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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die internationale Kunstausstellung in München.

der Leiche knien Mönche mit brennenden Fackeln, welche die Gaben in Empfang
nehmen, die ihnen das vorübergehende Volk spendet. Mit Ausnahme des Pra-
dillaschen Bildes haben wir also auch in der spanischen Historienmalerei die
Vorliebe für grauenvolle Szenen zu konstatiren, die für die französische Malerei
charakteristisch ist. Es fehlt der spanischen aber die Ergänzung dazu, die Nei¬
gung für zweideutige und frivole Stoffe. Und das ist es, was Tubino in seiner
Abhandlung mit Stolz betont. Die Spanier geben ein getreues Abbild von
den Sitten und der Lebensweise ihres Volkes in diesem und dem vorigen Jahr¬
hundert; aber sie hüten sich vor lasciven Szenen und gehen vorsichtig jeder
Lüsternheit aus dem Wege. Sie wie die Italiener behandeln weder mytholo¬
gische Stoffe, noch können sie sich zur Ausstellung weiblicher Reize ohne mytho¬
logischen Vorwand entschließe". Wenn man daraus einen Rückschluß auf ihre
Gesinnung machen darf, so kann man der spanischen Kunst trotz jener Digres-
sionen in das Reich des Schreckens zu ihrer gesunden Grundlage Glück wünschen.

Die Genremalerei hält sich mit drei oder vier Ausnahmen in den be¬
scheidenen Dimensionen, welche dem Genre zukommen. Jene Ausnahmen sind
augenscheinlich durch gleichartige französische Verirrungen veranlaßt worden.
Wenn Alonso Perrez in lebensgroßen Figuren den Gottesdienst von Wahn¬
sinnigen in der Anstaltskapelle darstellt, oder Munoz Degrain eine Episode
ans einer Überschwemmung in gleichem Maßstabe, so ist das eine eine grobe
Geschmacklosigkeit, das andre eine starke Überschätzung der Bedeutung eines an
und für sich sehr dürftigen Motivs. Eine vollkommen reine Freude an der
Lebendigkeit und Wahrheit der Schilderung, an der Feinheit und Richtigkeit der
Zeichnung in der freundlich-lichten Färbung und an der treffenden Schärfe der
Beobachtung gewähren uns dagegen folgende Genrebilder: von segni ein Picknick
im Freien, das durch die Dazwischenkunft eines wilden Stiers gestört wird,
von Jimenez h Aranda die Predigt im Hofe der Kathedrale von Sevilla,
wohl das vollendetste Stück der ganzen Ausstellung, erstaunlich in dem Reichtum
der Beobachtungen und zu höchster Bewunderung reizend wegen der Natür¬
lichkeit in der verschiedenen Stellung und Haltung der Zuhörer, von Element
Pujol der Besuch beim Antiquar, Casales y Campo, Apotheke im vorigen
Jahrhundert, Assel, Karneval in Sevilla, Masriera, Interieur eines Ateliers,
Lizeano, Stierfechter und Arbeiter in einem Wirtshause, Domingo, Zirkus¬
gesellschaft, Moreno, Die Sängerin, Villegas, Page u. a.

Die spanische Plastik schließt sich, wie z. B. in Gandarias "Harmonie,"
einer nackten weiblichen Figur, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf
einer Kugel sitzt, an die französische oder, wie in einer Springbrunnenfigur von
Pereda, an den Naturalismus der Italiener an. An den letztern erinnert auch
Benlliures "Unglücksfall," nur daß der Chorknabe, welcher sich an dem Weih¬
rauchkessel die Finger verbrannt hat, ein echt Murilloscher Typus ist. Eine
Landschaftsmalerei in unserm Sinne haben die Spanier ebensowenig wie die


Die internationale Kunstausstellung in München.

der Leiche knien Mönche mit brennenden Fackeln, welche die Gaben in Empfang
nehmen, die ihnen das vorübergehende Volk spendet. Mit Ausnahme des Pra-
dillaschen Bildes haben wir also auch in der spanischen Historienmalerei die
Vorliebe für grauenvolle Szenen zu konstatiren, die für die französische Malerei
charakteristisch ist. Es fehlt der spanischen aber die Ergänzung dazu, die Nei¬
gung für zweideutige und frivole Stoffe. Und das ist es, was Tubino in seiner
Abhandlung mit Stolz betont. Die Spanier geben ein getreues Abbild von
den Sitten und der Lebensweise ihres Volkes in diesem und dem vorigen Jahr¬
hundert; aber sie hüten sich vor lasciven Szenen und gehen vorsichtig jeder
Lüsternheit aus dem Wege. Sie wie die Italiener behandeln weder mytholo¬
gische Stoffe, noch können sie sich zur Ausstellung weiblicher Reize ohne mytho¬
logischen Vorwand entschließe». Wenn man daraus einen Rückschluß auf ihre
Gesinnung machen darf, so kann man der spanischen Kunst trotz jener Digres-
sionen in das Reich des Schreckens zu ihrer gesunden Grundlage Glück wünschen.

Die Genremalerei hält sich mit drei oder vier Ausnahmen in den be¬
scheidenen Dimensionen, welche dem Genre zukommen. Jene Ausnahmen sind
augenscheinlich durch gleichartige französische Verirrungen veranlaßt worden.
Wenn Alonso Perrez in lebensgroßen Figuren den Gottesdienst von Wahn¬
sinnigen in der Anstaltskapelle darstellt, oder Munoz Degrain eine Episode
ans einer Überschwemmung in gleichem Maßstabe, so ist das eine eine grobe
Geschmacklosigkeit, das andre eine starke Überschätzung der Bedeutung eines an
und für sich sehr dürftigen Motivs. Eine vollkommen reine Freude an der
Lebendigkeit und Wahrheit der Schilderung, an der Feinheit und Richtigkeit der
Zeichnung in der freundlich-lichten Färbung und an der treffenden Schärfe der
Beobachtung gewähren uns dagegen folgende Genrebilder: von segni ein Picknick
im Freien, das durch die Dazwischenkunft eines wilden Stiers gestört wird,
von Jimenez h Aranda die Predigt im Hofe der Kathedrale von Sevilla,
wohl das vollendetste Stück der ganzen Ausstellung, erstaunlich in dem Reichtum
der Beobachtungen und zu höchster Bewunderung reizend wegen der Natür¬
lichkeit in der verschiedenen Stellung und Haltung der Zuhörer, von Element
Pujol der Besuch beim Antiquar, Casales y Campo, Apotheke im vorigen
Jahrhundert, Assel, Karneval in Sevilla, Masriera, Interieur eines Ateliers,
Lizeano, Stierfechter und Arbeiter in einem Wirtshause, Domingo, Zirkus¬
gesellschaft, Moreno, Die Sängerin, Villegas, Page u. a.

Die spanische Plastik schließt sich, wie z. B. in Gandarias „Harmonie,"
einer nackten weiblichen Figur, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf
einer Kugel sitzt, an die französische oder, wie in einer Springbrunnenfigur von
Pereda, an den Naturalismus der Italiener an. An den letztern erinnert auch
Benlliures „Unglücksfall," nur daß der Chorknabe, welcher sich an dem Weih¬
rauchkessel die Finger verbrannt hat, ein echt Murilloscher Typus ist. Eine
Landschaftsmalerei in unserm Sinne haben die Spanier ebensowenig wie die


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[0106] Die internationale Kunstausstellung in München. der Leiche knien Mönche mit brennenden Fackeln, welche die Gaben in Empfang nehmen, die ihnen das vorübergehende Volk spendet. Mit Ausnahme des Pra- dillaschen Bildes haben wir also auch in der spanischen Historienmalerei die Vorliebe für grauenvolle Szenen zu konstatiren, die für die französische Malerei charakteristisch ist. Es fehlt der spanischen aber die Ergänzung dazu, die Nei¬ gung für zweideutige und frivole Stoffe. Und das ist es, was Tubino in seiner Abhandlung mit Stolz betont. Die Spanier geben ein getreues Abbild von den Sitten und der Lebensweise ihres Volkes in diesem und dem vorigen Jahr¬ hundert; aber sie hüten sich vor lasciven Szenen und gehen vorsichtig jeder Lüsternheit aus dem Wege. Sie wie die Italiener behandeln weder mytholo¬ gische Stoffe, noch können sie sich zur Ausstellung weiblicher Reize ohne mytho¬ logischen Vorwand entschließe». Wenn man daraus einen Rückschluß auf ihre Gesinnung machen darf, so kann man der spanischen Kunst trotz jener Digres- sionen in das Reich des Schreckens zu ihrer gesunden Grundlage Glück wünschen. Die Genremalerei hält sich mit drei oder vier Ausnahmen in den be¬ scheidenen Dimensionen, welche dem Genre zukommen. Jene Ausnahmen sind augenscheinlich durch gleichartige französische Verirrungen veranlaßt worden. Wenn Alonso Perrez in lebensgroßen Figuren den Gottesdienst von Wahn¬ sinnigen in der Anstaltskapelle darstellt, oder Munoz Degrain eine Episode ans einer Überschwemmung in gleichem Maßstabe, so ist das eine eine grobe Geschmacklosigkeit, das andre eine starke Überschätzung der Bedeutung eines an und für sich sehr dürftigen Motivs. Eine vollkommen reine Freude an der Lebendigkeit und Wahrheit der Schilderung, an der Feinheit und Richtigkeit der Zeichnung in der freundlich-lichten Färbung und an der treffenden Schärfe der Beobachtung gewähren uns dagegen folgende Genrebilder: von segni ein Picknick im Freien, das durch die Dazwischenkunft eines wilden Stiers gestört wird, von Jimenez h Aranda die Predigt im Hofe der Kathedrale von Sevilla, wohl das vollendetste Stück der ganzen Ausstellung, erstaunlich in dem Reichtum der Beobachtungen und zu höchster Bewunderung reizend wegen der Natür¬ lichkeit in der verschiedenen Stellung und Haltung der Zuhörer, von Element Pujol der Besuch beim Antiquar, Casales y Campo, Apotheke im vorigen Jahrhundert, Assel, Karneval in Sevilla, Masriera, Interieur eines Ateliers, Lizeano, Stierfechter und Arbeiter in einem Wirtshause, Domingo, Zirkus¬ gesellschaft, Moreno, Die Sängerin, Villegas, Page u. a. Die spanische Plastik schließt sich, wie z. B. in Gandarias „Harmonie," einer nackten weiblichen Figur, die mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einer Kugel sitzt, an die französische oder, wie in einer Springbrunnenfigur von Pereda, an den Naturalismus der Italiener an. An den letztern erinnert auch Benlliures „Unglücksfall," nur daß der Chorknabe, welcher sich an dem Weih¬ rauchkessel die Finger verbrannt hat, ein echt Murilloscher Typus ist. Eine Landschaftsmalerei in unserm Sinne haben die Spanier ebensowenig wie die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/106>, abgerufen am 01.09.2024.