Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Levin Schücking.

nur ein "Belletrist," ein Schriftsteller für den Tagesbedarf. Wenn er etwas
wußte und gelernt hatte, um so schlimmer für ihn. Die Formen, in denen sein
reich genährter Geist, sein Wissen sich aussprach, waren unzünstige. Unter den
Männern der "Berufsliteratur" aber blieb Schücking, trotz des Respekts, den
er einflößte, immer isolirt. Er war eine zu vornehm angelegte Natur, um mit
der Masse unsrer Belletristen und Journalisten übereinzustimmen. Er gehörte,
trotz seiner mnuuichfachen Verbindungen mit sehr verschiedenartigen Kreisen,
niemals einer literarischen Klique an. Dieselbe tiefere Bildung, die in den Augen
gewisser Privatdozenten neuesten Stiles als absolut unzulänglich und wertlos
galt, war großen Gruppen der literarischen Berufsgenossen höchst unbequem. Sie
legte ihm selbst und andern Verpflichtungen ans, welche den Leuten, die mehr
auf hohen Lohn als auf gute Leistungen sehen, immer höchst unbequem blieben.
So galt Schücking längst, ehe er die Grenze des Alters erreicht hatte, gewisser¬
maßen für eine veraltete Berühmtheit.

Doch selbst hiermit ist die Summe der Gründe nicht erschöpft, die diesem
Schriftsteller eine Zwischenstellung anwiesen. Denn auch diejenigen, welche ein
lebendiges Interesse an ihm hegten und gar wohl wußten, daß er wirkliches
Talent, eine umfassende Bildung, seltene Kenntnis eigentümlicher Lebensverhält-
nisse und Menschencharakterc, eine ehrenhafte und lautere Gesinnung besaß, waren
der Fülle seiner Arbeiten gegenüber keineswegs immer in der Lage, sich daran
zu erfreuen und rückhaltlos zu genießen. Schücking war zwar eine dichterische
Natur, und seinen besten Schriften fehlt ein Hauch echt poetischer Stimmung,
Poetischen Empfindens nicht. Gewisse Partien seiner Romane, namentlich einzelne
Anfänge, entfalten eine Kraft und Plastik der Gestaltung, welche viel mehr
erwarten und hoffen läßt, als die Durchführung leistet. Die Kraft Schückings
gehörte zu den Kräften, welche selten konzentrirt wurden, der moderne Fluch
allzuhastigcr Produktion lag auch über ihm, obschon, soviel wir scheu können,
ihn, den ernsthaften Westfalen, das äußere Bedürfnis und das Verlangen nach
Luxus oder Genuß, nicht in der Weise beherrscht und gespornt haben, wie
so viele andre Talente der Zeit. Karl Hillebraud sagt in jeuer vortrefflichen
Charakteristik der französischen Literatur und Gesellschaftszustände, welche dem
zweiten Bande seiner "Geschichte Frankreichs von der Thronbesteigung Louis Phi¬
lipps bis zum Falle Napoleons III." vorausgeht, ein Wort, welches ohne weiteres
auf unsern Autor Anwendung leidet. "Ist es immer schwer, die Linie zu ziehen,
welche die Erzeugnisse reinen Geschäftssinnes zur Befriedigung des Uuterhcil-
tungsbedürfnisses von den Werken trennt, wo sich schon eine künstlerische Absicht
zugesellt, so war es schwerer als je bei der ungeheuern Produktion einer Zeit,
in welcher Gutes und Böses so nahe beisammen lag, sich so oft gegenseitig
durchdrang, eines Geschlechtes, das zugleich so Hohes erstrebte und sich von so
niederem hinreißen ließ, dem es so schwer gemacht war, der reinen willenlosen
Anschauung zu leben, das immer und immer wieder zur Teilnahme am Tages-


Grenzbotcn IV. 1883. 24
Levin Schücking.

nur ein „Belletrist," ein Schriftsteller für den Tagesbedarf. Wenn er etwas
wußte und gelernt hatte, um so schlimmer für ihn. Die Formen, in denen sein
reich genährter Geist, sein Wissen sich aussprach, waren unzünstige. Unter den
Männern der „Berufsliteratur" aber blieb Schücking, trotz des Respekts, den
er einflößte, immer isolirt. Er war eine zu vornehm angelegte Natur, um mit
der Masse unsrer Belletristen und Journalisten übereinzustimmen. Er gehörte,
trotz seiner mnuuichfachen Verbindungen mit sehr verschiedenartigen Kreisen,
niemals einer literarischen Klique an. Dieselbe tiefere Bildung, die in den Augen
gewisser Privatdozenten neuesten Stiles als absolut unzulänglich und wertlos
galt, war großen Gruppen der literarischen Berufsgenossen höchst unbequem. Sie
legte ihm selbst und andern Verpflichtungen ans, welche den Leuten, die mehr
auf hohen Lohn als auf gute Leistungen sehen, immer höchst unbequem blieben.
So galt Schücking längst, ehe er die Grenze des Alters erreicht hatte, gewisser¬
maßen für eine veraltete Berühmtheit.

Doch selbst hiermit ist die Summe der Gründe nicht erschöpft, die diesem
Schriftsteller eine Zwischenstellung anwiesen. Denn auch diejenigen, welche ein
lebendiges Interesse an ihm hegten und gar wohl wußten, daß er wirkliches
Talent, eine umfassende Bildung, seltene Kenntnis eigentümlicher Lebensverhält-
nisse und Menschencharakterc, eine ehrenhafte und lautere Gesinnung besaß, waren
der Fülle seiner Arbeiten gegenüber keineswegs immer in der Lage, sich daran
zu erfreuen und rückhaltlos zu genießen. Schücking war zwar eine dichterische
Natur, und seinen besten Schriften fehlt ein Hauch echt poetischer Stimmung,
Poetischen Empfindens nicht. Gewisse Partien seiner Romane, namentlich einzelne
Anfänge, entfalten eine Kraft und Plastik der Gestaltung, welche viel mehr
erwarten und hoffen läßt, als die Durchführung leistet. Die Kraft Schückings
gehörte zu den Kräften, welche selten konzentrirt wurden, der moderne Fluch
allzuhastigcr Produktion lag auch über ihm, obschon, soviel wir scheu können,
ihn, den ernsthaften Westfalen, das äußere Bedürfnis und das Verlangen nach
Luxus oder Genuß, nicht in der Weise beherrscht und gespornt haben, wie
so viele andre Talente der Zeit. Karl Hillebraud sagt in jeuer vortrefflichen
Charakteristik der französischen Literatur und Gesellschaftszustände, welche dem
zweiten Bande seiner „Geschichte Frankreichs von der Thronbesteigung Louis Phi¬
lipps bis zum Falle Napoleons III." vorausgeht, ein Wort, welches ohne weiteres
auf unsern Autor Anwendung leidet. „Ist es immer schwer, die Linie zu ziehen,
welche die Erzeugnisse reinen Geschäftssinnes zur Befriedigung des Uuterhcil-
tungsbedürfnisses von den Werken trennt, wo sich schon eine künstlerische Absicht
zugesellt, so war es schwerer als je bei der ungeheuern Produktion einer Zeit,
in welcher Gutes und Böses so nahe beisammen lag, sich so oft gegenseitig
durchdrang, eines Geschlechtes, das zugleich so Hohes erstrebte und sich von so
niederem hinreißen ließ, dem es so schwer gemacht war, der reinen willenlosen
Anschauung zu leben, das immer und immer wieder zur Teilnahme am Tages-


Grenzbotcn IV. 1883. 24
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154360"/>
          <fw type="header" place="top"> Levin Schücking.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> nur ein &#x201E;Belletrist," ein Schriftsteller für den Tagesbedarf. Wenn er etwas<lb/>
wußte und gelernt hatte, um so schlimmer für ihn. Die Formen, in denen sein<lb/>
reich genährter Geist, sein Wissen sich aussprach, waren unzünstige. Unter den<lb/>
Männern der &#x201E;Berufsliteratur" aber blieb Schücking, trotz des Respekts, den<lb/>
er einflößte, immer isolirt. Er war eine zu vornehm angelegte Natur, um mit<lb/>
der Masse unsrer Belletristen und Journalisten übereinzustimmen. Er gehörte,<lb/>
trotz seiner mnuuichfachen Verbindungen mit sehr verschiedenartigen Kreisen,<lb/>
niemals einer literarischen Klique an. Dieselbe tiefere Bildung, die in den Augen<lb/>
gewisser Privatdozenten neuesten Stiles als absolut unzulänglich und wertlos<lb/>
galt, war großen Gruppen der literarischen Berufsgenossen höchst unbequem. Sie<lb/>
legte ihm selbst und andern Verpflichtungen ans, welche den Leuten, die mehr<lb/>
auf hohen Lohn als auf gute Leistungen sehen, immer höchst unbequem blieben.<lb/>
So galt Schücking längst, ehe er die Grenze des Alters erreicht hatte, gewisser¬<lb/>
maßen für eine veraltete Berühmtheit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_550" next="#ID_551"> Doch selbst hiermit ist die Summe der Gründe nicht erschöpft, die diesem<lb/>
Schriftsteller eine Zwischenstellung anwiesen. Denn auch diejenigen, welche ein<lb/>
lebendiges Interesse an ihm hegten und gar wohl wußten, daß er wirkliches<lb/>
Talent, eine umfassende Bildung, seltene Kenntnis eigentümlicher Lebensverhält-<lb/>
nisse und Menschencharakterc, eine ehrenhafte und lautere Gesinnung besaß, waren<lb/>
der Fülle seiner Arbeiten gegenüber keineswegs immer in der Lage, sich daran<lb/>
zu erfreuen und rückhaltlos zu genießen. Schücking war zwar eine dichterische<lb/>
Natur, und seinen besten Schriften fehlt ein Hauch echt poetischer Stimmung,<lb/>
Poetischen Empfindens nicht. Gewisse Partien seiner Romane, namentlich einzelne<lb/>
Anfänge, entfalten eine Kraft und Plastik der Gestaltung, welche viel mehr<lb/>
erwarten und hoffen läßt, als die Durchführung leistet. Die Kraft Schückings<lb/>
gehörte zu den Kräften, welche selten konzentrirt wurden, der moderne Fluch<lb/>
allzuhastigcr Produktion lag auch über ihm, obschon, soviel wir scheu können,<lb/>
ihn, den ernsthaften Westfalen, das äußere Bedürfnis und das Verlangen nach<lb/>
Luxus oder Genuß, nicht in der Weise beherrscht und gespornt haben, wie<lb/>
so viele andre Talente der Zeit. Karl Hillebraud sagt in jeuer vortrefflichen<lb/>
Charakteristik der französischen Literatur und Gesellschaftszustände, welche dem<lb/>
zweiten Bande seiner &#x201E;Geschichte Frankreichs von der Thronbesteigung Louis Phi¬<lb/>
lipps bis zum Falle Napoleons III." vorausgeht, ein Wort, welches ohne weiteres<lb/>
auf unsern Autor Anwendung leidet. &#x201E;Ist es immer schwer, die Linie zu ziehen,<lb/>
welche die Erzeugnisse reinen Geschäftssinnes zur Befriedigung des Uuterhcil-<lb/>
tungsbedürfnisses von den Werken trennt, wo sich schon eine künstlerische Absicht<lb/>
zugesellt, so war es schwerer als je bei der ungeheuern Produktion einer Zeit,<lb/>
in welcher Gutes und Böses so nahe beisammen lag, sich so oft gegenseitig<lb/>
durchdrang, eines Geschlechtes, das zugleich so Hohes erstrebte und sich von so<lb/>
niederem hinreißen ließ, dem es so schwer gemacht war, der reinen willenlosen<lb/>
Anschauung zu leben, das immer und immer wieder zur Teilnahme am Tages-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotcn IV. 1883. 24</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0195] Levin Schücking. nur ein „Belletrist," ein Schriftsteller für den Tagesbedarf. Wenn er etwas wußte und gelernt hatte, um so schlimmer für ihn. Die Formen, in denen sein reich genährter Geist, sein Wissen sich aussprach, waren unzünstige. Unter den Männern der „Berufsliteratur" aber blieb Schücking, trotz des Respekts, den er einflößte, immer isolirt. Er war eine zu vornehm angelegte Natur, um mit der Masse unsrer Belletristen und Journalisten übereinzustimmen. Er gehörte, trotz seiner mnuuichfachen Verbindungen mit sehr verschiedenartigen Kreisen, niemals einer literarischen Klique an. Dieselbe tiefere Bildung, die in den Augen gewisser Privatdozenten neuesten Stiles als absolut unzulänglich und wertlos galt, war großen Gruppen der literarischen Berufsgenossen höchst unbequem. Sie legte ihm selbst und andern Verpflichtungen ans, welche den Leuten, die mehr auf hohen Lohn als auf gute Leistungen sehen, immer höchst unbequem blieben. So galt Schücking längst, ehe er die Grenze des Alters erreicht hatte, gewisser¬ maßen für eine veraltete Berühmtheit. Doch selbst hiermit ist die Summe der Gründe nicht erschöpft, die diesem Schriftsteller eine Zwischenstellung anwiesen. Denn auch diejenigen, welche ein lebendiges Interesse an ihm hegten und gar wohl wußten, daß er wirkliches Talent, eine umfassende Bildung, seltene Kenntnis eigentümlicher Lebensverhält- nisse und Menschencharakterc, eine ehrenhafte und lautere Gesinnung besaß, waren der Fülle seiner Arbeiten gegenüber keineswegs immer in der Lage, sich daran zu erfreuen und rückhaltlos zu genießen. Schücking war zwar eine dichterische Natur, und seinen besten Schriften fehlt ein Hauch echt poetischer Stimmung, Poetischen Empfindens nicht. Gewisse Partien seiner Romane, namentlich einzelne Anfänge, entfalten eine Kraft und Plastik der Gestaltung, welche viel mehr erwarten und hoffen läßt, als die Durchführung leistet. Die Kraft Schückings gehörte zu den Kräften, welche selten konzentrirt wurden, der moderne Fluch allzuhastigcr Produktion lag auch über ihm, obschon, soviel wir scheu können, ihn, den ernsthaften Westfalen, das äußere Bedürfnis und das Verlangen nach Luxus oder Genuß, nicht in der Weise beherrscht und gespornt haben, wie so viele andre Talente der Zeit. Karl Hillebraud sagt in jeuer vortrefflichen Charakteristik der französischen Literatur und Gesellschaftszustände, welche dem zweiten Bande seiner „Geschichte Frankreichs von der Thronbesteigung Louis Phi¬ lipps bis zum Falle Napoleons III." vorausgeht, ein Wort, welches ohne weiteres auf unsern Autor Anwendung leidet. „Ist es immer schwer, die Linie zu ziehen, welche die Erzeugnisse reinen Geschäftssinnes zur Befriedigung des Uuterhcil- tungsbedürfnisses von den Werken trennt, wo sich schon eine künstlerische Absicht zugesellt, so war es schwerer als je bei der ungeheuern Produktion einer Zeit, in welcher Gutes und Böses so nahe beisammen lag, sich so oft gegenseitig durchdrang, eines Geschlechtes, das zugleich so Hohes erstrebte und sich von so niederem hinreißen ließ, dem es so schwer gemacht war, der reinen willenlosen Anschauung zu leben, das immer und immer wieder zur Teilnahme am Tages- Grenzbotcn IV. 1883. 24

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/195
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/195>, abgerufen am 27.07.2024.