkurrenzfähig machen würde; dadurch würde aber das alte
Sachverhältnis wiederhergestellt werden. Letzteres ist nun durchaus nicht ein¬
leuchtend. Es ist keineswegs gleichgiltig, ob der inländische Prodnzent"nur bei
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[0239] Litt Reichsmonopol ans Getreide-«Anfuhr, Warum wohl? Die einen meinen, der Zoll sei lediglich zu niedrig, die andern halten das Mittel überhaupt für verfehlt. Werfen wir deshalb zunächst — so oft auch diese Angelegenheit schon er¬ örtert worden sein mag — einen kurzeu Blick auf die Frage, ob künstliche Mittel zum Schutze der inländischen Produktion überhaupt als zulässig zu erachten sind. Die Vertreter des Freihandels sagen uns, aus dem freien Spiele der Kräfte müsse sich die richtige Gestaltung der Dinge von selbst ergeben. Hiergegen läßt sich auch garnichts einwenden. Es ist nicht zu leugnen, daß beim unbeein- flnßten Walten der einander widerstreitenden Kräfte sich derjenige Zustand ergeben muß, der den Naturgesetzen am meisten entspricht. Auf unsern konkreten Fall angewendet, heißt das aber einfach, daß unter den Ländern der Erde ein jedes wirtschaftlich denjenigen Rang einnehmen muß, zu welchem es vermöge seiner natürlichen Hilfsmittel berechtigt ist, daß also Deutschland mit seinem ausgesogenen Ackerlande u. s. w. zurückstehen muß hinter Nordamerika und vielen andern Ländern, die auf fast jungfräulichen Boden die reichsten Ernten unter unglaublich geringem Aufwands zu Produziren vermögen. Wohl wird sich auch hier mit der Zeit wieder ein Ausgleich vollziehen, indem die Länder, welche heute so billig Produziren, bei dem Raubbau, den sie treiben, nicht imstande sein werden, die Fülle ihrer Produktionsfähigkeit nachhaltig zu bewahren. Aber es liegt auf der Hand, daß es lächerlich fein würde, diesen Ausgleich abwarten zu wollen. Wer sonach nicht wünscht, Deutschland auf der niedrigen wirtschaft¬ lichen Rangstufe zu sehen, welche seinen relativ geringen natürlichen Hilfsmitteln entsprechen würde, muß künstliche Mittel zur Erhaltung der wirtschaftlichen Selbständigkeit und zur Hebung des Nationalwohlstandes im Prinzip gutheißen. Nehmen wir nun als erwiesen an, daß die deutsche Getreideproduktion einer künstlichen Aushilfe bedürftig sei, wozu die bisherigen Zölle als unzu¬ reichend erscheinen, und gleicherweise, daß weitere Mittel zu diesem Zwecke sich rechtfertigen lassen, so bleibt noch zu erörtern, ob eine^ günstigere Wirkung von einer mehr oder minder großen Erhöhung des Zolles zu erwarten sein würde, oder ob es nicht vielleicht zweckmäßig sein würde, anderweitige Schutzmaßregeln ins Auge zu fassen. Jedenfalls ist nicht zu bezweifeln, daß eine bedeutende Erhöhung der Ge¬ treidezölle die unnatürlich gesteigerte Einfuhr vorerst lahmlegen würde, was eine Erhöhung der Getreidepreise im Gefolge haben müßte. Die Nachhaltigkeit dieser Wirkung wird indessen von den Gegnern der Zölle bestritten. Man behauptet, die inländischen Getreidepreise würden in einem solchen Falle rasch zu einer Höhe emporgetrieben werden, welche das ausländische Getreide, ungeachtet des Zolles, wieder konkurrenzfähig machen würde; dadurch würde aber das alte Sachverhältnis wiederhergestellt werden. Letzteres ist nun durchaus nicht ein¬ leuchtend. Es ist keineswegs gleichgiltig, ob der inländische Prodnzent"nur bei hohen oder auch bei niedrigen Preisen sich mit der ausländischen Konkurrenz zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/239>, abgerufen am 27.07.2024.