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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Die internationale Runstausstellnng in München.

Italiener. Es scheint fast, als ob der geringe Wechsel der Luft- und Licht-
phünomene die Südländer weniger reizt, sich so innig in die Stimmungen der
Natur zu vertiefen, wie es der Nordländer thut, auf dessen Gemüt die Dramen,
welche sich in der Luft und am Himmel abspielen, eine tiefe Wirkung ausüben.
Die Landschaftsmaler in Italien und Spanien verfahren ganz synthetisch, d. h.
sie reihen Haus, Baum, Berg, Himmel an und über einander, ohne nach einer
fesselnde" Luft> und Lichtstimmnng lange zu suchen. Eine Marine von Monleon,
Hafen von Alicante, erinnert noch am ehesten an die deutschen Behandlungen
solcher Motive.

Wenn wir von der Malerei großen Stils absehen, läßt sich von der
italienischen Malerei ungefähr dasselbe sagen wie von der spanischen: eine gleiche
Freude an dem bunten Volksleben der Gegenwart und den koketten Rokoko-
figürchen des vorigen Jahrhunderts, eine gleiche durch das Klima bedingte
Neigung, alles so licht als möglich und so viel als möglich im Freien, im
vollen Licht zu malen, und ein gleiches Streben nach Natürlichkeit, Wahrheit
und Lebendigkeit. Der Italiener hat aber auch ein Auge sür die ernsten Seiten
des Lebens, welches den Spanier nur in die Vergangenheit blicken läßt. Luigi
Nonos üötuZiuiQ pövvMruin ist das Meisterwerk der italienischen Ausstellung
auf diesem Gebiete, eine Schöpfung, welche mit den geringsten Mitteln, nur aus¬
schließlich zur malerischen Prozedur ihre Zuflucht nehmend, die tiefste Wirkung
ausübt. Der Schauplatz ist der Quai der venetianischen Lagune. Es hat kurz
zuvor geregnet. Auf den Steinen stehen noch hie und da Pfützen, in welchen
sich das Licht der untergehenden Sonne spiegelt. Man sieht am Horizonte nur
einen gelben Streifen; der übrige Himmel ist mit grauen Wolken bedeckt. Der
Wind hat gelbe Blätter über den Quai getrieben. Es muß ein frostiges, unheim¬
liches Wetter sein. Auf dem Kanäle sieht man Schiffe mit gelben Segeln, halb
verdeckt durch die steinerne Balustrade, deren Pfeiler mit Figuren bestellt sind.
Darunter ist auch eine Madonna. Man sieht nur das Postament und die Füße
des Standbildes. Aber die Lampe davor und die Blumen deuten auf die ge¬
benedeite Gnadenmutter. Und vor diesem Bilde kniet ein Mädchen aus dem
Volke. Es hat sein Gesicht mit der Schürze verhüllt; aber auch ohne daß wir
in die Züge des Mädchens blicken, erkennen wir an der kraftlos zusammen¬
gesunkenen Gestalt, daß ein tiefes Weh sein Herz durchzuckt, sein Inneres er¬
schüttert und seine Seele demütigt. Das Bild ist eine Ausnahme nach jeder
Richtung hin, weil Luigi Nouv zugleich der einzige Italiener ist, der die Natur
zu reden veranlaßt, der es verstanden hat, der Natur ihre Geheimnisse abzu¬
fragen. Die Landschaft ist von einer großartigen, tragischen Stimmung, die
uns so mächtig gefangen nimmt, daß wir nach diesem Bilde den hundertfarbigen
Abbildern einer fröhlichen Landschaft, eines bunten Treibens von lustigen Menschen
keinen rechten Geschmack abgewinnen können, zumal da die Italiener nicht über
den echten Humor verfügen, welchen der Deutsche nun einmal sür die Quint-


Grenzboten IV. 1333. 13
Die internationale Runstausstellnng in München.

Italiener. Es scheint fast, als ob der geringe Wechsel der Luft- und Licht-
phünomene die Südländer weniger reizt, sich so innig in die Stimmungen der
Natur zu vertiefen, wie es der Nordländer thut, auf dessen Gemüt die Dramen,
welche sich in der Luft und am Himmel abspielen, eine tiefe Wirkung ausüben.
Die Landschaftsmaler in Italien und Spanien verfahren ganz synthetisch, d. h.
sie reihen Haus, Baum, Berg, Himmel an und über einander, ohne nach einer
fesselnde» Luft> und Lichtstimmnng lange zu suchen. Eine Marine von Monleon,
Hafen von Alicante, erinnert noch am ehesten an die deutschen Behandlungen
solcher Motive.

Wenn wir von der Malerei großen Stils absehen, läßt sich von der
italienischen Malerei ungefähr dasselbe sagen wie von der spanischen: eine gleiche
Freude an dem bunten Volksleben der Gegenwart und den koketten Rokoko-
figürchen des vorigen Jahrhunderts, eine gleiche durch das Klima bedingte
Neigung, alles so licht als möglich und so viel als möglich im Freien, im
vollen Licht zu malen, und ein gleiches Streben nach Natürlichkeit, Wahrheit
und Lebendigkeit. Der Italiener hat aber auch ein Auge sür die ernsten Seiten
des Lebens, welches den Spanier nur in die Vergangenheit blicken läßt. Luigi
Nonos üötuZiuiQ pövvMruin ist das Meisterwerk der italienischen Ausstellung
auf diesem Gebiete, eine Schöpfung, welche mit den geringsten Mitteln, nur aus¬
schließlich zur malerischen Prozedur ihre Zuflucht nehmend, die tiefste Wirkung
ausübt. Der Schauplatz ist der Quai der venetianischen Lagune. Es hat kurz
zuvor geregnet. Auf den Steinen stehen noch hie und da Pfützen, in welchen
sich das Licht der untergehenden Sonne spiegelt. Man sieht am Horizonte nur
einen gelben Streifen; der übrige Himmel ist mit grauen Wolken bedeckt. Der
Wind hat gelbe Blätter über den Quai getrieben. Es muß ein frostiges, unheim¬
liches Wetter sein. Auf dem Kanäle sieht man Schiffe mit gelben Segeln, halb
verdeckt durch die steinerne Balustrade, deren Pfeiler mit Figuren bestellt sind.
Darunter ist auch eine Madonna. Man sieht nur das Postament und die Füße
des Standbildes. Aber die Lampe davor und die Blumen deuten auf die ge¬
benedeite Gnadenmutter. Und vor diesem Bilde kniet ein Mädchen aus dem
Volke. Es hat sein Gesicht mit der Schürze verhüllt; aber auch ohne daß wir
in die Züge des Mädchens blicken, erkennen wir an der kraftlos zusammen¬
gesunkenen Gestalt, daß ein tiefes Weh sein Herz durchzuckt, sein Inneres er¬
schüttert und seine Seele demütigt. Das Bild ist eine Ausnahme nach jeder
Richtung hin, weil Luigi Nouv zugleich der einzige Italiener ist, der die Natur
zu reden veranlaßt, der es verstanden hat, der Natur ihre Geheimnisse abzu¬
fragen. Die Landschaft ist von einer großartigen, tragischen Stimmung, die
uns so mächtig gefangen nimmt, daß wir nach diesem Bilde den hundertfarbigen
Abbildern einer fröhlichen Landschaft, eines bunten Treibens von lustigen Menschen
keinen rechten Geschmack abgewinnen können, zumal da die Italiener nicht über
den echten Humor verfügen, welchen der Deutsche nun einmal sür die Quint-


Grenzboten IV. 1333. 13
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[0107] Die internationale Runstausstellnng in München. Italiener. Es scheint fast, als ob der geringe Wechsel der Luft- und Licht- phünomene die Südländer weniger reizt, sich so innig in die Stimmungen der Natur zu vertiefen, wie es der Nordländer thut, auf dessen Gemüt die Dramen, welche sich in der Luft und am Himmel abspielen, eine tiefe Wirkung ausüben. Die Landschaftsmaler in Italien und Spanien verfahren ganz synthetisch, d. h. sie reihen Haus, Baum, Berg, Himmel an und über einander, ohne nach einer fesselnde» Luft> und Lichtstimmnng lange zu suchen. Eine Marine von Monleon, Hafen von Alicante, erinnert noch am ehesten an die deutschen Behandlungen solcher Motive. Wenn wir von der Malerei großen Stils absehen, läßt sich von der italienischen Malerei ungefähr dasselbe sagen wie von der spanischen: eine gleiche Freude an dem bunten Volksleben der Gegenwart und den koketten Rokoko- figürchen des vorigen Jahrhunderts, eine gleiche durch das Klima bedingte Neigung, alles so licht als möglich und so viel als möglich im Freien, im vollen Licht zu malen, und ein gleiches Streben nach Natürlichkeit, Wahrheit und Lebendigkeit. Der Italiener hat aber auch ein Auge sür die ernsten Seiten des Lebens, welches den Spanier nur in die Vergangenheit blicken läßt. Luigi Nonos üötuZiuiQ pövvMruin ist das Meisterwerk der italienischen Ausstellung auf diesem Gebiete, eine Schöpfung, welche mit den geringsten Mitteln, nur aus¬ schließlich zur malerischen Prozedur ihre Zuflucht nehmend, die tiefste Wirkung ausübt. Der Schauplatz ist der Quai der venetianischen Lagune. Es hat kurz zuvor geregnet. Auf den Steinen stehen noch hie und da Pfützen, in welchen sich das Licht der untergehenden Sonne spiegelt. Man sieht am Horizonte nur einen gelben Streifen; der übrige Himmel ist mit grauen Wolken bedeckt. Der Wind hat gelbe Blätter über den Quai getrieben. Es muß ein frostiges, unheim¬ liches Wetter sein. Auf dem Kanäle sieht man Schiffe mit gelben Segeln, halb verdeckt durch die steinerne Balustrade, deren Pfeiler mit Figuren bestellt sind. Darunter ist auch eine Madonna. Man sieht nur das Postament und die Füße des Standbildes. Aber die Lampe davor und die Blumen deuten auf die ge¬ benedeite Gnadenmutter. Und vor diesem Bilde kniet ein Mädchen aus dem Volke. Es hat sein Gesicht mit der Schürze verhüllt; aber auch ohne daß wir in die Züge des Mädchens blicken, erkennen wir an der kraftlos zusammen¬ gesunkenen Gestalt, daß ein tiefes Weh sein Herz durchzuckt, sein Inneres er¬ schüttert und seine Seele demütigt. Das Bild ist eine Ausnahme nach jeder Richtung hin, weil Luigi Nouv zugleich der einzige Italiener ist, der die Natur zu reden veranlaßt, der es verstanden hat, der Natur ihre Geheimnisse abzu¬ fragen. Die Landschaft ist von einer großartigen, tragischen Stimmung, die uns so mächtig gefangen nimmt, daß wir nach diesem Bilde den hundertfarbigen Abbildern einer fröhlichen Landschaft, eines bunten Treibens von lustigen Menschen keinen rechten Geschmack abgewinnen können, zumal da die Italiener nicht über den echten Humor verfügen, welchen der Deutsche nun einmal sür die Quint- Grenzboten IV. 1333. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/107>, abgerufen am 27.07.2024.