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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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große Vorteile erreichten. Aber ein solcher Rat müßte schweren Bedenken unter¬
liegen. Man könnte doch nur die Absicht im Auge haben, durch Verkauf der
überschüssigen Handelsgewächse an das Ausland die Summen zurückzuerhalten,
welche alljährlich durch den Ankauf von Getreide dem Auslande zuwandern.
Nun hat aber auf dem Weltmarkte die Nachfrage nach den sogenannten Han¬
delsgewächsen ihre natürlichen Grenzen, und man kann nicht eben sagen, daß
das Angebot unter den heutigen Verhältnissen dieser Nachfrage nicht genügte.
Würden etwa zwei Dritteile*) des bisher dem Körnerbau gewidmeten Landes
in Deutschland dem Bau von Hnndelsgewcichsen zugewendet, so würde hierdurch
das Angebot solcher Erzeugnisse auf dem Weltmärkte schon um ein beträchtliches
steigen. Die Preise müßten weichen, und Deutschland wäre mit seinen Hcmdels-
gewnchsen wieder in derselben Lage wie jetzt mit seinem Getreide, d. h. es könnte
bei den niedrigen Preisen nicht bestehen, weil es teurer produzirt als die meisten
Länder des Auslandes. Schon hieraus geht hervor, daß das Aufgeben der
Getreideprvduktivn zu Gunsten des Baues von Handelsgewächsen, so lohnend
es für den einzelnen, ja selbst für einzelne Gegenden sein mag, als eine ganz
verfehlte Spekulation betrachtet werden müßte, wenn es für ganz Deutschland
zur Durchführung kommen sollte. Aber anch politische Bedenken fallen ins
Gewicht. Ein Land darf sich mir dann allenfalls außer stand setzen, die zur
eignen Ernährung notwendigen Früchte wenigstens zum größten Teil auch ans
eignem Boden zu Produziren, wenn es ausgedehnte Kolonien besitzt, aus denen
es jederzeit der nötigen Zufuhr gewiß sein darf, sowie eine ungeheure Seemacht,
die unter allen Umständen in der Lage ist, den Verkehr mit den Kolonien zu
sichern. England konnte seinerzeit dem Kontinentalsystem zur Not trotzen, und
Napoleon mußte sich in den Hoffnungen, die er auf sei" Dekret vom 21, No¬
vember 1806 setzte, getäuscht sehen. Deutschland würde sich unter ähnlichen Um¬
ständen, sofern es auf Zufuhr von außen angewiesen wäre, in schwierigerer
Lage befinden, und wenn auch nicht bezweifelt werden soll, daß es sich schlie߬
lich noch Rat schaffen würde, so dürfen doch die Gefahren eines solchen Falles
nicht zu niedrig angeschlagen werden, sondern wir müssen uns vielmehr der An¬
sicht zuneigen, daß das Abgehen vom Getreidebau, auch vom politischen Stand¬
punkte aus, sich für Deutschland als ein nationales Unglück darstellen würde.

Wenn nun eine wesentliche Verminderung der inländischen Körnerproduktivn
als höchst verwerflich erscheinen muß, so wird man alle erlaubten Mittel auf¬
bieten müssen, um die deutsche Landwirtschaft vom Verlassen des Getreidebaues
abzuhalten, was eben nnr durch eine thatkräftige Förderung des letzteren ge¬
schehen kann. Die Versuche, welche man in dieser Richtung durch Einführung
unsrer gegenwärtigen Getreidezölle gemacht hat, haben sich bisher nicht bewährt.



") Es wird hier angenommen, daß der inländische Landwirt wenigstens seinen Hans'
bedars an Getreide immer noch selbst bauen würde.

große Vorteile erreichten. Aber ein solcher Rat müßte schweren Bedenken unter¬
liegen. Man könnte doch nur die Absicht im Auge haben, durch Verkauf der
überschüssigen Handelsgewächse an das Ausland die Summen zurückzuerhalten,
welche alljährlich durch den Ankauf von Getreide dem Auslande zuwandern.
Nun hat aber auf dem Weltmarkte die Nachfrage nach den sogenannten Han¬
delsgewächsen ihre natürlichen Grenzen, und man kann nicht eben sagen, daß
das Angebot unter den heutigen Verhältnissen dieser Nachfrage nicht genügte.
Würden etwa zwei Dritteile*) des bisher dem Körnerbau gewidmeten Landes
in Deutschland dem Bau von Hnndelsgewcichsen zugewendet, so würde hierdurch
das Angebot solcher Erzeugnisse auf dem Weltmärkte schon um ein beträchtliches
steigen. Die Preise müßten weichen, und Deutschland wäre mit seinen Hcmdels-
gewnchsen wieder in derselben Lage wie jetzt mit seinem Getreide, d. h. es könnte
bei den niedrigen Preisen nicht bestehen, weil es teurer produzirt als die meisten
Länder des Auslandes. Schon hieraus geht hervor, daß das Aufgeben der
Getreideprvduktivn zu Gunsten des Baues von Handelsgewächsen, so lohnend
es für den einzelnen, ja selbst für einzelne Gegenden sein mag, als eine ganz
verfehlte Spekulation betrachtet werden müßte, wenn es für ganz Deutschland
zur Durchführung kommen sollte. Aber anch politische Bedenken fallen ins
Gewicht. Ein Land darf sich mir dann allenfalls außer stand setzen, die zur
eignen Ernährung notwendigen Früchte wenigstens zum größten Teil auch ans
eignem Boden zu Produziren, wenn es ausgedehnte Kolonien besitzt, aus denen
es jederzeit der nötigen Zufuhr gewiß sein darf, sowie eine ungeheure Seemacht,
die unter allen Umständen in der Lage ist, den Verkehr mit den Kolonien zu
sichern. England konnte seinerzeit dem Kontinentalsystem zur Not trotzen, und
Napoleon mußte sich in den Hoffnungen, die er auf sei» Dekret vom 21, No¬
vember 1806 setzte, getäuscht sehen. Deutschland würde sich unter ähnlichen Um¬
ständen, sofern es auf Zufuhr von außen angewiesen wäre, in schwierigerer
Lage befinden, und wenn auch nicht bezweifelt werden soll, daß es sich schlie߬
lich noch Rat schaffen würde, so dürfen doch die Gefahren eines solchen Falles
nicht zu niedrig angeschlagen werden, sondern wir müssen uns vielmehr der An¬
sicht zuneigen, daß das Abgehen vom Getreidebau, auch vom politischen Stand¬
punkte aus, sich für Deutschland als ein nationales Unglück darstellen würde.

Wenn nun eine wesentliche Verminderung der inländischen Körnerproduktivn
als höchst verwerflich erscheinen muß, so wird man alle erlaubten Mittel auf¬
bieten müssen, um die deutsche Landwirtschaft vom Verlassen des Getreidebaues
abzuhalten, was eben nnr durch eine thatkräftige Förderung des letzteren ge¬
schehen kann. Die Versuche, welche man in dieser Richtung durch Einführung
unsrer gegenwärtigen Getreidezölle gemacht hat, haben sich bisher nicht bewährt.



") Es wird hier angenommen, daß der inländische Landwirt wenigstens seinen Hans'
bedars an Getreide immer noch selbst bauen würde.
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[0238] große Vorteile erreichten. Aber ein solcher Rat müßte schweren Bedenken unter¬ liegen. Man könnte doch nur die Absicht im Auge haben, durch Verkauf der überschüssigen Handelsgewächse an das Ausland die Summen zurückzuerhalten, welche alljährlich durch den Ankauf von Getreide dem Auslande zuwandern. Nun hat aber auf dem Weltmarkte die Nachfrage nach den sogenannten Han¬ delsgewächsen ihre natürlichen Grenzen, und man kann nicht eben sagen, daß das Angebot unter den heutigen Verhältnissen dieser Nachfrage nicht genügte. Würden etwa zwei Dritteile*) des bisher dem Körnerbau gewidmeten Landes in Deutschland dem Bau von Hnndelsgewcichsen zugewendet, so würde hierdurch das Angebot solcher Erzeugnisse auf dem Weltmärkte schon um ein beträchtliches steigen. Die Preise müßten weichen, und Deutschland wäre mit seinen Hcmdels- gewnchsen wieder in derselben Lage wie jetzt mit seinem Getreide, d. h. es könnte bei den niedrigen Preisen nicht bestehen, weil es teurer produzirt als die meisten Länder des Auslandes. Schon hieraus geht hervor, daß das Aufgeben der Getreideprvduktivn zu Gunsten des Baues von Handelsgewächsen, so lohnend es für den einzelnen, ja selbst für einzelne Gegenden sein mag, als eine ganz verfehlte Spekulation betrachtet werden müßte, wenn es für ganz Deutschland zur Durchführung kommen sollte. Aber anch politische Bedenken fallen ins Gewicht. Ein Land darf sich mir dann allenfalls außer stand setzen, die zur eignen Ernährung notwendigen Früchte wenigstens zum größten Teil auch ans eignem Boden zu Produziren, wenn es ausgedehnte Kolonien besitzt, aus denen es jederzeit der nötigen Zufuhr gewiß sein darf, sowie eine ungeheure Seemacht, die unter allen Umständen in der Lage ist, den Verkehr mit den Kolonien zu sichern. England konnte seinerzeit dem Kontinentalsystem zur Not trotzen, und Napoleon mußte sich in den Hoffnungen, die er auf sei» Dekret vom 21, No¬ vember 1806 setzte, getäuscht sehen. Deutschland würde sich unter ähnlichen Um¬ ständen, sofern es auf Zufuhr von außen angewiesen wäre, in schwierigerer Lage befinden, und wenn auch nicht bezweifelt werden soll, daß es sich schlie߬ lich noch Rat schaffen würde, so dürfen doch die Gefahren eines solchen Falles nicht zu niedrig angeschlagen werden, sondern wir müssen uns vielmehr der An¬ sicht zuneigen, daß das Abgehen vom Getreidebau, auch vom politischen Stand¬ punkte aus, sich für Deutschland als ein nationales Unglück darstellen würde. Wenn nun eine wesentliche Verminderung der inländischen Körnerproduktivn als höchst verwerflich erscheinen muß, so wird man alle erlaubten Mittel auf¬ bieten müssen, um die deutsche Landwirtschaft vom Verlassen des Getreidebaues abzuhalten, was eben nnr durch eine thatkräftige Förderung des letzteren ge¬ schehen kann. Die Versuche, welche man in dieser Richtung durch Einführung unsrer gegenwärtigen Getreidezölle gemacht hat, haben sich bisher nicht bewährt. ") Es wird hier angenommen, daß der inländische Landwirt wenigstens seinen Hans' bedars an Getreide immer noch selbst bauen würde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/238>, abgerufen am 27.07.2024.