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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Levin Schücking.

dem Lebenskreise der Dichterin machte sich Schücking den ganzen Schatz von
Überlieferungen und Erinnerungen zu eigen, welcher aus dem ehemaligen
Münsterschen Staate stammte. Geschichte, Sage, Natur, Sitte, Volksart der
engern Heimat, mit der das ehemalige Kurköln und der ganze Komplex jener
kleinen geistlichen und weltlichen Staaten in Verbindung und Bezug gestanden
hatten, die hier im Nordwestwinkel des Reiches die bunte Mannichfaltigkeit
des Südwestens wieder holten, gaben ihm Eindrücke, welche für seine literarischen
Anfänge ausreichten und welche sich auch in der Folge stärker und nachhaltiger
erwiesen, als alle spätern Anschauungen, die er erwarb.

Schücking, der das Mißgeschick gehabt, seine hochbegabte Mutter Katharina
Schücking (Annette Drostes Freundin) früh zu verlieren, studirte die Rechte und
bereitete sich auf das juristische Examen vor. Da ward er, weil der Teil des
Münsterlandes, in dem seine Wiege gestanden, bei der großen Teilung zu An¬
fang des Jahrhunderts nicht mit an Preußen, sondern zuerst an Arenberg und
danach an Hannover gefallen war, zurückgewiesen. Ob die Entscheidung un¬
abwendbar gewesen wäre, läßt sich nicht sagen. Dem jungen für die Literatur
schwärmenden und die Freiheit einer rein literarischen Laufbahn ersehnenden
Manne gab sie einen willkommenen Vorwand, seinen Entschluß als eine" not¬
gedrungenen und unabwendbaren anzusehen. Mit Erzählungen, Gedichten und
mit dem Buche "Das malerische Westfalen" (einer Abteilung des unter dem
geschmacklosen Titel "Das malerische und romantische Deutschland" damals in
Leipzig erscheinenden, mit schauderhaften Stahlstichen verzierten Werkes) debütirte
er. Die poetische Jugend Schückings fiel nun in die Tage des jungen Deutsch¬
lands. Die geistigen Elemente, welche in dieser Zeit die herrschenden waren,
schienen gar keine Mischung mit jenen Elementen zuzulassen, welche Schücking
von Haus aus mitbrachte. Doch gab es eine gewisse Vermittlung und Ver¬
bindung: zahlreiche Glieder auch der westfälischen Aristokratie hatten der Auf¬
klärung des achtzehnten Jahrhunderts nahe gestanden und die französische Bildung
der Encyclopädistentage hatte auch im gläubigen katholischen Boden des Münster¬
landes Wurzel gefaßt. Eine bewegliche Natur wie die Schückings konnte manche
Widersprüche mit einander versöhnen und vermitteln. Seine nächsten Um¬
gebungen, namentlich die treubesorgte poetische Freundin, waren inzwischen bemüht,
ihn durch allerhand Auskunftsmittel vom Betreten der Schriftstellerlaufbahu
(der Journalistik namentlich) zurückzuhalten.

Schücking übernahm denn auch willig eine Art von Bibliothekarstellung auf dem
Schlosse Meersburg am Bodensee, wo er in der Bibliothek des gelehrten Freiherrn
Josef von Laßberg sich mit Leben und Literatur des deutschen Mittelalters
vertrauter machte, als er es bis dahin gewesen war, und darnach die Würde
eines Erziehers der beiden Söhne des Fürsten Wrede. Er trat in beiden
Stellungen immerhin ganz andern Lebenskreisen näher, als diejenigen waren,
welche die "Literaten" der dreißiger und vierziger Jahre mit ausgesprochener


Levin Schücking.

dem Lebenskreise der Dichterin machte sich Schücking den ganzen Schatz von
Überlieferungen und Erinnerungen zu eigen, welcher aus dem ehemaligen
Münsterschen Staate stammte. Geschichte, Sage, Natur, Sitte, Volksart der
engern Heimat, mit der das ehemalige Kurköln und der ganze Komplex jener
kleinen geistlichen und weltlichen Staaten in Verbindung und Bezug gestanden
hatten, die hier im Nordwestwinkel des Reiches die bunte Mannichfaltigkeit
des Südwestens wieder holten, gaben ihm Eindrücke, welche für seine literarischen
Anfänge ausreichten und welche sich auch in der Folge stärker und nachhaltiger
erwiesen, als alle spätern Anschauungen, die er erwarb.

Schücking, der das Mißgeschick gehabt, seine hochbegabte Mutter Katharina
Schücking (Annette Drostes Freundin) früh zu verlieren, studirte die Rechte und
bereitete sich auf das juristische Examen vor. Da ward er, weil der Teil des
Münsterlandes, in dem seine Wiege gestanden, bei der großen Teilung zu An¬
fang des Jahrhunderts nicht mit an Preußen, sondern zuerst an Arenberg und
danach an Hannover gefallen war, zurückgewiesen. Ob die Entscheidung un¬
abwendbar gewesen wäre, läßt sich nicht sagen. Dem jungen für die Literatur
schwärmenden und die Freiheit einer rein literarischen Laufbahn ersehnenden
Manne gab sie einen willkommenen Vorwand, seinen Entschluß als eine» not¬
gedrungenen und unabwendbaren anzusehen. Mit Erzählungen, Gedichten und
mit dem Buche „Das malerische Westfalen" (einer Abteilung des unter dem
geschmacklosen Titel „Das malerische und romantische Deutschland" damals in
Leipzig erscheinenden, mit schauderhaften Stahlstichen verzierten Werkes) debütirte
er. Die poetische Jugend Schückings fiel nun in die Tage des jungen Deutsch¬
lands. Die geistigen Elemente, welche in dieser Zeit die herrschenden waren,
schienen gar keine Mischung mit jenen Elementen zuzulassen, welche Schücking
von Haus aus mitbrachte. Doch gab es eine gewisse Vermittlung und Ver¬
bindung: zahlreiche Glieder auch der westfälischen Aristokratie hatten der Auf¬
klärung des achtzehnten Jahrhunderts nahe gestanden und die französische Bildung
der Encyclopädistentage hatte auch im gläubigen katholischen Boden des Münster¬
landes Wurzel gefaßt. Eine bewegliche Natur wie die Schückings konnte manche
Widersprüche mit einander versöhnen und vermitteln. Seine nächsten Um¬
gebungen, namentlich die treubesorgte poetische Freundin, waren inzwischen bemüht,
ihn durch allerhand Auskunftsmittel vom Betreten der Schriftstellerlaufbahu
(der Journalistik namentlich) zurückzuhalten.

Schücking übernahm denn auch willig eine Art von Bibliothekarstellung auf dem
Schlosse Meersburg am Bodensee, wo er in der Bibliothek des gelehrten Freiherrn
Josef von Laßberg sich mit Leben und Literatur des deutschen Mittelalters
vertrauter machte, als er es bis dahin gewesen war, und darnach die Würde
eines Erziehers der beiden Söhne des Fürsten Wrede. Er trat in beiden
Stellungen immerhin ganz andern Lebenskreisen näher, als diejenigen waren,
welche die „Literaten" der dreißiger und vierziger Jahre mit ausgesprochener


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[0197] Levin Schücking. dem Lebenskreise der Dichterin machte sich Schücking den ganzen Schatz von Überlieferungen und Erinnerungen zu eigen, welcher aus dem ehemaligen Münsterschen Staate stammte. Geschichte, Sage, Natur, Sitte, Volksart der engern Heimat, mit der das ehemalige Kurköln und der ganze Komplex jener kleinen geistlichen und weltlichen Staaten in Verbindung und Bezug gestanden hatten, die hier im Nordwestwinkel des Reiches die bunte Mannichfaltigkeit des Südwestens wieder holten, gaben ihm Eindrücke, welche für seine literarischen Anfänge ausreichten und welche sich auch in der Folge stärker und nachhaltiger erwiesen, als alle spätern Anschauungen, die er erwarb. Schücking, der das Mißgeschick gehabt, seine hochbegabte Mutter Katharina Schücking (Annette Drostes Freundin) früh zu verlieren, studirte die Rechte und bereitete sich auf das juristische Examen vor. Da ward er, weil der Teil des Münsterlandes, in dem seine Wiege gestanden, bei der großen Teilung zu An¬ fang des Jahrhunderts nicht mit an Preußen, sondern zuerst an Arenberg und danach an Hannover gefallen war, zurückgewiesen. Ob die Entscheidung un¬ abwendbar gewesen wäre, läßt sich nicht sagen. Dem jungen für die Literatur schwärmenden und die Freiheit einer rein literarischen Laufbahn ersehnenden Manne gab sie einen willkommenen Vorwand, seinen Entschluß als eine» not¬ gedrungenen und unabwendbaren anzusehen. Mit Erzählungen, Gedichten und mit dem Buche „Das malerische Westfalen" (einer Abteilung des unter dem geschmacklosen Titel „Das malerische und romantische Deutschland" damals in Leipzig erscheinenden, mit schauderhaften Stahlstichen verzierten Werkes) debütirte er. Die poetische Jugend Schückings fiel nun in die Tage des jungen Deutsch¬ lands. Die geistigen Elemente, welche in dieser Zeit die herrschenden waren, schienen gar keine Mischung mit jenen Elementen zuzulassen, welche Schücking von Haus aus mitbrachte. Doch gab es eine gewisse Vermittlung und Ver¬ bindung: zahlreiche Glieder auch der westfälischen Aristokratie hatten der Auf¬ klärung des achtzehnten Jahrhunderts nahe gestanden und die französische Bildung der Encyclopädistentage hatte auch im gläubigen katholischen Boden des Münster¬ landes Wurzel gefaßt. Eine bewegliche Natur wie die Schückings konnte manche Widersprüche mit einander versöhnen und vermitteln. Seine nächsten Um¬ gebungen, namentlich die treubesorgte poetische Freundin, waren inzwischen bemüht, ihn durch allerhand Auskunftsmittel vom Betreten der Schriftstellerlaufbahu (der Journalistik namentlich) zurückzuhalten. Schücking übernahm denn auch willig eine Art von Bibliothekarstellung auf dem Schlosse Meersburg am Bodensee, wo er in der Bibliothek des gelehrten Freiherrn Josef von Laßberg sich mit Leben und Literatur des deutschen Mittelalters vertrauter machte, als er es bis dahin gewesen war, und darnach die Würde eines Erziehers der beiden Söhne des Fürsten Wrede. Er trat in beiden Stellungen immerhin ganz andern Lebenskreisen näher, als diejenigen waren, welche die „Literaten" der dreißiger und vierziger Jahre mit ausgesprochener

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/197>, abgerufen am 28.07.2024.