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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Levin Schücking.

kämpfe gedrängt wurde." Levin Schücking stand, wie die neuern französischen
Autoren, die Hillebrand hier im Sinne hat, in der Mitte zwischen den poetischen
Künstlern und der großen Menge bloßer Unterhaltungsschriftsteller, welche in
hergebrachten Formen, mit überlieferten Mitteln arbeiten und deren Erzählungen
namentlich jenem Spiele mit bunten Glasstücken gleichen, die geschüttelt und
in immer neuen Verbindungen vor das Auge gebracht werden. Die reine willen¬
lose Anschauung war bei Schücking nicht dürftig, aber er ließ sich allerdings
dnrch die Forderungen des Tages oft genug von ihr hinwegdrängen. Und es
gelang ihm nicht, in einigen größern, wahrhaft vertieften und ausgereiften Werken
seine Besonderheit scharf und rein von der Mehrzahl scheinbar Gleichstrebendcr
abzuheben. Vom großen Publikum ist Unterscheidung garnicht zu erwarten, wir
sind überzeugt, daß Schücking zum weitaus größten Teile Leser gehabt hat, die
seinen Romanen und Erzählungen den Platz neben den plattesten und alltäg¬
lichsten Unterhaltungsschriftstellern anwiesen und niemals merkten, daß in diese"
Gebilden eine reichere Anschauung, ein vornehmerer Geist enthalten waren. In
Frankreich und England sind dergleichen Schriftsteller häufiger und in gewissem
Sinne besser am Platze als bei uns. Auch die Gebildetsten verzeihen es dort
leichter, wenn sich eine poetische Natur nicht zur höchsten Wirkung und jenen
Schöpfungen konzentrirt, welche die Bürgschaft der Dauer in sich tragen. Auf
der andern Seite wissen sie Unterschiede zu machen und Belletristen, die Geist,
poetische Anlagen und eigentümliche Lebensanschauungen besitzen, von bloßen
Buchmachern, die den schlechten Instinkten der Halbbildung und flachen Zer-
streuungssucht dienen, wohl zu trennen.

Levin Schückings Eigenart wurzelte zum guten Teil in dem Boden, dem
er entstammte. Da die obenerwähnten Erinnerungen jedenfalls bald als
selbständiges Buch erscheinen werden, so können hier wenige Andeutungen ge¬
nügen. Der Schriftsteller war am 6. September 1814 zu Klemenswerth in
der Nähe von Meppen geboren. Zur Zeit seiner Geburt war die neue Ver¬
teilung des alten Münsterlandes bereits eine definitive, aber das Gefühl ursprüng¬
licher Zusammengehörigkeit lebte in den Bewohnern des ehemaligen Bistums,
eines der wenigen geistlichen Staaten des alten Reiches, die eine bedeutende
und im ganzen nicht ungewöhnliche Geschichte hatten, entschieden noch fort.
Beziehungen und Verbindungen seiner Eltern wiesen nach Münster, wo er das
Gymnasium besuchte und von wo aus er häufig nach Ruschhaus, dem Sitz
der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, kam. Von seiner Knabenzeit an
und bis zu ihrem Tode im Jahre 1848 blieb er mit dieser hervorragendsten
und originellsten aller deutscher Dichterinnen in sehr intimer Verbindung. Das
kleine biographische Denkmal, das er ihr gestiftet, gehört zu Schückings besten
literarische" Arbeiten und ist an frischer Wiedergabe der persönlichen Erscheinung
und feinsinniger Würdigung der Begabung Annettcns von den ausgeführteren
Lebensbildern weder erreicht noch übertroffen worden. Im Elternhause wie in


Levin Schücking.

kämpfe gedrängt wurde." Levin Schücking stand, wie die neuern französischen
Autoren, die Hillebrand hier im Sinne hat, in der Mitte zwischen den poetischen
Künstlern und der großen Menge bloßer Unterhaltungsschriftsteller, welche in
hergebrachten Formen, mit überlieferten Mitteln arbeiten und deren Erzählungen
namentlich jenem Spiele mit bunten Glasstücken gleichen, die geschüttelt und
in immer neuen Verbindungen vor das Auge gebracht werden. Die reine willen¬
lose Anschauung war bei Schücking nicht dürftig, aber er ließ sich allerdings
dnrch die Forderungen des Tages oft genug von ihr hinwegdrängen. Und es
gelang ihm nicht, in einigen größern, wahrhaft vertieften und ausgereiften Werken
seine Besonderheit scharf und rein von der Mehrzahl scheinbar Gleichstrebendcr
abzuheben. Vom großen Publikum ist Unterscheidung garnicht zu erwarten, wir
sind überzeugt, daß Schücking zum weitaus größten Teile Leser gehabt hat, die
seinen Romanen und Erzählungen den Platz neben den plattesten und alltäg¬
lichsten Unterhaltungsschriftstellern anwiesen und niemals merkten, daß in diese»
Gebilden eine reichere Anschauung, ein vornehmerer Geist enthalten waren. In
Frankreich und England sind dergleichen Schriftsteller häufiger und in gewissem
Sinne besser am Platze als bei uns. Auch die Gebildetsten verzeihen es dort
leichter, wenn sich eine poetische Natur nicht zur höchsten Wirkung und jenen
Schöpfungen konzentrirt, welche die Bürgschaft der Dauer in sich tragen. Auf
der andern Seite wissen sie Unterschiede zu machen und Belletristen, die Geist,
poetische Anlagen und eigentümliche Lebensanschauungen besitzen, von bloßen
Buchmachern, die den schlechten Instinkten der Halbbildung und flachen Zer-
streuungssucht dienen, wohl zu trennen.

Levin Schückings Eigenart wurzelte zum guten Teil in dem Boden, dem
er entstammte. Da die obenerwähnten Erinnerungen jedenfalls bald als
selbständiges Buch erscheinen werden, so können hier wenige Andeutungen ge¬
nügen. Der Schriftsteller war am 6. September 1814 zu Klemenswerth in
der Nähe von Meppen geboren. Zur Zeit seiner Geburt war die neue Ver¬
teilung des alten Münsterlandes bereits eine definitive, aber das Gefühl ursprüng¬
licher Zusammengehörigkeit lebte in den Bewohnern des ehemaligen Bistums,
eines der wenigen geistlichen Staaten des alten Reiches, die eine bedeutende
und im ganzen nicht ungewöhnliche Geschichte hatten, entschieden noch fort.
Beziehungen und Verbindungen seiner Eltern wiesen nach Münster, wo er das
Gymnasium besuchte und von wo aus er häufig nach Ruschhaus, dem Sitz
der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, kam. Von seiner Knabenzeit an
und bis zu ihrem Tode im Jahre 1848 blieb er mit dieser hervorragendsten
und originellsten aller deutscher Dichterinnen in sehr intimer Verbindung. Das
kleine biographische Denkmal, das er ihr gestiftet, gehört zu Schückings besten
literarische» Arbeiten und ist an frischer Wiedergabe der persönlichen Erscheinung
und feinsinniger Würdigung der Begabung Annettcns von den ausgeführteren
Lebensbildern weder erreicht noch übertroffen worden. Im Elternhause wie in


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[0196] Levin Schücking. kämpfe gedrängt wurde." Levin Schücking stand, wie die neuern französischen Autoren, die Hillebrand hier im Sinne hat, in der Mitte zwischen den poetischen Künstlern und der großen Menge bloßer Unterhaltungsschriftsteller, welche in hergebrachten Formen, mit überlieferten Mitteln arbeiten und deren Erzählungen namentlich jenem Spiele mit bunten Glasstücken gleichen, die geschüttelt und in immer neuen Verbindungen vor das Auge gebracht werden. Die reine willen¬ lose Anschauung war bei Schücking nicht dürftig, aber er ließ sich allerdings dnrch die Forderungen des Tages oft genug von ihr hinwegdrängen. Und es gelang ihm nicht, in einigen größern, wahrhaft vertieften und ausgereiften Werken seine Besonderheit scharf und rein von der Mehrzahl scheinbar Gleichstrebendcr abzuheben. Vom großen Publikum ist Unterscheidung garnicht zu erwarten, wir sind überzeugt, daß Schücking zum weitaus größten Teile Leser gehabt hat, die seinen Romanen und Erzählungen den Platz neben den plattesten und alltäg¬ lichsten Unterhaltungsschriftstellern anwiesen und niemals merkten, daß in diese» Gebilden eine reichere Anschauung, ein vornehmerer Geist enthalten waren. In Frankreich und England sind dergleichen Schriftsteller häufiger und in gewissem Sinne besser am Platze als bei uns. Auch die Gebildetsten verzeihen es dort leichter, wenn sich eine poetische Natur nicht zur höchsten Wirkung und jenen Schöpfungen konzentrirt, welche die Bürgschaft der Dauer in sich tragen. Auf der andern Seite wissen sie Unterschiede zu machen und Belletristen, die Geist, poetische Anlagen und eigentümliche Lebensanschauungen besitzen, von bloßen Buchmachern, die den schlechten Instinkten der Halbbildung und flachen Zer- streuungssucht dienen, wohl zu trennen. Levin Schückings Eigenart wurzelte zum guten Teil in dem Boden, dem er entstammte. Da die obenerwähnten Erinnerungen jedenfalls bald als selbständiges Buch erscheinen werden, so können hier wenige Andeutungen ge¬ nügen. Der Schriftsteller war am 6. September 1814 zu Klemenswerth in der Nähe von Meppen geboren. Zur Zeit seiner Geburt war die neue Ver¬ teilung des alten Münsterlandes bereits eine definitive, aber das Gefühl ursprüng¬ licher Zusammengehörigkeit lebte in den Bewohnern des ehemaligen Bistums, eines der wenigen geistlichen Staaten des alten Reiches, die eine bedeutende und im ganzen nicht ungewöhnliche Geschichte hatten, entschieden noch fort. Beziehungen und Verbindungen seiner Eltern wiesen nach Münster, wo er das Gymnasium besuchte und von wo aus er häufig nach Ruschhaus, dem Sitz der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, kam. Von seiner Knabenzeit an und bis zu ihrem Tode im Jahre 1848 blieb er mit dieser hervorragendsten und originellsten aller deutscher Dichterinnen in sehr intimer Verbindung. Das kleine biographische Denkmal, das er ihr gestiftet, gehört zu Schückings besten literarische» Arbeiten und ist an frischer Wiedergabe der persönlichen Erscheinung und feinsinniger Würdigung der Begabung Annettcns von den ausgeführteren Lebensbildern weder erreicht noch übertroffen worden. Im Elternhause wie in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/196>, abgerufen am 27.07.2024.