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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

Baulichkeiten seit dreißig Jahre" kein Stein auf dem andern geblieben ist. Fort¬
während war man genötigt, entweder baufällige Gebäude durch neue zu ersetzen
oder unzweckmäßige zu einigermaßen zweckentsprechenden zu "adaptiren" -- wie
sich die Herren Anstaltsbautechniker ausdrücken --, ohne damit etwas wirklich
Vollkommenes zu erreichen. Verteilt man diese Bauausgaben auf die einzelnen
Jahre, so geht man sicherlich nicht fehl, wenn man behauptet, daß jährlich
etwa 100 000 Mark verbaut worden seien, ein Aufwand, der trotz seiner Höhe
auch heute noch nicht abgeschlossen ist, ohne daß damit den Anforderungen des
jetzigen Strafvollzuges allenthalben genügt worden wäre.

Auch bei diesem Kapitel denken wir nicht entfernt daran, den betreffenden
ausführenden Bantechnikern irgend welchen Vorwurf zu machen; wir konstatiren
nur eine Thatsache, die wahrscheinlich niemand aufrichtiger beklagt als jene
Herren selbst, denn es ist gewiß nicht befriedigend, nach jahrelangem Be¬
mühen zuletzt doch nur bei einem mangelhaften Erfolge angelangt zu sein.
Wenn bei dieser Adaptionsmethode irgend jemand ein Tadel trifft, so
find es die früheren höheren Aufsichtsbehörden, die sich zu jenen Zeiten, wo
Geld in genügender Menge für dergleichen Ausgaben vorhanden war, nicht ent¬
schließen konnten, mit einem rationellen Neubauplan vor die Kammern zu treten.
Heute läßt sich wenig mehr ändern. Die jetzigen Behörden stehen vor einer
vollendeten, unabänderlichen, verpfuschten Thatsache!

Was die Neubauten betrifft, so können wir nicht umhin, das in neuerer
Zeit in allen Ländern befolgte System im allgemeinen zu verwerfen. Anstatt
in schlichter, kasernenmäßiger Weise einfache, lediglich auf ihren eigentlichen Zweck
berechnete Strafanstalten zu erbauen, Hut man Monumentalbauten errichtet, die
jedem idealen Zwecke entsprochen haben würden. Wir verweisen z. B. auf die
neue Zcntralstrafanstalt zu Fuhlsbüttel bei Hamburg, ja selbst auf die kleinere"
Gefängnisse, die an den Sitzen der Landgerichte erbaut worden sind. Die
Kosten, welche speziell die Erbauung von Zellenhäusern verursachen, entsprechen
vollkommen dem Humbug, den man neuerdings mit dem Jsolirsystem betreibt. In
dieser Richtung hat die moderne Strafvollzugswissenschaft ihre Ansprüche an die
Bautechnik so hoch gesteigert, daß eine einzige vollkommen eingerichtete, mit allen
nötigen und unnötigen Apparaten versehene Zelle im mittleren Durchschnitt
4000 Mark kostet, mithin einen jährlichen Mietertrag von 200 Mark repräsen-
tirt. Wie glücklich müßten die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Deutsch¬
lands sich gestalten, wenn jeder freie, ehrliche Arbeiter, der im Schweiße seines
Angesichts sein Brot verdienen, eine zahlreiche Familie ernähren und dabei
Steuern und Abgaben zahlen muß, sich sollte den Luxus gestatten dürfen, eine
freundliche, allen Ansprüchen der Hygieine genügende und bequeme Wohnung
für 200 Mark Jahrcsmiete zu erwerben! Wie viel kleine Handwerker streben
einem solchen Ideale nach, wie wenige erreichen es! Der Gefangene, der seine
Mitbürger an Leben, Gesundheit, Eigentum und Ehre geschädigt hat, genießt


Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges.

Baulichkeiten seit dreißig Jahre» kein Stein auf dem andern geblieben ist. Fort¬
während war man genötigt, entweder baufällige Gebäude durch neue zu ersetzen
oder unzweckmäßige zu einigermaßen zweckentsprechenden zu „adaptiren" — wie
sich die Herren Anstaltsbautechniker ausdrücken —, ohne damit etwas wirklich
Vollkommenes zu erreichen. Verteilt man diese Bauausgaben auf die einzelnen
Jahre, so geht man sicherlich nicht fehl, wenn man behauptet, daß jährlich
etwa 100 000 Mark verbaut worden seien, ein Aufwand, der trotz seiner Höhe
auch heute noch nicht abgeschlossen ist, ohne daß damit den Anforderungen des
jetzigen Strafvollzuges allenthalben genügt worden wäre.

Auch bei diesem Kapitel denken wir nicht entfernt daran, den betreffenden
ausführenden Bantechnikern irgend welchen Vorwurf zu machen; wir konstatiren
nur eine Thatsache, die wahrscheinlich niemand aufrichtiger beklagt als jene
Herren selbst, denn es ist gewiß nicht befriedigend, nach jahrelangem Be¬
mühen zuletzt doch nur bei einem mangelhaften Erfolge angelangt zu sein.
Wenn bei dieser Adaptionsmethode irgend jemand ein Tadel trifft, so
find es die früheren höheren Aufsichtsbehörden, die sich zu jenen Zeiten, wo
Geld in genügender Menge für dergleichen Ausgaben vorhanden war, nicht ent¬
schließen konnten, mit einem rationellen Neubauplan vor die Kammern zu treten.
Heute läßt sich wenig mehr ändern. Die jetzigen Behörden stehen vor einer
vollendeten, unabänderlichen, verpfuschten Thatsache!

Was die Neubauten betrifft, so können wir nicht umhin, das in neuerer
Zeit in allen Ländern befolgte System im allgemeinen zu verwerfen. Anstatt
in schlichter, kasernenmäßiger Weise einfache, lediglich auf ihren eigentlichen Zweck
berechnete Strafanstalten zu erbauen, Hut man Monumentalbauten errichtet, die
jedem idealen Zwecke entsprochen haben würden. Wir verweisen z. B. auf die
neue Zcntralstrafanstalt zu Fuhlsbüttel bei Hamburg, ja selbst auf die kleinere»
Gefängnisse, die an den Sitzen der Landgerichte erbaut worden sind. Die
Kosten, welche speziell die Erbauung von Zellenhäusern verursachen, entsprechen
vollkommen dem Humbug, den man neuerdings mit dem Jsolirsystem betreibt. In
dieser Richtung hat die moderne Strafvollzugswissenschaft ihre Ansprüche an die
Bautechnik so hoch gesteigert, daß eine einzige vollkommen eingerichtete, mit allen
nötigen und unnötigen Apparaten versehene Zelle im mittleren Durchschnitt
4000 Mark kostet, mithin einen jährlichen Mietertrag von 200 Mark repräsen-
tirt. Wie glücklich müßten die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Deutsch¬
lands sich gestalten, wenn jeder freie, ehrliche Arbeiter, der im Schweiße seines
Angesichts sein Brot verdienen, eine zahlreiche Familie ernähren und dabei
Steuern und Abgaben zahlen muß, sich sollte den Luxus gestatten dürfen, eine
freundliche, allen Ansprüchen der Hygieine genügende und bequeme Wohnung
für 200 Mark Jahrcsmiete zu erwerben! Wie viel kleine Handwerker streben
einem solchen Ideale nach, wie wenige erreichen es! Der Gefangene, der seine
Mitbürger an Leben, Gesundheit, Eigentum und Ehre geschädigt hat, genießt


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[0188] Zur Vereinfachung des gegenwärtigen Strafvollzuges. Baulichkeiten seit dreißig Jahre» kein Stein auf dem andern geblieben ist. Fort¬ während war man genötigt, entweder baufällige Gebäude durch neue zu ersetzen oder unzweckmäßige zu einigermaßen zweckentsprechenden zu „adaptiren" — wie sich die Herren Anstaltsbautechniker ausdrücken —, ohne damit etwas wirklich Vollkommenes zu erreichen. Verteilt man diese Bauausgaben auf die einzelnen Jahre, so geht man sicherlich nicht fehl, wenn man behauptet, daß jährlich etwa 100 000 Mark verbaut worden seien, ein Aufwand, der trotz seiner Höhe auch heute noch nicht abgeschlossen ist, ohne daß damit den Anforderungen des jetzigen Strafvollzuges allenthalben genügt worden wäre. Auch bei diesem Kapitel denken wir nicht entfernt daran, den betreffenden ausführenden Bantechnikern irgend welchen Vorwurf zu machen; wir konstatiren nur eine Thatsache, die wahrscheinlich niemand aufrichtiger beklagt als jene Herren selbst, denn es ist gewiß nicht befriedigend, nach jahrelangem Be¬ mühen zuletzt doch nur bei einem mangelhaften Erfolge angelangt zu sein. Wenn bei dieser Adaptionsmethode irgend jemand ein Tadel trifft, so find es die früheren höheren Aufsichtsbehörden, die sich zu jenen Zeiten, wo Geld in genügender Menge für dergleichen Ausgaben vorhanden war, nicht ent¬ schließen konnten, mit einem rationellen Neubauplan vor die Kammern zu treten. Heute läßt sich wenig mehr ändern. Die jetzigen Behörden stehen vor einer vollendeten, unabänderlichen, verpfuschten Thatsache! Was die Neubauten betrifft, so können wir nicht umhin, das in neuerer Zeit in allen Ländern befolgte System im allgemeinen zu verwerfen. Anstatt in schlichter, kasernenmäßiger Weise einfache, lediglich auf ihren eigentlichen Zweck berechnete Strafanstalten zu erbauen, Hut man Monumentalbauten errichtet, die jedem idealen Zwecke entsprochen haben würden. Wir verweisen z. B. auf die neue Zcntralstrafanstalt zu Fuhlsbüttel bei Hamburg, ja selbst auf die kleinere» Gefängnisse, die an den Sitzen der Landgerichte erbaut worden sind. Die Kosten, welche speziell die Erbauung von Zellenhäusern verursachen, entsprechen vollkommen dem Humbug, den man neuerdings mit dem Jsolirsystem betreibt. In dieser Richtung hat die moderne Strafvollzugswissenschaft ihre Ansprüche an die Bautechnik so hoch gesteigert, daß eine einzige vollkommen eingerichtete, mit allen nötigen und unnötigen Apparaten versehene Zelle im mittleren Durchschnitt 4000 Mark kostet, mithin einen jährlichen Mietertrag von 200 Mark repräsen- tirt. Wie glücklich müßten die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Deutsch¬ lands sich gestalten, wenn jeder freie, ehrliche Arbeiter, der im Schweiße seines Angesichts sein Brot verdienen, eine zahlreiche Familie ernähren und dabei Steuern und Abgaben zahlen muß, sich sollte den Luxus gestatten dürfen, eine freundliche, allen Ansprüchen der Hygieine genügende und bequeme Wohnung für 200 Mark Jahrcsmiete zu erwerben! Wie viel kleine Handwerker streben einem solchen Ideale nach, wie wenige erreichen es! Der Gefangene, der seine Mitbürger an Leben, Gesundheit, Eigentum und Ehre geschädigt hat, genießt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/188>, abgerufen am 01.09.2024.